Aortenriss bei Pferden
Wenn elf Pferde bei einem Rennen starten, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, den ersten, zweiten und dritten Platz richtig zu tippen? Ungefähr genauso wie die, dass eines dieser Elf auf der Strecke mit einem Aortenriss zusammenbricht. Etwa ein Promille. „Statistisch gesehen stirbt jährlich eines von eintausend Rennpferden während des Wettkampfs an einer Aortenruptur, also an einem Riss der Hauptschlagader“, weiß Dr. Volker Sill von der Tierklinik Bargteheide in Schleswig-Holstein. Um eine typische Vollblut-Krankheit handelt es sich keinesfalls. „Grundsätzlich kann es jedes Pferd jeder Rasse und jedes Alters treffen. Auch das Shetlandpony auf der Koppel kann eine Aortenruptur erleiden. Bei einem Freizeitpferd, das plötzlich stirbt, wird nur eben häufig keine Obduktion gemacht. Es sind einfach zu wenige Fälle bekannt, deswegen gibt es keine verlässliche Statistik“, so der Pferdefachtierarzt.
Plötzlicher Tod
In den Fokus der Öffentlichkeit rückt die Todesursache Aortenruptur immer wieder dann, wenn sie im Spitzensport auftritt. „Wenn Pferde in der Öffentlichkeit an einer Aortenruptur sterben, ist das für Außenstehende immer ein Schock. Das sind hochdramatische Bilder, die das Publikum beängstigen. Man kann jedoch sagen, dass die Aortenruptur sehr, sehr weit hinten in der Liste der Todesursachen von Pferden liegt“, beruhigt Dr. Albrecht Uhlig, Fachtierarzt für Pferde und Innere Medizin. Der Tod tritt schnell ein: „Der Tod tritt sehr plötzlich und ohne Vorzeichen ein. Die Pferde erscheinen topfit und auf einmal ringen sie nach Luft, zittern, schwanken, fallen schließlich um und sterben nach einer kurzen Erregungsphase, noch bevor ein Tierarzt überhaupt einschreiten kann“, beschreibt Dr. Albrecht Uhlig den spezifischen Verlauf eines Aortenrisses.
Ungeklärte Ursache
Letztendlich sterben die Tiere an akutem Blutverlust. Die Schleimhäute werden porzellanweiß, weil sich das gesamte Blut im Brustkorb, also in Herz und Lunge sammelt. Manchmal weisen die Pferde daher auch einen schaumig-blutigen Nasenausfluss auf. In seltenen Fällen, wenn der Riss der Aorta nicht so groß ist, dass das Pferd unmittelbar von innen verblutet, kommt auch eine Herztamponade als Todesursache in Frage. Dabei setzt sich das geronnene Blut im Herzen fest und hindert es am Schlagen. Innerhalb weniger Minuten kommt es zum Stillstand. Aber warum versagt die Hauptschlagader überhaupt? „Die Aorta ist von allen Blutgefäßen der höchsten Druckbelastung ausgesetzt, denn durch sie werden in kurzer Zeit große Mengen Blut direkt vom Herzen in den Körper gepumpt“, erklärt Volker Sill. „Direkt am Herzaustritt, also am Ursprung der Aorta, ist der Blutdruck dementsprechend am allerhöchsten, dort entsteht am häufigsten die Ruptur.“
Über die genaue Ursache kann man nach heutigem Wissensstand jedoch nur spekulieren. Die Aorta besteht aus drei Schichten. Aufgrund des extremen Drucks können kleinere Einrisse in der innersten Gefäßschicht entstehen, wodurch Blut in die äußeren Schichten eindringt und es peu á peu zu Vorschädigungen kommt, sodass die Perforationsstelle irgendwann explodiert. Angelehnt an die Humanmedizin könne man auch von Gefäßerkrankungen wie Arteriosklerosen, also Arterienverkalkungen, ausgehen, die zum Riss führen. Aber auch angeborene Defekte wie Gefäßmissbildungen oder spezifische Stoffwechselstörungen kommen laut Uhlig in Frage.
Keine Symptome
Es kann außerdem durchaus vorkommen, dass ein sogenanntes Aneurysma, eine Gefäß-Ausbeulung, einer Aorten-Ruptur vorausgeht. Dabei bildet sich eine Art Tasche an der Aorta, die die Gefäßwand auf Dauer verdünnt, woraufhin diese schließlich platzt. „Im Gegensatz zum Humanbereich sind massive Vorschäden bei den betroffenen Pferden jedoch kaum vorhanden. Bei Obduktionen findet man oft lediglich den Riss an sich und keine degenerativen Veränderungen in der Gefäßstruktur“, gibt Dr. Sill zu bedenken. Daher ist eine Früherkennung der Krankheit im Grunde nicht möglich, nicht nur weil das Pferd im Vorfeld keine Symptome zeigt: „Mit den Techniken, die uns heute zur Verfügung stehen, kann man das Herz und auch den Aortenbogen sehr schön darstellen. Man wird bei der Untersuchung aber keinerlei Hinweise darauf finden können, dass dort einmal etwas rupturieren kann“, so Dr. Uhlig. „Selbst bei Menschen ist es ja so, dass die Diagnose häufig erst gestellt wird, wenn schon eine Blutung und eine Symptomatik da sind“, hakt Dr. Sill ein. „Wenn die Patienten dann nicht unmittelbar unters Messer kommen, verbluten sie.“
Wallache und Hengste sind gefährdeter
Beim Blick auf bekannte Fälle fällt eines auf: Meist sind Wallache oder Hengste betroffen. „Eine Geschlechtsdisposition wäre denkbar. Ich selbst habe Aortenrupturen ebenfalls vorwiegend bei männlichen Pferden beobachtet“, räumt Dr. Sill ein. „Es mag sein, dass die Gefäßwand von Stuten durch geschlechtshormonelle Einflüsse etwas geschützter ist. Es ist ja auch im Humanbereich so, dass deutlich mehr Männer an Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden als Frauen.“ Dass im Hochleistungssport mehr Wallache und Hengste von Aortenrupturen betroffen sind, könnte allerdings auch daran liegen, dass Stuten in der Regel früher aus dem Sport ausscheiden, um züchterisch genutzt zu werden. Darauf weist Albrecht Uhlig hin. „Auch bezüglich einer möglichen Geschlechtsspezifik fehlen einfach die Fallzahlen.“
Was lässt sich also festhalten? Aortenrupturen sind nicht im Hochleistungssport verankert, sie sind kein Rassen-Phänomen, es gibt keine erwiesenen Auslöser und keine bekannten Vorbeuge-Maßnahmen.