Zum Inhalt springen

Drücken Sie Öffnen / Eingabe / Enter / Return um die Suche zu starten

Leseprobe: Barren oder Touchieren?

Kann Touchieren einen Lerneffekt haben?

Pferdetrainerin Andrea Kutsch hat sich die Trainingsmethode des Touchierens am Sprung auf Basis der Lerntheorien angeschaut. Im Interview erklärt sie, warum es aus Sicht dieser Grundlagen keine langfristigen positiven Effekte haben kann.

Ein Pferd bei der Landung - die aktuelle Frage lautet: wo landet das Touchieren?

Frau Kutsch, kann man das Touchieren, so wie es derzeit richtlinienkonform ist, als Trainingsmethode verstehen?

Ich will es mal so sagen: Es muss ganz klar unterschieden werden, ob ich einen Reiz nutze, mit dem ich ein Verhalten des Pferdes auslöse beziehungsweise erzwinge, oder ob ich einen Reiz nutze, der das Signal für das Präsentieren einer erwünschten Verhaltensantwort sein soll. Da dies von der FN nicht klar definiert ist, ist der Begriff des Touchierens eine Worthülse, die ein hohes Potenzial der eigenen Interpretation des Betrachters ermöglicht und somit weder für den erfahrenen Profi noch den Amateur oder Laien am Pferd überhaupt anwendbar ist.

Kann Touchieren auf wissenschaftlicher Basis im Rahmen der Lerntheorien einen Zweck erfüllen?

Aus dem Blickwinkel der Lerntheorien ist das eine Illusion. Faktenbasiert stellt man fest, dass weder für das Pferd noch für den Reiter ein dauerhafter Vorteil durch diese Trainingshilfe entsteht. Beobachten kann man immer nur eine kurzfristige Verbesserung. Eine anhaltende Verhaltensänderung, die auf Lernen beruht, stellt sich nicht ein.

Oberflächlich betrachtet würde man doch davon ausgehen, dass der unangenehme Reiz durch die Stange am Bein das Pferd dazu bringt, seine Beine dauerhaft mehr anzuziehen?

In der Wissenschaft sprechen wir von vier Grundformen des Lernens. Eine ist die operante Konditionierung. Danach muss der ausgeübte Reiz vom Pferd kontrolliert werden können, um einen Lerneffekt hervorzurufen. Es muss eine regelmäßige und unmittelbare Konsequenz zwischen seiner Reaktion und der Verstärkungen durch den Reiz wahrnehmen können. Beim Barren ist der Reiz mit der Stange für das Pferd allerdings unsichtbar. Es hat keine Möglichkeit, die Situation zu erfassen und sein Verhalten entsprechend anzupassen.

Ähnlich ist es bei der klassischen Konditionierung. Dazu brauchen wir für das Pferd eine kognitive Erklärungsalternative und das ist die Kontrolle. Nur, wenn es die Verstärkung so interpretieren kann, dass es sie durch seine Reaktion kontrolliert, kann dies zum Erfolg führen. In beiden Fällen geht es darum, dass das Pferd eine Verbindung zwischen dem Reiz und seiner Reaktion herstellen kann. Es muss also verstehen, dass es der Berührung mit der Touchierstange entgehen kann, wenn es die Beine höher anzieht. Doch das ist bei dieser Trainingshilfe eben nicht möglich.

Das Pferd wird also schlicht manipuliert. Es hat keine Möglichkeit, sich dem Reiz durch sein Verhalten zu entziehen, weil es zum einen gar nicht weiß, dass die Stange dort ist und zum anderen von außen ja absichtlich touchiert wird, unabhängig davon, wie hoch es letztendlich springt.

Richtig. Das Pferd erlebt, dass es sich, obwohl es das Hindernis visuell erfasst hat und Distanz und Höhe einschätzen konnte, getäuscht hat. Es kann aber an der visuellen Wahrnehmung nichts ändern, denn die bleibt ja gleich. Es wird also kurzfristig vorsichtshalber ein wenig höher springen, aber aufgrund des nicht erkennbaren Reizes keine dauerhafte Verhaltensänderung zeigen können. Der Lerneffekt im Sinne der Anwendung der Lerntheorien, indem es lernt, die Hindernisse selbst besser einzuschätzen, bleibt aus. Dazu kommt, dass das Sichtfeld des Pferdes vor dem Hindernis generell eingeschränkt ist. Es springt aus dem Gedächtnis, weil es das Hindernis aus seinem Blickwinkel kurz vor dem Absprung gar nicht erkennen kann. Es nimmt aber wohl wahr, was um es herum passiert. Entsprechend kann es durchaus den Helfer an der Seite des Hindernisses während des Sprungs sehen, aber zwischen dem Reiz und der eigenen Reaktion dennoch keine Zusammenhänge ziehen.

Hat Touchieren letztendlich dann überhaupt einen Effekt?

Es mag sein, dass Anwender der Trainingshilfe so empfinden. Aber dieser Effekt ist nur von kurzer Dauer und kann sich schlimmstenfalls auch ins Negative umkehren. Wir haben in Versuchen Pferde Reizen ausgesetzt, über die sie keine Kontrolle hatten. Dabei konnten wir feststellen, dass sie schnell verunsichert waren und ihr Verhalten mit jedem Versuchsdurchgang zunehmend passiver wurde und letztendlich in erlernter Hilflosigkeit endete. Das will letztendlich ja keiner, schon gar nicht im Top-Sport.

Aus lerntheoretischer Sicht wird es also Zeit, das Touchieren gänzlich zu verbieten?

Man muss sich schon die Frage stellen, warum man an der jahrhundertealten Trainingshilfe festhalten soll, wenn der Nutzen erfolgreiche und zufriedene Springpferde damit auszubilden bis heute nicht nachgewiesen werden kann. Es ist schon seit jeher bekannt, dass die Anwendung ein hohes Potenzial hat, Schaden auf psychischer oder physischer Ebene anzurichten. Zum einen können Studien ein eventuelles Schmerzempfinden des Pferdes während des Touchierens nicht verlässlich ausschließen und zum anderen wissen wir nicht, wie die unkontrollierbare Berührung psychisch erlebt wird. Weil das Pferd am Sprung generell in einem gewissen Anspannungszustand ist, kann man annehmen, dass die Ausschüttung von Endorphinen Schmerzen hemmt. Wenn dies zutrifft, was nicht nachgewiesen ist, kann man aber auch dann argumentieren, dass der Reiz lerntheoretisch keinen Effekt hat.

Barren oder Touchieren?“, lautet die „Streitfrage“ in unserer März-Ausgabe. Die Übergänge sind fließend, sagt FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach. Ob Touchieren am Sprung dann überhaupt regelkonform sein kann? Wir werfen einen Blick auf die Methode aus juristischer, biomechanischer und lerntheoretischer Sicht – die Antworten lesen Sie in der März-Ausgabe der Reiter Revue, die Sie hier versandkostenfrei bestellen können.