Im Interview: Prof. Dr. Lutz S. Göhring
"Es wäre sehr wünschenswert, dass mindestens 70 bis 80 Prozent aller Pferde geimpft werden"
München – Prof. Dr. Lutz S. Göhring ist Leiter der Abteilung Innere Medizin und Reproduktion der Klinik für Pferde an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Interview gibt er viele Informationen über das Virus und den Umgang mit erkrankten Pferden.
RRI: Woran kann ich bei meinem Pferd erkennen, dass das Herpes-Virus ausgebrochen ist?
Wenn ein Pferd akut neurologisch wird, also Ausfallerscheinungen im Gangbild zeigt, sich schwankend bewegt und es zu Lähmungen der Gliedmaßenmuskulatur kommt, sind das Hauptkennzeichen. Wenn Stuten auf dem Hof Aborte haben, also trächtige Stuten die Fohlen verlieren, könnte das auch ein Hinweis auf eine Bestandsinfektion sein. Ein wichtiges Kennzeichen ist Fieber. Wenn mehrere Pferde zeitgleich Fieber zeigen, sollte man nervös werden, da man es dann mit etwas Ansteckendem zu tun hat. Auch Mattigkeit, Appetitlosigkeit, und in seltenen Fällen dicke Beine und Unterbauchödeme sind Symptome. Bei all diesen Anzeichen sollte der Tierarzt einen Erregernachweis einleiten, nur so kann man adäquat reagieren, um Folgeerscheinungen einer Infektion zu verringern.
Wie verläuft die Krankheit?
Der Verlauf ist unterschiedlich. Es gibt bis zu drei aufeinander folgende Phasen. Ein Großteil der infizierten Pferde macht ‚nur‘ die erste Phase durch. Das ist eine häufig unscheinbare Infektion der oberen Atemwege. Darunter fallen Hals, Nase und Rachen. Es kommt zu Nasenausfluss, Fieber, Mattigkeit, und die Lymphknoten zwischen den Unterkieferästen erscheinen schmerzhaft. Etwa ein Drittel der erkrankten Pferde macht auch die zweite Phase durch. Da wird die Erkrankung virämisch. Von den Atemwegen gelangt das Virus in die Lymphknoten der Atemwege und streut von da aus in den ganzen Körper. Die Phase der Virämie kennzeichnet sich durch sehr hohes Fieber von 39 bis 40 Grad, das bis zu sieben Tage andauern kann. Es endet abrupt. Bei wenigen Pferden folgt die Neurologie. Zwischen Festliegen und einem ataktischen Gang ist alles möglich.
Wie kann der Tierarzt dem erkrankten Pferd helfen?
Es stehen beschränkte therapeutischen Maßnahmen zur Wahl, wenn ein Pferd virämisch ist, um Nervenerkrankungen vorzubeugen. Durch das Fieber kann es zur Infektion der kleinen Blutgefäße im Rückenmark kommen. Das soll mit fiebersenkenden Mitteln verhindert werden. Die andere Möglichkeit sind sogenannte Virostatika. Das sind Medikamente, die die Virusvermehrung hemmen. Auch sie sollen die Wahrscheinlichkeit für die Infektion in den Gefäßen im Rückenmark verringern. Die virushemmenden Mittel sind sehr umstritten, da sie hohe Kosten verursachen, aber im Experiment bis jetzt nicht schlüssig verifiziert werden konnte, dass sie wirklich helfen. Wenn die neurologische Form auftritt, können Entzündungshemmer eingesetzt werden und der Patient hat Boxenruhe. Die Blasenfunktion und der Harnabsatz müssen unbedingt überwacht werden. Es kann notwendig sein, einen Katheter zu legen.
Besteht ein Infektionsrisiko für Menschen?
Nein. Das einzige Problem ist, dass ein Mensch, wenn er von Tier zu Tier geht, selber Überträger werden kann.
Welche Maßnahmen kann ich treffen, um zu verhindern, dass das Virus mein Pferd befällt?
Das Virus überträgt sich durch Tröpfcheninfektion und durch Schmierinfektion bei direktem Nasenkontakt. Die EHV-1-Infektion bricht vor allem in den Winter- und Frühjahrsmonaten aus. Da ist eigentlich immer ein Pferd der Auslöser, das dieses Virus in den Stall bringt, wenn es von einer Verkaufsveranstaltung oder vom Turnier zurückkommt. Bei heimkehrenden Pferden ist ganz wichtig, dass man für zwei bis vier Tage Fieber misst und schaut, ob sie gesund sind. Ein neues Einstellpferd soll am besten für 14 Tage in Quarantäne gehen. Schmierinfektionen können auch auftreten, wenn Pferde aus derselben Schüssel fressen. Das Virus kann durch belebte und unbelebte Objekte übertragen werden, also auch durch Hände, Putz- und Zaumzeug. Auch Tränken sind berüchtigt! Man sollte bei seinem Pferd prophylaktisch täglich Fieber messen, damit man weiß, welche Grundtemperatur es hat und Fieber frühzeitig erkennt.
Welche Pferde sind besonders gefährdet?
Jeder Einhufer kann mit EHV-1 infiziert werden. Die neurologische Komplikation sehen wir vor allem bei Pferden zwischen fünf und 15 Jahren. Eventuell sind weibliche Tiere empfindlicher für die neurologische Form und die großen Rassen, wie Warmblüter, Englische Vollblüter, Traber, Kaltblüter, Andalusier und Quarter Horses. Je kleiner, je geringer das Risiko für die neurologische Form.
Welche Maßnahmen müssen in einem Stall ergriffen werden, in dem der Infekt ausgebrochen ist?
Es sollte versucht werden, die Übertragung einzudämmen, indem man den Kontakt zwischen infizierten und gesunden Pferden unterbindet. Da müssen Stalltrakte unter Quarantäne gestellt werden. Wenn die Boxen durch Gitterwände getrennt sind, muss man sie mit Plastikfolie abdichten. Direkter Nasenkontakt darf nicht stattfinden.
Wäre eine Impfpflicht sinnvoll?
Es wäre sehr wünschenswert, dass mindestens 70 bis 80 Prozent aller Pferde geimpft werden. In den Zeiten, in denen auf Gestüten noch nicht geimpft wurde, gab es regelrechte Abortausbrüche, das heißt, dass etwa 40 bis 60 Prozent aller Stuten auf einem Gestüt durch die EHV-1 Infektion ihr Fohlen verloren. Nach flächendeckender Einführung der Impfung sanken die Abortzahlen ganz deutlich. Heute sind es Einzelfälle. Eine Impfpflicht für Turnierpferde kann den Stallausbruch nur verhindern, wenn auch die Freizeitpferde und Zuhause-Bleiber geimpft werden.
Sollte die Krankheit besser meldepflichtig sein?
Ja! Der Tierarzt kann über Schnelltests den Virusnachweis erbringen. Bei EHV-1 sollte das Veterinäramt verständigt werden. Dieses kann dann nach einem angemessenen Zeitraum die Quarantäne wieder aufheben. Eine Herpeserkrankung ist kein dauerhafter Makel für den Stall oder die Pferde, die diese Infektion durchlaufen haben. Zwar bleibt das Tier dauerhaft infiziert, allerdings handelt es sich hier um eine schlafende, latente Infektion. Das Reaktivieren aus der Latenz benötigt besondere (Stress-)Umstände sowie weitere Risikofaktoren und ist daher selten.
Das Interview erschien in der Reiter Revue 5/16.