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Zehn Fakten zum Widerrist

Das müssen Sie über den Widerrist wissen

Ein markanter Höcker verbindet den Pferdehals mit der Rückenpartie. Seine Anatomie ist außergewöhnlich, seine Funktion vielfältig. Ein Blick auf den Widerrist lohnt sich!

Oftmals wird der Widerrist wenig beachtet. Er liegt im Schatten zwischen der vielbeachteten Rücken- oder Halsmuskulatur. Ein großer Fehler!

Länge macht’s

Die Dornfortsätze des zweiten bis zwölften Brustwirbels ragen zwischen den Schulterblättern hervor und bilden den Widerrist des Pferdes. „Die Länge der Dornfortsätze bestimmt die Form und Kontur des Widerrists“, sagt Michaela Wieland, Pferdeosteo- und Physiotherapeutin aus Bönnigheim. Um die 20 Zentimeter lang sind die Dornfortsätze im Bereich des Widerrists! Schweifwärts werden sie kürzer. An den Dornfortsätzen des Widerrists setzt das Nackenband an. Das kräftige Band kommt vom Genick, verläuft entlang des Mähnenkamms und zieht ab dem Widerrist weiter bis zum Kreuzbein. Ein etwa vier Zentimeter langer Schleimbeutel im obersten Bereich des Höckers verhindert, dass Sehnen und Knochen aneinander reiben.

Hebelwirkung

Die hebelartige Widerristkonstruktion ermöglicht dem Pferd, seinen langen, muskulösen Hals beinahe mühelos zu heben und zu senken, und dem Bauch entgegenzuwirken – so wie man es in der Nickbewegung beispielsweise im Schritt wunderbar erkennen kann. „Der Widerrist, mit dem Brustbein als Gegenpol, ist der Schlüsselpunkt für eine physiologische, korrekte Rückentätigkeit“, erklärt Michaela Wieland. „Das Pferd muss sich im vorderen Rumpf anheben, um die Bauchmuskeln zu aktivieren. Der Pferdehals soll sich aus dem Widerrist heraus tragen. Verantwortlich dafür sind die sogenannten ‚Träger’ des Halses, wie der vordere Sägezahnmuskel. Sie überbrücken Widerrist und Halswirbelsäule.“ Diese Träger brauchen langes, gründliches Training und viel Zeit. Der Aufwand lohnt sich. Läuft „Träger-technisch“ alles richtig, wird das Pferd also korrekt ausgebildet, entwickelt es einen wohlgeformten Hals. „Sind die Träger schlecht ausgeprägt, entsteht vor dem Schulterblatt ein Loch und im schlechtesten Fall ein zu kräftiger Unterhals“, sagt Michaela Wieland.

Auf gleicher Höhe

Egal wie hoch es seinen Hals reckt, das Pferd ist immer nur so groß, wie es am Widerrist gemessen wird. Der Widerrist erreicht bei normalem Wachstum die gleiche Höhe wie die Kruppe. Übrigens haben nicht nur Pferde einen Widerrist, auch Hunde, Katzen, Giraffen und Elche beispielsweise. Für alle gilt, je länger der Hals oder schwerer der Kopf, desto ausgeprägter der Widerrist.

Fein wie Carpaccio

Auch der Widerrist ist umgeben von Muskulatur. Zum Teil ist sie hauchdünn, „fast wie Carpaccio“, vergleicht Michaela Wieland. Gemeint ist der Trapezmuskel, der am höchsten an der Oberfläche liegt und von der Brust- und Halswirbelsäule trapezförmig an die Schulterblattgräte zieht. Ein Mythos sei es, dass Gewebeschwund des Trapezmuskels bei manchen Pferden zu einer Art „Loch“ hinter dem Schulterblatt führe. „Er kann niemals eine solche Muskellücke verursachen“, meint die Osteotherapeutin, dafür fehlt es ihm schlichtweg an Masse. Neben dem Trapezmuskel gibt es am Widerrist noch den langen Rückenmuskel, der Bewegung und Kraft von hinten nach vorne leitet, den Rhomboideus-Muskel, der das Vorderbein bewegt und den Hals hebt, sowie den Dornfortsatzmuskel, der bei korrekter Rückentätigkeit arbeitet und die Fläche hinter dem Schulterblatt ausfüllt.

Rücken, die entzücken

„Jedes Pferd hat genetisch ein vorgegebenes Exterieur und somit auch eine angeborene Rückenlinie“, erklärt Michaela Wieland. Ein Stück weit beeinflusse auch das Training die Ausprägung des Widerrists. „Sackt das Pferd im Brustkorb nach unten weg, weil es beispielsweise zu sehr auf der Vorhand geritten wird oder seine Halseinstellung zu eng ist, wird der Widerrist markanter. Im Prinzip ist er dann schlechter bemuskelt.“
Landeplatz: Nicht die wichtigste Funktion des Widerrists, aber eine mögliche.

Podestplatz

Die Aufstiegshilfe ist wohl für jeden Widerrist die beste Erfindung der Welt – das Aufsteigen vom Boden aus dagegen ist Gift. „Durch die Länge der Dornfortsätze wirkt ein extrem großer Hebel auf die Wirbelgelenke in der Tiefe und das bei einseitiger Belastung“, sagt Wieland. Ohne Aufstiegshilfe ist die Belastung dreimal so stark wie mit Hilfe eines Podests. Je höher die Aufstiegshilfe, desto geringer die Belastung, haben britische Wissenschaftler herausgefunden.

Fühl dich wohl!

Pferde lieben Berührung. Für so soziale Lebewesen ist die sogenannte „taktile Kommunikation“ entscheidend fürs Seelenheil. Besonders intensiv knabbern Pferdefreunde gerne im Bereich des Widerristes – im Schnitt übrigens drei Minuten lang. Warum gerade am Widerrist? Dr. Barbara Schöning, Fachtierärztin für Verhaltenskunde und Tierschutz aus Hamburg, meint, ein Grund könne sein, dass Pferde gerade in diesem Bereich nicht gut selbst Fellpflege betreiben könnten. „Es ist also nett, wenn jemand anderes das für einen übernimmt“, sagt sie. „Auf der anderen Seite ist der Widerrist ein ‚verwundbarer’ Bereich: Er wird vom Blickfeld nicht abgedeckt und es setzt viel Vertrauen voraus, dort jemanden ‚herummachen’ zu lassen.“

Ommm ...

„Beim Allogrooming, dem gegenseitigen Beknabbern, kommt es bei beiden Partnern zu einem Absinken von Herz- und Atemfrequenz“, beschreibt Barbara Schöning den Effekt der hippologischen Wellness-Einheit. Körper und Mimik sind entspannt, die Augen weit und unfokussiert, der „Masseur“ knabbert mit lockeren Lippen oder mit den Zähnen. Das beknabberte Pferd schiebt genüsslich die Oberlippe vor.

Gut gesattelt

Der Widerrist bestimmt die Sattellage des Pferdes. Ein hoher Widerrist ist ebenso schwer zu bestücken wie ein flacher Widerrist. Bei der Sattelsuche gibt es viel Irrglauben. Wieland: „Ein Mythos ist, dass bei Ponys ein extra breiter Wirbelkanal nötig ist. Ihr Widerristbereich ist zwar breit, aber die Wirbel sind schmal. Ein breiter Wirbelkanal drückt oft zu weit seitlich auf die empfindlichen Rippengelenke.“

Ziemlich beste Freunde

Was Pferde untereinander an Fellpflege am Widerrist anbieten, darf der Mensch gerne übernehmen, meint Verhaltensexpertin Schöning. Ob vom Boden aus beim Putzen oder als Lob oder Beruhigung vom Sattel aus. „Das Kraulen am Widerrist ist eine gute Möglichkeit, dem Pferd zu zeigen, dass man seine Sprache versteht und Interesse an einer freundschaftlichen Bindung hat.“ Aber aufgepasst, es gibt Risiken und Nebenwirkungen! „Pferde knabbern dann eventuell auch am Menschen, alles andere wäre für sie unverständlich. Man muss dies zulassen und in erwünschte Bahnen lenken. Man kann dem Pferd beispielsweise erlauben, am Arm oder an der Hand zu knabbern, wenn man eine bestimmte Jacke anhat“, gibt Barbara Schöning als Tipp.