Interview
Derbysieger Marvin Jüngel: „Ausgerechnet das Pferd, das mir nie aus dem Kopf ging“
Marvin, herzlichen Glückwunsch nochmal zu deinem Derby-Sieg. Ein paar Tage sind seitdem vergangen – wenn du jetzt zurückblickst, kannst du den Moment beschreiben, in dem dir klar wurde, du hast das Ding wirklich gewonnen?
Das kann man gar nicht richtig beschreiben: Das war natürlich pure Freude. Schon nach der Ziellinie war mir das schnell klar, was passiert ist. Und dann mit den Zuschauern, da hat sich jeder gefreut, das war unbeschreiblich! Richtig schön.Das kann man gar nicht richtig beschreiben: Das war natürlich pure Freude. Schon nach der Ziellinie war mir schnell klar, was passiert ist. Jeder hat sich gefreut, all die Zuschauer, das war unbeschreiblich! Richtig schön.
An der Mauer stand dein Derbysieg im wahrsten Sinn des Wortes auf der Kippe, weil Balou‘s Erbin sie touchiert hatte. Runtergefallen ist am Ende nichts.
Ich hab noch überlegt, ob ich hinreite und vom Pferd aus die Mauer zurückkippe, aber ich dachte, ich lass es lieber. Nicht dass ich am Ende zu doll schubse und das Mauerstück danach doch runterfällt.
Deine Stute wirkte leichtfüßig, energiegeladen, es sah so leicht aus, wie Balou‘s Erbin mit dir den Derby-Parcours gemeistert hat – wie hat sich der Ritt von oben angefühlt?
Es hat sich tatsächlich genauso angefühlt. Als könnte ich sofort nochmal so eine Runde reiten. Sie war noch voller Power und Freude, sie war super drauf. Ich muss auch sagen, dass mein gesamtes Team – nicht nur ich – das super hinbekommen haben, sie so auf den Punkt fit zu bekommen.
Wie hast du sie auf das Derby vorbereitet?
Ich hatte vorher ein, zwei Leute beim Derby gefragt, wie sie es machen und sie sagten, sie hätten das Training gar nicht ganz so sehr verändert. Das fand ich persönlich etwas wenig. Wir haben die Pferde fürs Derby (neben Balou’s Erbin ritt Marvin Jüngel dort auch Koradina, Anm. d. Red.) seit März mindestens zweimal täglich bewegt plus Koppelgang. Wir sind dabei fast nur ins Gelände geritten, haben den Galopp gesteigert, so dass wir zum Schluss 40 Minuten am Stück galoppiert sind im Wald. Zusätzlich gingen die Pferde noch aufs Laufband mit Steigungen und eben auf die Koppel. Am Ende dieser Vorbereitungsphase waren die 40 Minuten überhaupt nicht angestrengt für sie und genau das war uns wichtig. Wir wussten, dass sie jetzt konditionsmäßig sehr gut dabei waren. Natürlich haben wir das Springen trotzdem nicht vernachlässigt, die Pferde sind regelmäßig Turniere gegangen, dass die Sprungkraft und die Erfahrung erhalten blieben.
Und die Hindernisse? So einen Wall reitet man nicht alle Tage. Hast du Derbyhindernisse zu Hause oder bist du zum Üben woanders hingefahren?
Wir haben rein zufällig in Leipzig einen guten Bekannten, der sich auf seinen Koppeln zu Hause alles selber nachgebaut hat. Bis auf den Buschoxer hat er alles, Wall, Planke, Pulvermann, Holsteiner Wegesprünge … Während des Weltcup-Turniers in Leipzig sind wir ins Gespräch gekommen und ich erzählte ihm, dass ich demnächst wohl mal nach Hamburg fahren müsse, um fürs Derby zu üben. Da sagte er, er wisse nicht, ob es mir ausreiche, aber er hätte auch ein paar Hindernisse. Dann hab ich mir das auf Bildern angeschaut und er hatte komplett untertrieben: Es hat vollkommen ausgereicht, besser ging es eigentlich gar nicht! Das war auf jeden Fall eine super Vorbereitung und er freut sich jetzt natürlich auch unheimlich, dass seine Hindernisse mit dazu beigetragen haben.
Du sagst, ein Großteil deiner Derbyvorbereitung fand im Gelände statt – welche Rolle spielt es sonst auch bei den anderen Pferden?
Eine große Rolle. Wir haben ein super schönes Gebiet mit vielen Teichen, wir können die Geländerunden ganz unterschiedlich gestalten. Die Pferde gehen alle mindestens einmal in der Woche ins Gelände, egal ob sie vier- oder 16-jährig sind, in der Gruppe oder auch einzeln. Uns ist wichtig, dass sie Abwechslung bekommen, auch ein bisschen abgehärtet werden und auch mal im Gelände entspannen können.
Genießt du das selbst auch noch?
Tatsächlich bin ich derjenige, der die Pferde mehr zu Hause arbeitet. Aber es gibt so ein, zwei Pferde, die gehen nur unter mir ganz lieb im Gelände, die anderen Reiter fallen da schnell mal runter. Und wenn ich ins Gelände reite, genieße ich das auch. Das ist für mich auch Abwechslung und mal gut zum Durchatmen.
Hast du dich eigentlich körperlich oder mental nochmal anders vorbereitet aufs Derby?
Eigentlich gar nicht. Dadurch, dass ich den ganzen Tag draußen zu tun habe mit den ganzen Pferden zu Hause bei uns, war das meine Fitness.
Du reitest Balou’s Erbin seit fünf Jahren – wie habt ihr euch gefunden?
Das hört sich jetzt vielleicht komisch an: Ganz früher, als ich noch L-Springen geritten bin, war ich auf einem kleinen Turnier in Brandenburg, dort ritt einer ein Pferd, das hatte gar keinen richtigen Schweif, nur die Schweifrübe, aber dann im L-Springen ist sie am Sprung richtiggehend explodiert. Ich habe diese Stute von Anfang an gemocht. Ich habe sie im selben Jahr noch zwei- oder dreimal gesehen und danach nie wieder. Bis uns eines Tages ein Bekannter anrief und sagte, er hätte da jemanden mit zwei Pferden und das eine sei viel zu kompliziert. Ob ich nicht mal Lust und Zeit hätte, mich auf das Pferd draufzusetzen. Ich war ein kleiner Junge, wir hatten nicht so viele Pferde im Stall und dachten, das können wir auf jeden Fall mal machen. Wir kamen am Stall an und dann stand da genau dieses Pferd von damals, Balou‘s Erbin! Jetzt hatte sie auch wieder einen langen Schweif. Ich dachte, das kann nicht sein! Ich kam gut mit ihr zurecht und mit dem anderen Pferd auch. Wir haben beide mit nach Hause genommen.
Wie ging es dort für euch weiter?
Im ersten halben Jahr habe ich mit ihr L- und M-Springen geritten, wir hatten immer ein, zwei Fehler, sie hat gebockt und war zickig, aber es wurde besser. Als Balou werden sollte, wir aber gemerkt haben, das kann noch was werden, haben wir sie gekauft. Und es hat sich genauso entwickelt. Dass ich ausgerechnet dieses Pferd bekomme, das mir nie aus dem Kopf ging, das war schon Wahnsinn.
Was ist Balou’s Erbin für ein Typ?
Auf jeden Fall eine sehr große Zicke. Auf Turnieren bin ich froh wenn ich eine Eckbox bekomme. Obwohl sie eine Stute ist, benimmt sie sich eigentlich wie ein Hengst. In Hamburg waren Gänge zwischen den Stallzelten und dort haben Pferde rausgeschaut. Wenn man mit der Balou da durchgelaufen ist, hat sie gebockt und war so übermütig. Sie zickt auch ihre beste Freundin an, aber sobald die Freundin fehlt, geht für sie die Welt unter. Im Parcours will sie immer nach vorne, buckelt auch. Sie hat viel Ehrgeiz, will immer auf die andere Seite und hat unheimlich viel Vermögen. Das ist richtig spitze.
Im vergangenen Jahr bist du das erste Mal beim Derby an den Start gegangen, wurdest auf Anhieb 15. Mit Balou’s Erbin. War das Derby für dich ein Kindheitstraum?
Ich weiß nicht, wie oft ich im Mai auf dem Sofa saß mit der Familie und wir immer dieses Hamburger Derby angeschaut haben. Dass ich das jetzt überhaupt mitreiten darf mit den ganzen Kameraleuten und all den Leuten außen rum, das war schon der Wahnsinn. Man muss natürlich auch das Pferd haben. Ich habe früher gar nicht gedacht, dass ich eventuell mal so ein Pferd im Stall stehen haben könnte, und schon gar nicht, dass es dann alles so schnell geht. Geträumt hab ich das damals nicht, weil für mich war der Traum ewig weit weg.
Wenn man so einen Erfolg feiert, so hoch gejubelt wird – wie hält man sich da auf dem Boden der Tatsachen?
Natürlich sorgt meine Familie dafür, aber auch viel ich selbst. Ab und zu erlebt man Reiter, von denen man denkt, die könnten ein bisschen netter sein. Am Ende sind es ja auch nur normale Leute wie alle anderen auch. Und da habe ich mir immer vorgenommen, falls ich irgendwann mal ein bisschen besser werde, dass ich immer bodenständig bleiben möchte. Ich möchte auch niemals den Kontakt zu den Pferden verlieren. Ich möchte sie nicht nur reiten. Mir ist wichtig, die Pferde auch selber mit fertigzumachen, zu füttern... Deswegen fass ich mir selbst an die Nase und bin der Meinung, dass ich ganz gut drauf aufpasse.
Vielen Dank für das Gespräch, Marvin.