Wenn Pferde steigen
Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte: Wer auf einem steigenden Pferd sitzt, kann nicht viel tun. Die gute: Wer auf einem steigenden Pferd sitzt, darf auch gar nicht so viel tun. Die wichtigste Aufgabe eines Reiters ist bei Steigern zu erkennen, warum sie steigen und dem Hochgehen zuvorzukommen, es also möglichst zu verhindern.
Aber welche Gründe gibt es fürs In-die-Luft-gehen? „Als erstes muss man natürlich erkennen, ob es ein Reiterfehler oder ob es tatsächlich ein Pferdefehler ist. Dann sollte man unbedingt die Ausrüstung – vor allem natürlich Sattel und Trense – überprüfen und untersuchen, ob es nicht ein gesundheitliches Problem gibt“, rät Wolfhard Witte, Obersattelmeister des Landgestüts Celle. Sind diese Bereiche abgeklärt, kann es zahlreiche weitere Gründe für das Steigen geben.
Clever reiten, steigen vermeiden
Und diese Gründe sind vielfältig: „Das kann bei jungen Pferden aus Übermut sein, bei jungen Hengsten auch gerne mal am Rangverhalten liegen“, erklärt Witte. Als Leiter der Hengstprüfungsanstalt in Adelheidsdorf ist er in seiner Laufbahn Hunderten von dreijährigen, gerade angerittenen Hengsten begegnet – er weiß wovon er spricht, wenn es ums Imponiergehabe der Jungspunde geht.
„Gerade bei Hengsten muss man natürlich doppelt aufpassen und darf sie auch nicht ständig in brenzlige Situationen bringen.“ Deeskalation lautet Wittes Devise. Liegt also der Grund des Steigens bei einem jungen Pferd daran, dass es zum Beispiel die Nähe anderer Pferde nicht so gut verkraftet oder sich provoziert fühlt, ist es zunächst ratsam, dafür zu sorgen, „dass die Pferde genug Raum um sich haben und sich nach und nach an sich nähernde Pferde gewöhnen. Dafür muss ich natürlich sehr vorausschauend reiten und andere Reiter in der Bahn gut in meine Wege mit einplanen“, erklärt der Pferdewirtschaftsmeister. Im Zuge der Ausbildung, wenn die Pferde besser an den Hilfen stehen und vor allem auf die treibenden Hilfen leichter und schneller reagieren, löst sich dieses Problem mit der Zeit nach und nach auf.
Sollte der Grund eher darin liegen, dass die junge Remonte übermütig ist, rät Witte schlicht zum sorgfältigen Ablongieren – auch das kann so lange erfolgen, bis der Ausbildungsweg weiter vorangeschritten ist und das Pferd mehr Routine und Gelassenheit gefunden hat.
In der Ausbildung ist für den Träger des Goldenen Reitabzeichens der Schenkelgehorsam das A und O – auch und gerade bei der Korrektur von steigenden Pferden. Dazu gehört nicht nur, dass das Pferd auf die Schenkelhilfen vorwärts geht. Witte empfiehlt auch, die Pferde zum Beispiel oft Schenkelweichen zu reiten, damit sie gut auf den seitwärts treibenden Schenkel reagieren: „Wenn ich dann merke, dass das Pferd etwas im Sinn hat oder sich eine Situation anbahnt, in der es steigen könnte, dann versuche ich möglichst zügig ins Seitwärts zu kommen. Das Pferd kann so seine Kraft gar nicht mehr auf beide Hinterbeine gleichzeitig bringen und zum Steigen nutzen.“ Schafft der Reiter es nicht rechtzeitig, in eine Seitwärtsbewegung zu kommen, „kann man auch noch versuchen, mit einer ruhigen, tiefen Hand abzuwenden und dann in der Wendung das Pferd die Hinterbeine kreuzen zu lassen.“ Denn sich auf kreuzenden Hinterbeinen aufzubäumen, ist für das Pferd fast unmöglich. Der Reiter kommt schnell wieder zum Nachgeben, und auch das Pferd wird durch das Seitwärts-Fußen dazu verleitet, die Rückenmuskulatur wieder loszulassen.
Andere Steiger sind die Pferde, die „zum Beispiel draußen auf dem Reitplatz guckig sind, halb hoch gehen und sich dann wegdrehen“, beschreibt Witte. Hier empfiehlt er, die Pferde zunächst an der Doppellonge ruhig und konsequent an der vermeintlichen Gefahrenquelle vorbeizulongieren: „Da ist es wichtig, dem Pferd die Sicherheit zu geben, dass es okay ist an der angst-einflößenden Stelle vorbeizugehen.“
Wenn wiederum ältere Pferde sich zum Beispiel in der Ausbildung einer bestimmten Lektion durch Steigen entziehen, heißt auch hier Wittes Lösung: „Immer erstmal ins Vorwärts kommen. Ist der Schenkelgehorsam nicht gegeben, kann ich wenig reparieren. Die Lektion sollte man dann auch nicht zu oft üben, sondern immer wieder etwas anderes zwischendurch reiten“, empfiehlt Witte und mahnt: „Man darf auch nicht zu oft ans Limit der Pferde gehen, dann wird alles so verklemmt und irgendwann geht gar nichts mehr. Klüger ist es, man geht noch mal einen Schritt zurück und sorgt wieder für Spaß an der Arbeit.“
Und wenn es doch passiert ...
Doch was tun, wenn alle Voraussicht nicht verhindern konnte, dass sich das Vorderpferd über seinen Hinterbeinen auftürmt? In erster Linie geht es darum, das Gleichgewicht zu halten, nicht hinten überzukippen und sich nicht am Zügel festzuhalten. „Aber es ist auch ein großer Fehler, die Zügel weg- und sich selbst um den Pferdehals zu werfen“, sagt Witte. „Der Reiter sollte auch im Steigen versuchen, eine leichte Verbindung zum Pferdemaul zu halten – das ist natürlich überhaupt nichts für Anfänger oder Reiter, die unsicher sind!“
Mehr noch als zu wissen, was zu tun ist, gilt es nämlich in erster Linie bei Steigern die Nerven zu behalten, Ruhe auszustrahlen, nicht hektisch zu reagieren, abzuwarten bis sie wieder Boden unter allen vier Hufen haben. Und erst dann ruhig, aber konsequent zu versuchen ins Seitwärts und Vorwärts zu kommen und so ein erneutes Steigen zu vermeiden.