Pro und contra von unbegrenzter Heugabe
Ist Heu „all you can eat“ gesund?
Reiter Revue International: Wie gesund ist die Gabe von Heu „ad libitum“, also unbegrenzt, wirklich?
Dr. Dorothe Meyer: Heu ad libitum zu füttern, verhindert Fresspausen, verschafft den Pferden zudem die Möglichkeit, das Heu auszusuchen und vermindert Stress. Dies kommt dem Pferd, das als umherziehender Pflanzenfresser von Natur aus „immer im Essen steht“, am nächsten. Da beim Pferd unabhängig von der Nahrungsaufnahme ständig Magensaft gebildet wird, sollten im Interesse der Magengesundheit Fresspausen von mehr als vier Stunden vor allem auch nachts vermieden werden. Zudem sollte so gefüttert werden, dass Pferde möglichst viel Speichel zur Pufferung des Magensaftes bilden. Das kann im Grunde nur Heu leisten. Es benötigt rund vier Mal soviel Kauzeit wie Krippenfutter. Da der Speichel mit jedem Kauschlag aus der Ohrspeicheldrüse herausmassiert wird, ist eine möglichst lange Kauzeit Grundvoraussetzung für ausreichende Speichelbildung. Das ist auch wichtig, um den Nahrungsbrei möglichst gut zu verflüssigen.
Kann jedem Pferd unbegrenzt Heu gefüttert werden?
Die Antwort ist hier leider ein klares Nein. Heu ist ein Futtermittel, das wie jedes andere Energie liefert. Beim Heu kommt erschwerend hinzu, dass Heu nicht gleich Heu ist. Spät, am Ende oder nach der Blüte geschnittenes Heu ist wesentlich kalorienärmer, als zu Beginn bis Mitte der Blüte geerntetes Heu. Der Unterschied im Energieangebot kann rund zwei Megajoule pro Kilogramm betragen. Und die Schmackhaftigkeit und die Fressgeschwindigkeit der Pferde ist ebenfalls unterschiedlich.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Ein Pferd frisst bei Heu ad libitum-Gabe 2,5 Prozent seiner Körpermasse an Heu, das sind bei einem 600 Kilogramm schweren Pferd rund 15 Kilo Heu am Tag. Das Pferd benötigt für Erhaltung und Arbeit rund 88 Megajoule Energie pro Tag. Das wäre bei der Heumenge und für den Fall, dass das Heu nach der Blüte geerntet ist (Energiegehalt 6 Megajoule/kg) bereits ausreichend, um seinen gesamten Energiebedarf zu decken. Bekommt das Pferd allerdings Heu mit höherem Energiegehalt, beispielsweise Mitte der Blüte geschnitten mit einem Energiegehalt von 6,9 Megajoule Energie, so würde es rund 14 Megajoule mehr an Energie pro Tag bekommen, als es benötigt. Kurzum: Das Pferd würde dick werden. Faustregel ist also: Je mehr ein Pferd frisst und je besser die Heuqualität ist, desto größer ist die Gefahr, dass Pferde bei einer ad libitum Heufütterung zu dick werden, wenn sie nicht ausreichend bewegt werden.
Muss ich bei der Gabe von Heu ad libitum das Kraftfutter anpassen?
Selbstverständlich! Je mehr Heu gefressen wird, desto weniger Kraftfutter muss oder darf gefüttert werden. Ein Kilo Hafer liefert rund elf Megajoule Energie, gutes Heu bereits rund sieben Megajoule.
Wie viel Heu sollte ich leichtfuttrigen Pferden zur Verfügung stellen?
Zur Gesunderhaltung des Verdauungstraktes, zur Vermeidung größerer Fresspausen und Stress sollten im Minimum 1,8 Prozent der Körpermasse an Heu gefüttert werden, besser 2 Prozent der Körpermasse. Ein Pferd würde lieber 2,5 Prozent seines Körpergewichtes an Heu bekommen, aber dann muss es entsprechend bewegt werden. Das ist das größte Problem, der leichtfuttrigen Pferde: Sie werden zu wenig bewegt. Die bei ihnen am meisten bewegte Muskulatur ist die Kaumuskulatur!
Bei welchen Pferden ist die Gabe Heu ad libitum ideal?
Das geht bei den Tieren, die ausreichend arbeiten und über ein perfektes Regulationsvermögen bei der Futteraufnahme verfügen. Sprich, sie bleiben von sich aus im Energiegleichgewicht, weil ihr Heuverzehr ihrem Energiebedarf angepasst wird.
Was sollte ich bei meinem Pferd beobachten, bevor ich mit der Gabe von Heu ad libitum beginne?
Pferde, die bisher rationiert gefüttert wurden, werden zu Beginn der Umstellung auf ad libitum Heufütterung mehr Heu aufnehmen. Das wird sich normalerweise aber in wenigen Tagen einpendeln. In der Regel reguliert sich die Fressgeschwindigkeit und die Gesamtfutteraufnahme nach spätestens zwei Wochen von alleine. Aber es gibt durchaus Pferde, die extrem schnell Heu fressen und deren Futteraufnahme unzureichend selbst reguliert wird. Vor der Umstellung auf ad libitum Heufütterung sollte man dem Pferd drei Kilo Heu hinlegen und die Zeit stoppen, wie lange es dauert, bis diese drei Kilo vollständig gefressen sind, um errechnen zu können, welche Mengen das Pferd in welcher Zeit frisst.