Fragen aus dem Reiterleben
Warum ist Reiten lernen eigentlich so schwer?
An dieser Stelle beschäftigen wir uns mit Themen, die uns Reiter bewegen. Manche Fragen stellen wir uns bewusst, andere durchkreuzen hin und wieder unsere Gedanken, bleiben aber oft unbeantwortet. Wir sprechen sie an.
Als die erste Ausgabe unseres Online- Workshops „Reiten leicht und logisch“ mit Ausbilder und Autor Michael Fischer vor einigen Wochen zu Ende ging, schrieb uns eine Teilnehmerin: „Das war so toll erklärt. Ich habe vieles aus der Reitlehre vorher gar nicht richtig verstanden. Ich frage mich wirklich: Was habe ich die letzten 20 Jahre auf dem Pferd gemacht?“
Tatsächlich habe ich mich das auch schon mal bezogen auf meine reiterliche Entwicklung gefragt. Und wenn ich mit Trainern oder Reitern spreche, berichten sie ebenfalls in der Regel davon, dass sie heute vieles anders machen als früher. Dass sie in Sackgassen feststeckten, ihr Reiten reflektiert haben und erst im Laufe ihres Reiterlebens wirklich verstanden haben, was Pferd und Reiter zusammenbringt.
Ausbildungsbotschafter Christoph Hess sieht das positiv und sagt sogar, dass es diese Irrwege braucht, um den richtigen Weg wirklich zu verstehen. Was dies aber vor allem voraussetzt, ist zum einen den Willen, sich zu hinterfragen, den Mut, andere Wege zu gehen, und ganz viel Erfahrung, auf der man aufbauen kann. Kurzum: Das Leben ist zu kurz, um richtig reiten zu lernen.
Eine beliebte Frage von Nicht-Reitern ist, warum man denn nach so vielen Jahren noch immer Reitstunden nimmt. Man müsse doch langsam mal reiten können. Doch die Definition von Reiten ist aus dem Blickwinkel eines Außenstehenden eine andere als aus dem eines Reiters. Vermutlich lächeln Skilehrer nach einer Woche Skikurs auch milde über ihre Schüler, die behaupten, nun Skilaufen zu können: „Ihr habt doch keine Ahnung!“ Das wahre Reiten beginnt jedenfalls erst da, wo man versteht, wie sich kleine Balancestörungen im Sattel auf das Pferd auswirken, wann ein klemmender Schenkel wirklich ein klemmender Schenkel und eine weich federnde Hand wirklich weich federnd ist.
Jetzt folgt logischerweise die Frage: Und wann ist das so? Die wenigsten Reiter würden von sich behaupten, eine rückwärtswirkende Hand oder auch eine zu lose Zügelverbindung zu haben. Der Druck des Schenkels ist ebenso wenig definiert. Wo beginnt man denn zu klemmen und ab wann liegt das Bein locker, aber gleichmäßig an? Trainer werden mir zustimmen, wenn ich sage: Gefühle zu beschreiben, ist aussichtslos. Man muss es fühlen. Und das auf jedem Pferd neu.
Womöglich ist das die Antwort darauf, warum Reiten lernen so schwer ist. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich es jemals wirklich können werde. Wer es aber fühlt – nur für einen klitzekleinen Moment – der weiß, warum man süchtig danach wird, es zumindest zu verstehen.
Dieser Text ist erstmals erschienen in unserer Juni-Ausgabe 2021. Das Heft können Sie hier bestellen.