Europameisterschaften Dressur 2023
„Pure Dankbarkeit“ – Jessica von Bredow-Werndl gewinnt auch Kür-Gold
Riesenbeck – 3.500 Zuschauer, ein ausverkauftes Stadion und ein Dressurtag wie er spannender nicht hätte sein können. Jessica von Bredow-Werndl ist die neue Europameisterin der Dressurreiter, sie hat mit TSF Dalera BB ihren Titel verteidigt und mit 92,818 Prozent eine neue persönlicher Bestleistung erreicht. Silber ging an die Britin Charlotte Fry auf Glamourdale. 92,379 Prozent lautete ihr Ergebnis. Und eine weitere Britin in Medaillenlaune gewann Bronze: Charlotte Dujardin mit ihrem Imhotep, 91,396 Prozent. Doch abgesehen von diesem Trio standen die Zeichen in Riesenbeck auf außergewöhnliche Sportmomente.
Jessica von Bredow-Werndl und TSF Dalera BB – von Null auf Gold
Jessica von Bredow-Werndl ritt ihre Trakehnerstute Dalera BB zu Klängen von Edith Piaf, „Padam, Padam“ und „Je ne regrette rien“ – Musik, die bei der Reiterin Gänsehaut erzeugen und heute auch beim Publikum in Riesenbeck.
Dalera war „on fire“ nach ihrem freien Tag gestern, an dem von Bredow-Werndl und Pflegerin Franzi mit der Stute nur spazieren gegangen sind. Der Ritt war ein Fest, das mit einem ruhigen Halten begann – das hatte sich die Reiterin fest vorgenommen und erhofft, hatte sich die Ruhe beim Halten in den vergangenen Monaten ausgeschlichen. Danach war ein Tritt wie der andere in Piaffen, Passagen, Trabtraversalen. Die Galopptour präzise – bis auf die Einerwechsel, wo ihr ein Fehler unterlief. Auf der Jokerlinie legte sie zehn gelungene Einerwechsel nach. 72 mal bekamen Jessica von Bredow-Werndl und Dalera die Höchstnote 10, insgesamt 92,818 Prozent, persönliche Bestleistung des Paares. „Ich bin einfach nur dankbar. Dankbar für ein wunderbares Pferd, für all die Unterstützung, für ein riesiges Team, das mir geholfen hat. Für die Unterstützung meiner Familie, sie waren alle hier, mein Mann, meine Kinder, meine Eltern.“ Sie habe sich extrem auf die Kür gefreut, hat sie im Kopf zig mal durchgeritten, hat sich Videos angeguckt. Der Fehler in den Einerwechseln ist ihr das erste Mal passiert, „zum Glück hat es dann beim zweiten Mal geklappt."
Während der Vorbereitungsphase standen Jesssica von Bredow-Werndl und Dalera eine ganze Weile entspannt auf dem Abreiteplatz. „Das habe ich tatsächlich erst einmal gemacht, beim Weltcup-Finale in Leipzig, weil ich ein bisschen zu früh da war. Und da haben wir einfach ein bisschen die Atmosphäre aufgesogen und das haben wir hier wieder gemacht. Es war einfach brütend heiß und ich dachte mir, was will ich noch üben. Ich gebe ihr einfach ein bisschen Pause und vertraue darauf, dass wir beide gleich ‚on fire‘ sind im Viereck.“
Charlotte Fry und Glamourdale – ihr bester EM-Tag, Silber
Glamourdale war heute in der besten Form der gesamten Europameisterschaft. Geschmeidig, durchlässig und losgelassen zeigte sich der Rapphengst , auch die Piaffen sahen deutlich besser aus als an den Tagen zuvor. Zu einem „Best of Britain“ ritt das Paar, von „God save the king“ über „Lemon Tree“ bis „Let me entertain you“ war alles dabei. Die Galopptour war wie zu erwarten der Höhepunkt, atemberaubend der starke Galopp, ein Highlight vor allem dann, wenn es der Hengst schafft, die riesigen Galoppsprünge durch den Körper zu leiten und sich in der Oberlinie nicht festzumachen. So wie heute. Am Schluss gab es eine fein gerittene Piaffe-Passage-Tour und für das Paar Standing Ovations. 92,379 Prozent, die beste Vorstellung von "Lottie" und ihrem "Glami" bei diesen Europameisterschaften. „Ich könnte nicht zufriedener mit ihm sein. So nah an Jessica dran zu sein und das stimmt mich noch aufgeregter auf nächstes Jahr.“
Charlotte Dujardin und Imhotep – mit Last-Minute-Kür zu Bronze
„I like to move it move it“ – oh ja, Imhotep aka Pete möchte sich bewegen. Immer. Deshalb lebt Pete auch im Offenstall auf der Reitanlage von Carl Hester, Trainer und Mentor von Charlotte Dujardin. Sie ritt zur Filmmusik von „Die Pinguine aus Madgaskar“, weil der Löwe in dem Film die Reiterin direkt an Pete erinnert hat. Die Kür ist diese Woche erst fertig geworden, vor drei Wochen hat Charlotte Dujardin den Floorplan erstellt. Und geübt hat sie die Kür zuvor genau: kein mal. Aber Charlotte Dujardin ist eine Prüfungsreiterin wie es cooler kaum geht. Lässig ritt sie ihren Pete durch das Viereck, voll fokussiert. Highlights: die Serienwechsel an sich und dann in der Kombination Zweier-Einer am Stück. Direkt danach eine Piaffe-Pirouette – macht und kann auch nicht jeder. Der Fuchs könnte noch offener im Genick sein, aber mit seinen zehn Jahren und seinen exakt sechs internationalen Turniereinsätzen insgesamt, steht der KWPN-Wallach noch am Anfang seiner Karriere, die heute mit 91,396 Prozent und Bronze gekrönt wurde. „Ich hatte ein fantastisches Championat. Das war das erste Mal, dass ich meine Kür zur Musik geritten bin. Da reinzugehen und alles so zu zeigen, wie ich es getan habe, freut mich sehr.“
Nanna Skodborg Merrald und Zepter – was fürs Auge
Schwungvoll, federnd, elastisch, weit unterfußend – so könnte man die Kür der Dänin Nanna Skodborg Merrald und Blue Hors Zepter wohl am besten zusammenfassen. Der Fuchs ist so engagiert bei der Sache, so durchlässig in jeder Lektion. Ein Highlight war der starke Schritt, schreitend und mit Rahmenerweiterung, wie man es sich wünscht. Auch die Pirouetten, wie aus dem Lehrbuch. In der Einerwechseln sprang er einmal vorne nicht um, aber der Abschluss war wieder einwandfrei. Die Kür mag nicht den Gänsehauteffekt gehabt haben, aber technisch und reiterlich eine Leistung, die letztendlich mit 89,546 Prozent belohnt wurde. „Zepter hat getan, was er konnte. Es ist für uns beide neu, die Kür zu reiten. Er hatte viel Energie, aber trotzdem spürt man einfach, dass der Körper jetzt leer ist“, sagte die Dänin.
Isabell Werth und DSP Quantaz - Gänsehaut
Es war wahrscheinlich die harmonischste und beste Kür, die Isabell Werth und DSP Quantaz jemals zusammen gezeigt haben. Das Halten wie aus dem Lehrbuch, der starke Trab außergewöhnlich gut, die Traversalen ohnehin Werths Stärke. Der Schwierigkeitsgrad der Kür ließ kaum mehr Luft nach oben, „turn around“ sang Bony Tyler im versammelten Schritt (der Schritt, das einzige aber auch bekannte Manko des Pferdes) und Isabell Werth legt eine Piaffe-Pirouette an. Aus der Piaffe-Pirouette die Galopppirouette, dann die Galopptour, risikofreudig, aber nicht im übertriebenen Maße. Serienwechsel wie am Schnürchen , starker Galopp durch den Körper, Galopppirouetten gesetzt, durchgesprungen, auf engstem Raum und um die Klammer zu setzen noch eine Galopppirouette zum Schluss, daraus in die Piaffe-Pirouette. Alles im Gleichmaß und in Harmonie. Das Maul von Quantaz ist nach wie vor die meiste Zeit offen. Dennoch: Er wirkte heute nicht nur motiviert, sondern durchlässig und losgelassen. Eine Kür, die Gänsehaut erzeugte und Standing Ovations. 88,407 Prozent. „Ich freue mich, dass sie es anerkennen. Ich habe mal mit Gigolo die Kür mit starkem Galopp und Pirouette angefangen, das machen heute alle. Also habe ich versucht mal, was neues zu probieren und in dieser Kombination an Schwierigkeiten macht das glaub ich keiner.“ Und was ist es für ein Gefühl, wenn Piaffe- und Galopppirouette hintereinanderweg so gelingen wie heute? „Dann hast du ein schönes smile“, lachte Isabell Werth. „Nein, es gibt einem natürlich die Bestätigung. Es ist ja so, manchmal ist man so im Flow und alles gelingt und manchmal fragt man sich, warum gelingt es nicht. Heute hat es geklappt.“
Frederic Wandres und Bluetooth OLD – wenn ein Puzzleteil plötzlich fehlt
„Can you feel it“ war aus den Lautsprechern zu hören und Frederic Wandres‘ Kür begann. Es sollte seine beste Kür mit dem Bordeaux-Sohn Bluetooth OLD werden. Anfangs noch ein minimaler Hackler im Übergang zwischen Passage und Piaffe, aber die weitgreifenden, frischen Traversalen im Trab, die Passagen, eine solide Schritttour, eine überzeugende Galopptour mit Einerwechseln, die das Paar scheinbar noch ewig hätte weiterreiten können. Kurz vor Ende setzte Wandres zu einer kurzen Linkstraversale an, Bluetooth wirkte irritiert und nicht in Balance, dann der abschließende starke Trab – und das Gefühl, dass die bis dahin so runde Kür am Ende nicht ganz rund im Abschluss war. Die Dressurrichter kamen aus ihren Richterhäuschen und versammelten sich bei Chefrichterin Ulrike Nivelle bei C. Der Grund: die auf dem „Floorplan“ angegebene Linkstraversale fehlte. Jeder Reiter gibt im Vorfeld diesen Plan ab, damit die Richter den Ritt besser beurteilen können. Wandres fiel sein Faux Pas auf, als er die gleiche Traversaltour ein zweites Mal nach rechts geritten war. Ab diesem Zeitpunkt ratterte es in seinem Kopf, wo er nun noch die Linkstraversale einbauen sollte. Er musste improvisieren. Nahezu ein Ding der Möglichkeit in einer mit Lektionen gespickten Kür, die bis ins kleinste Detail ausgefeilt ist. „Ich wusste, ich kann noch eine Lektion hinzufügen, aber ich wusste nicht, wo noch Raum dafür sein sollte. Also habe ich versucht, so etwas wie eine halbe Traversale am Ende noch einzubauen, um wenigstens ein paar wenige Punkte zu bekommen“, sagte Wandres. „Das wird mir nie wieder passieren. Am Ende muss man sagen, ist das Ergebnis noch sehr gut. Wir können uns nur vorstellen, wie das Ergebnis geworden wäre, wenn mir dieser Fehler nicht passiert wäre.“ Er zeigte sich begeistert von der Kür und von Bluetooth, „er ist so gut und steckte noch voller Energie jetzt am Ende der EM.“ Mit Bluetooth liegt sein Fokus nun voll auf Paris 2024. Den Eifelturm trug er bereits an seinem Handgelenk. Ziele zu visualisieren ist bekanntlich nicht die schlechteste Idee.