Leseprobe: Präzise reiten – Tipps von Olympiasieger Sönke Rothenberger
So gelingen Übergänge und Lektionen noch besser
Schludern ist nicht. Nicht an diesem Vormittag in der Reithalle des Reitvereins Albachten in Münster. Mannschafts-Olympiasieger Sönke Rothenberger ist zu Gast bei Familie Holkenbrink, gibt dort einen Lehrgang für einige Vereinsmitglieder, egal, ob sie in der Klasse E oder S reiten. Jedes Reiter-Pferd-Paar hat sein eigenes Thema und Sönke Rothenberger versucht in kürzester Zeit herauszufinden, welches das ist. Oft verstecken sich hinter den vermeintlichen „Baustellen“ ganz andere Probleme: die in der Kommunikation zwischen Pferd und Reiter. Präzises Reiten fordert Rothenberger an diesem Vormittag immer wieder – auf freundliche, nahbare, lockere, aber ebenso konsequente Art und Weise. Die ursprünglichen „Baustellen“ stehen plötzlich nicht mehr im Fokus, sie lösen sich nahezu nebenbei in Luft auf, weil die Basis eine andere wird. Nicht alles in zwei Tagen, doch einige Tipps und Denkanstöße tragen schon innerhalb dieser kurzen Zeit erste Früchte, wie diese Beispiele zeigen:
Präzise in der Hilfengebung
Der Wallach von Fabienne spult brav all seine Lektionen ab, nur wirkt alles, was er macht, ein wenig träge und freudlos. Möchte die Reiterin ihn oder vielmehr seine Hinterhand aktivieren, tickt sie ihn mit der Gerte an, reitet aber im Grunde so weiter wie zuvor. Die Reaktion des Wallachs ist gleich Null. „Und dann bringt das Ganze nichts. So könnte sie sich das Antippen auch sparen“, sagt Sönke Rothenberger. Besonders bei träge wirkenden Pferden schleicht es sich schnell ein, dass man wie einen Reflex stärkere Hilfen einsetzt: ein Anpuffen mit den Schenkeln hier, ein Anticken mit der Gerte dort, ein „Dauertreiben“, ein Bohren mit dem Sporen ... Um aus diesem Teufelskreis wieder herauszufinden, braucht es viel Konsequenz, fair, aber bewusst und präzise.
„Fordere eine Reaktion auf deine treibenden Hilfen!“, fordert Sönke Rothenberger. „Wenn du dafür die Gerte einsetzt, dann muss das Pferd darauf reagieren. Das heißt auch: Kommt auf das Antippen keine Reaktion, tippe es nochmal an, schnalze dazu, fordere es mehr auf, bleib‘ da dran. Ich möchte eine Reaktion sehen, ein Vorwärts, ein Angaloppieren, ein Bocken, irgendetwas. Jede Reaktion ist eine gute Reaktion! Und diese Reaktion darfst du nicht stoppen. Besser ist, passiv zu werden, sobald das Pferd reagiert. Damit es weiß, dass das eine richtige Antwort war.“ Die Reiterin soll ihre Hilfen viel bewusster einsetzen, nicht zwischendurch einfach so. Sobald der Wallach reagiert, soll die Reaktion der Reiterin ebenso prompt erfolgen. Das Pferd soll merken, dass seine Reaktion eine Antwort nach sich zieht, eine Kommunikation stattfindet. In Mini-Steps wird die Hilfengebung so leichter. Das Pferd wird mehr Freude am Vorwärts entwickeln, es wird wieder einen Sinn an seiner eigenen Reaktion erkennen.
Präzise in den Übergängen
„Bei den Übergängen kommt es nicht auf die Häufigkeit an, sondern darauf, wie gut du den Übergang reitest“, sagt Sönke Rothenberger, als Moritz mit seiner Stute ein wenig zu engagiert zu Trab-Galopp-Übergängen ansetzt. Diese wirken zunächst hektisch und eilig, die Stute nicht ganz zufrieden, sie verspannt sich im Rücken. Moritz soll die Übergänge gedanklich entschleunigen, mit der Hand ruhiger einwirken. Die Stute soll den Weg nach unten suchen, den Rücken öffnen, dann soll der Reiter zum Trab durchparieren und immer wieder daran denken, mit der Hand weich zu werden.
Auch bei Sophie und ihrem fünfjährigen Rock Forever-Nachkommen sind die Übergänge noch nicht ausgereift, bei den Galopp-Schritt-Übergängen springt er zum Teil noch auf zwei Beinen an. In diesem Fall eine Kraftfrage. Rothenbergers Tipp: Vom Hufschlag weg eine Volte anlegen, den Übergang zum Schritt zum Hufschlag hin reiten, denn die Bande bremst das Pferd automatisch ein wenig aus. „Das Pferd vor dem Übergang gedanklich vorne anheben wollen, dann fleißig Schritt reiten, das Pferd wieder gedanklich vorne anheben und angaloppieren.“ Jeder Übergang hat seine Bestandteile – diese präzise anzugehen, die jeweilige Gangart bewusst zu reiten, macht den Übergang so wertvoll.
Präzise in den Lektionen
Stark angefangen, schwach aufgehört – oft gesehen (und mindestens so oft selbst schludrig geritten). Aber Lektionen haben einen Anfang und ein Ende. Wer sie genauso reitet, gymnastiziert sein Pferd besser – auf dem Turnier bekommt eine sauber durchgezogene Lektion die höhere Note. Manchmal hilft ein kleiner Umweg: indem man die Lektion unterteilt. Ein gutes Beispiel liefert Fabienne mit ihrem Pferd in der Rechtstraversale. „Die ersten Tritte sind gut, dann wird sie schlechter“, bringt es Rothenberger auf den Punkt. Die Reiterin soll die Lektion aufbrechen: Sie soll ein paar Tritte in die Traversale reiten, konsequent und sauber, dann geradeaus weiter, dabei das Pferd nach rechts stellen, dann wieder für ein paar Tritte in die Traversale, wieder geradeaus und so weiter. Die Reiterin wird geschult, ihre Hilfen wirklich präzise einzusetzen, das Pferd wird geschult, diese besser anzunehmen.