Im Interview: Michael Fischer
„Wir haben keine Reitlehre, nur eine Ergebnislehre“
Michael, du hast ein neues Buch veröffentlicht, nach „Reiten – leicht und logisch“ kommt jetzt „Einsheit – sein statt fordern“. Wen genau möchtest du mit diesem Buch ansprechen? Eher Reiter oder Trainer?
Ich habe schon gehofft, dass es sehr massentauglich ist, aber das wird sich zeigen, ob es mehr von Trainern angenommen wird oder auch von den Endverbrauchern. Tatsächlich ist es eigentlich eine Mischung. Der Trainer braucht Verständnis für den Schüler und andersherum. Keiner ist als Trainer geboren oder als Reiter, jeder hat einen Weg dorthin bestritten oder bestreitet ihn.
Möchtest du Mut machen, das Reiten und die Ausbildung darin entspannter anzugehen?
Das ist mir das Wichtigste: eine einfache Basis so klar darzustellen, dass jeder merkt, Reiten ist keine Doktorarbeit, es ist ein Weg. Nehmen wir als Beispiel das Laufen auf Stelzen. Wer anfängt, auf Stelzen zu laufen, der wackelt. Und jeder, der perfekt auf Stelzen laufen kann, weiß, wie es am Anfang war. Dieser Weg hat seine Ups and Downs. Ich vergleiche das Reiten gerne mit Laufen lernen. Wenn man sich die Skala der Ausbildung anschaut und ganz simpel betrachtet, erkennt man, dass eigentlich nur Laufen lernen beschrieben wird. Mehr ist es nicht.
Und das bei einer der komplexesten Sportarten? Das musst du genauer erklären.
Den ersten Punkt, den Takt, sollte man Balance nennen. Was ist das Erste, was ein Kind macht? Irgendwie gehen, sich ausbalancieren lernen. Der zweite Schritt ist dann erst der Takt. Das Gehen ist nicht mehr wackelig, sondern gleichmäßig und losgelassen. Die Anlehnung streichen wir, der nächste Punkt ist der Schwung. Das bedeutet einfach nur sportlicher laufen, schneller, dynamischer. Wenn ich einen Menschen laufen sehe, der nicht gut auf den Beinen ist, würde ich ihm nicht sagen: „Mach mal einen Sprung!“ oder „Lauf seitwärts.“ Diese Vereinfachung ist für mich wichtig.
Rührt daher der Titel „Einsheit“?
Ja, weil Reiter und Pferd einen Körper bilden.
Wie das?
Wenn man wirklich sagt, wir haben einen neuen Körper, der ist drei mal drei Meter groß. Einen Riesenkörper anstatt eines menschlichen und eines Pferdekörpers. Ich schlüpfe als Reiter in diesen Körper, wie in einen Avatar.
Der Untertitel des Buches lautet: „sein statt fordern“. Was genau meinst du damit?
Wenn man das Reiten in zwei Körpern denkt, kann ich dem anderen etwas abverlangen. Das ist ein bisschen Psychologie: In dem Moment, wo man jemandem anderen etwas abverlangt, sagt man indirekt dem eigenen Körper: du nicht. Man gibt Dinge ab, man geht vom eigenen Körper weg. Was passiert? Wir haben plötzlich zwei unterschiedliche Bewegungsmuster mit einem Ziel.
Heißt zum Beispiel: Das Pferd läuft zu viel nach links, ich möchte geradeaus laufen und steuere nach rechts, ich lenke, ziehe, probiere alles Mögliche. Hauptsache, das Pferd läuft gerade. Das wird wahrscheinlich sogar funktionieren, aber wir haben nicht einen gemeinsamen Bewegungsablauf, sondern zwei unterschiedliche, und dann ist eine Einheit nicht gegeben. Ich habe kein harmonisches Reiten, sondern eine Disharmonie.
Klassiker im Dressursport: der Reiter in Rückenlage. Der Reiter in Rückenlage möchte unbedingt, dass das Pferd aufrecht ist. Er lehnt sich zurück, und auf einmal hat man zwei unterschiedliche Bewegungsmuster für ein Ziel. Und das ist genau diese Disharmonie, die auch alle sehen und alle stört. Nur keiner kann es so richtig beschreiben. ...