Algen füttern: Meer fürs Pferd?
Lebertran – allein das Wort lässt viele schaudern. Besonders diejenigen, die als Kinder regelmäßig einen Löffel dieses dünnen, hellgelben Öls einnehmen mussten. Und das war zumindest in Deutschland in den 60er Jahren gang und gäbe. Jod, Phosphor, Vitamin E, A und D, aber vor allem Omega-3-Fettsäuren machten den fiesen Trank aus der Leber diverser Fischarten angeblich wertvoll und gesund! Lebertran ist schon lange out, aber es gibt einen neuen Trend, mit ganz ähnlichen Inhaltsstoffen: Algen. Sie sind in asiatischen Ländern traditionell Bestandteil der Nahrung, doch auch in Europa sind Algen auf dem Vormarsch – in Sushi oder auch als Salat in Delikatessläden zu finden, vor allem aber in der Nahrungsergänzung. Und das nicht nur für den Menschen, sondern auch für das Pferd. Wie im Lebertran ist eine hohe Dichte an Vitaminen und Mineralien enthalten, in manchen Algen auch an Omega-3-Fettsäuren, welche den Wert der Unterwasserpflanze ausmachen. Dabei steht die Nahrungsindustrie hier noch ganz am Anfang: „Es gibt eine sehr große Vielfalt an Algen und erst ein Bruchteil davon ist erforscht”, erklärt Dr. Christian Scheidemann, Agraringenieur und General Manager von Alltech Deutschland.
„Manche Algen sind reich an Mikronährstoffen, also Vitaminen und Mineralien oder Antioxidantien, andere sind besonders wertvoll aufgrund ihrer Aminosäurenzusammensetzung”, erklärt Dr. Scheidemann. „Bestimmte Algenarten weisen einen hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren auf, ähnlich wie sie in fettem Fisch, beispielsweise in Lachs, vorkommen. Besonders bedeutend sind dabei die Docosahexaensäure (DHA) und die Eikosapentaensäure (EPA). Diese haben nachweislich Wirkung bei Immunreaktionen und hemmen Entzündungsprozesse. Neue Studien untersuchen derzeit den Einfluss auf den Knochenstoffwechsel.“ Der Vorteil für die Pferdefütterung: Algen sind im Gegensatz zum Fisch vegetarisch und passen somit besser auf den hippologischen Speiseplan.
Diese Nährwerte bestätigt auch Dr. Dorothe Meyer. Ihr Unternehmen iWest entwickelt und vertreibt Futterergänzungsmittel fürs Pferd. Sie sagt: „Algen sind im Trend und natürlich besitzen Algen wertvolle Nährstoffe. Es stellt sich nur die Frage, inwieweit diese Nährstoffe in der natürlichen Nahrung eines Pferdes tatsächlich fehlen.“ So gibt Dr. Meyer zu bedenken: „Algen sind eiweißreich, sie enthalten Chlorophyll, liefern Mineralien wie Calcium, Phosphor, Magnesium, Kalium, enthalten Spurenelemente und Vitamine – aber all das liefert Gras auch“, so die promovierte Veterinärin. „Insofern sollten all die auf dem Markt angepriesenen Algen und ihr Nutzen für das Pferd, dessen natürliche Nahrung sich deutlich von der von uns Menschen unterscheidet, sachlich betrachtet werden.“
Bewiesene Wirksamkeit
Algen werden verschiedene Wirkungen nachgesagt. „In der Pferdefütterung werden zum einen Meeresalgen wie etwa die Braunalge und der Seetang eingesetzt“, erläutert Dr. Meyer. „Außerdem die Blau- und Grünalgen, die aber streng genommen keine Algen, sondern Cyanobakterien sind. Hier insbesondere die Spirulina und Chlorella.“ Letztere werde in Süßwasser gezüchtet. Den Cyanobakterien – oder auch Mikroalgen genannt – werde allgemein eine entgiftende Wirkung zugeschrieben. „Sie sollen darüber hinaus die Muskelbildung fördern, das Immunsystem und den Hormonhaushalt stärken“, so Dr. Meyer. Die Meeresalgen dagegen würden aufgrund ihres Gehaltes an Mineralien und Spurenelementen geschätzt und zudem ebenfalls entgiften.
„Es gibt einige wissenschaftliche Studien zur Wirkweise von Chlorella“, erklärt die Tierärztin. „Zum Beispiel zur Dioxinbindung und Blutdrucksenkung, aber auch zum Einsatz bei Fibromyalgie (Anm. d. Red.: Faser-MuskelSchmerz, chronisch und unheilbar), zum Schutz vor oxidativem Stress der Darmschleimhaut zur Ausscheidung von Schwermetallen und noch mehr. Studien zu Spirulina geben Hinweise auf niedrigere Blutfettwerte und ebenfalls eine Schutzfunktion bei oxidativem Stress (Anm. d. Red.: ein Ungleichgewicht der Stoffe, die die Entgiftungsfunktion der Zelle übernehmen).“
Konkreter fasst es Dr. Scheidemann zusammen: „Erste Beobachtungen zeigen, dass zum Beispiel Exzemer-Pferde gut auf den Einsatz der DHA-reichen Schizochytrium Alge reagieren“, erklärt er. „So kamen Sommerexzemer mit weniger Problemen durch den Sommer.“ Aber auch die Darmtätigkeit, insbesondere im Dünndarm, könne stabilisiert werden. Zuchtstuten und vor allem Fohlen profitierten von einem positiven Einfluss der DHA auf die Zell- und somit auch Hirnentwicklung, allgemein werde das Immunsystem gestärkt. Außerdem wird nicht nur vermutet, dass DHA maßgeblich den Knochenstoffwechsel unterstützt, sondern Untersuchungsergebnissen zufolge konnte durch DHA auch eine erhöhte Spermaqualität bei Deckhengsten nachgewiesen und die entzündlichen Prozesse bei Hufrehe konnten gemildert werden.
Algen nur unter besonderen Voraussetzungen
In einem sind sich beide Experten einig: Die Fütterung von Algenpräparaten sollte in jedem Fall gezielt und bedarfsgerecht erfolgen, also im Krankheitsfall oder bei starker Beanspruchung durch Sport oder Zucht. Und auch darüber herrscht Einigkeit bei Dr. Meyer und Dr. Scheidemann: Die Herkunft und Qualität der Alge ist enorm wichtig. „Speziell Meeresalgen enthalten teilweise sehr hohe Gehalte an Arsen und anderen hochgiftigen Schwermetallen, sowie ebenfalls Algentoxine“, warnt Meyer. Diese giftigen Substanzen lagern sich in Algen im Wildwuchs, die also frei im Meer wachsen, an. Wenn sich ein Pferdehalter also dazu entscheidet, Algen zu verfüttern, sollte er unbedingt darauf achten, dass diese aus kontrolliertem Anbau kommen und keine unerwünschten oder hochkonzentrierten Inhaltsstoffe wie beispielsweise Jod enthalten.
„Algen zu züchten ist durchaus aufwendig“, erklärt Dr. Scheidemann. „Bei uns werden sie in einem streng kontrollierten, geschlossenen System in sogenannten Fermentern angebaut und dort mit Trinkwasser und einer speziell auf den Bedarf abgestimmten Nährlösung versorgt. Es ist wichtig, dass nicht unkontrolliertes Meerwasser zugeführt wird, da hier die Gefahr von Kontamination zum Beispiel mit Schwermetallen sehr groß ist.“ Sind die Algen gereift, werden sie geerntet, entwässert und schonend getrocknet. Es entsteht ein bräunliches Pulver. Mit diesem Rohprodukt beliefert Alltech Futtermittelfirmen „und da ist die Verarbeitung meist in Ergänzungsfuttermitteln sehr vielfältig“.
In Algen ist viel Jod enthalten
Auch Dr. Meyer warnt vor unbedachter Algenfütterung, denn es gibt durchaus Studien, die sich mit den gesundheitlichen Risiken befassen. „Es wurden potenzielle Risiken durch die Alge Spirulina dokumentiert, betroffen sind hier Leber und Nerven“, erklärt die Veterinärin. „Außerdem enthalten Algen teilweise eben sehr hohe Gehalte an Jod.“ Da das Pferd gegenüber einer Überversorgung von Jod sehr empfindlich ist, sollten nur Meeresalgen mit einem durch Analyse nachgewiesenem Jodgehalt verfüttert werden und die Gesamtmenge an aufgenommenem Jod genau nachgerechnet werden. Konkret heißt das: Der Jodbedarf eines Pferdes von 500 Kilogramm liegt bei 1,5 bis maximal 2,5 Milligramm Jod pro Tag.
„Futtermittelrechtlich dürfen nach EU-Verordnung im Pferdefutter maximal vier Milligramm Jod pro Kilogramm enthalten sein“, erklärt Dr. Meyer. „Futtermittelherstellern ist es also nicht gestattet, ihrem Futter beliebig viel Jod zuzusetzen. Die Natur aber hält sich wenig an Höchstmengen der EU, Seetang der Gattung Laminaria enthält pro Kilogramm sage und schreibe 5.000 Milligramm Jod! Bei einer anderen Braunalge, Ascohyllum nodosum, finden sich vergleichsweise niedrige Jodgehalte von 500 Milligramm pro Kilogramm, die aber nach oben durchaus offen sind.“
Je nach Alge wäre ein Pferd bei einem Zusatz aus solchen Quellen in bedenklichem Maße überversorgt: „Knotige Veränderungen der Schilddrüse sind nicht nur Folge von zu wenig Jod, sie treten auch bei Überversorgung auf. Bei tragenden Stuten und neugeborenen Fohlen können Schilddrüsen- sowie Skelettveränderungen vorkommen. Diese toxischen Dosen werden bereits mit einer geringen Menge an Algenmehl erreicht“, warnt Dorothe Meyer. Das einstige Steppentier ist nun mal kein Seepferdchen und sei somit auch evolutionsbiologisch nicht an Nahrung aus dem Meer angepasst.
Und doch wandert diese längst in die Futterkrippen etwa in Form von Konzentraten, die aus der neuseeländischen Grünlippmuschel gewonnen werden und Bestandteil vieler Mittel zur Behandlung und Prophylaxe von Gelenkerkrankungen sind. Auch da gibt es große Unterschiede hinsichtlich der Qualität. Wie gesagt, entscheidend ist, was tatsächlich drin ist.
Der Artikel ist erstmals in der Februar-Ausgabe 2015 der Reiter Revue erschienen.