Embryotransfer bei Stuten
Profit zulasten der Gesundheit?
„Beim Embryotransfer handelt es sich um einen manipulativen Eingriff, bei dem das Finanzielle im Vordergrund steht“, findet Dr. Andreas Franzky, stellvertretender Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz. Seines Erachtens geht es um Profit. Anders sehen es Tierärzte, die Embryotransfer (ET) in ihren Kliniken anbieten oder in dem Bereich forschen. Für sie ist es eine Möglichkeit, endlich die gute Genetik vieler Sportstuten nutzen zu können. Gene, die sonst vielleicht nie weitergegeben würden. „Es ist mehr als schade, dass so viele gute Stuten nicht in der Zucht genutzt werden. Die maternale Genetik ist viel zu lange kaum beachtet worden. Der Embryotransfer dient dem Zuchtfortschritt“, findet zum Beispiel Prof. Dr. Johannes Handler, der die EU-Embryotransferstation des Pferdezentrums Bad Saarow leitet. Ein Verfahren – zwei Meinungen. Und was ist die Wahrheit? Geht der Zuchtfortschritt zulasten des Pferdewohls? Nehmen die Stuten gesundheitliche oder mentale Schäden durch ET?
Kein Gefühl von Mutterglück
„Nein“, lautet die klare Antwort von Prof. Dr. Christine Aurich. Sie leitet die Besamungs- und Embryotransferstation der Vetmeduni Vienna. Pro Jahr transferiert sie zwar nur etwa 20 Embryos für Stuten von Züchtern, aber für Forschungszwecke sind es mehrere hundert pro Jahr. Christine Aurich stellt sich immer wieder der Frage, wie die Spenderstuten den Verlust verschmerzen. „Ganz einfach: Für sie ist es kein Verlust. Wir gewinnen den Embryo zu einer Zeit, in der die Stute noch gar nicht mitbekommen hat, dass sie tragend ist.“ Im Gegensatz zur schnellen Hormonumstellung beim Menschen erfolgt die maternale Erkenntnis beim Pferd nämlich erst etwa am 13. Tag nach dem Eisprung. Bereits am siebten oder achten Tag wird der Embryo aber schon entnommen. „Bei der Frau hat da schon längst die Hormonausschüttung eingesetzt, bei der Stute schwimmt die Blastozyste hingegen noch unerkannt in der Gebärmutter“, klärt Christine Aurich auf. Auch die Gebärmutter der Stute sei zu diesem Zeitpunkt noch unverändert, fährt die erfahrene Tierärztin fort.
Um den Embryo zu gewinnen, wird die Gebärmutter der Spenderstute gespült. Mehrfach hintereinander. Dafür führt der Tierarzt einen Spülkatheter durch den Gebärmutterhals ein und fixiert ihn mithilfe eines Ballons vor dem Muttermund. Dann füllt er eine Embryo-Spüllösung ein, die über den zweiten Schenkel des Schlauchs nach wenigen Minuten wieder abgelassen wird. Die Lösung fängt der Tierarzt auf, filtert sie und sucht so nach dem wenige Mikrometer großen Embryo.
Mehrere Liter für einige Mikrometer
„Um sicherzugehen, dass sich nach der Spülung kein Embryo mehr in der Gebärmutter befindet, wird die Stute mehrfach gespült. Meist sind es zwei Mal vier Spülungen“, ergänzt Dr. Jutta Sielhorst von der Tierärztlichen Klinik Karthaus in Dülmen. Macht rund acht Liter Flüssigkeit. „Bei Maidenstuten kann auch mit wenig Flüssigkeit ein leichter Dehnungsschmerz auftreten. Das ist alles“, klärt Johannes Handler auf. Die Wahrscheinlichkeit auf diese Weise einen Embryo zu finden, liegt bei gut 70 Prozent – insofern die Stute mit Frischsperma eines fertilen Hengstes besamt worden ist. Ist die Spenderstute schon älter und wurde TG-Samen eingesetzt, sinkt die Wahrscheinlichkeit auf 40 bis 50 Prozent, räumen die Experten ein. Die Chance, dass die Empfängerstute wiederum trächtig wird, beläuft sich auf 80 Prozent.
Das ist keine schlechte Rate. Aber auch keine hohe, wenn man bedenkt, dass die Kosten für einen Embryotransfer bei etwa 500 Euro liegen. Hinzu kommen der Preis der Besamung und eventuell die Kosten für die Empfängerstute, die der Züchter manchmal erst leasen oder kaufen muss. „Die Kosten für ein ET-Fohlen sind dann etwa um 5.000 Euro höher als die für ein normales Fohlen“, sagt Christine Aurich. Viel Geld, das beim Verkauf erst wieder in die Kasse kommen muss. Der Fohlenmarkt in Deutschland ist nicht einfach. Für einige überdurchschnittliche Fohlen gibt es finanzstarke Käufer, aber der Großteil wechselt für weniger als 10.000 Euro den Besitzer.
Kann es beim Embryotransfer um Gewinnmaximierung gehen? Eine Frage, auf die es keine klare Antwort gibt. Züchten ist immer Hoffen und Bangen. Niemand weiß, ob das Fohlen gesund zur Welt kommt und ob es die großen Erwartungen erfüllen kann. Kann eine Weihegold mit Sicherheit Medaillengaranten in Serie produzieren? Nein. So einfach ist Zucht trotz des medizinischen Fortschritts nicht. Erfahrungsgemäß verkaufen sich Fohlen erfolgreicher Sportstuten gut. Eine Garantie gibt es nicht.
Die gab es auch nicht für die Züchter von Fiontini und Fiontina, jenen Schwestern, die 2015 bei der Weltmeisterschaft der fünfjährigen Dressurpferde auftrumpften. Fiontini holte Gold, ihre Vollschwester Fiontina Silber. Der Supercoup – in züchterisch und sicher auch finanzieller Hinsicht – des „doppelten Fiontinchen“ gelang der Zuchtgemeinschaft Lund in Dänemark. Auch in England wird der Embryotransfer vermehrt in der Dressurzucht eingesetzt. Vorreiter ist das Gestüt Mount St. John, dessen Bekanntheitsgrad durch Freestyle enorm gestiegen ist. Die Stute wird von Charlotte Dujardin geritten und holte bei den Weltreiterspielen 2018 Einzel-Bronze. Auch Freestyle hat mit der Methode schon für Nachwuchs gesorgt. Das ist auf dem Gestüt in Yorkshire Usus. In den vergangenen acht Jahren erblickten dort mehr als 50 gesunde Fohlen via Embryotransfer das Licht der Welt. Eine Herde mit Trägerstuten gehört zum Gestüt. Die Stute, die einen ähnlichen Zyklus wie die Spenderstute hat, trägt den Embryo aus. Denn die Zyklussynchronität ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg des Transfers.
„Die besten Ergebnisse erzielt man, wenn der Eisprung der Empfängerstute am gleichen Tag oder maximal drei Tage später erfolgt“, so Dr. Johannes Handler. Dafür wird teilweise hormonell nachgeholfen. „In Deutschland aber deutlich seltener als in England oder Nordamerika – das gilt generell für die Besamung und sogar für die natürliche Bedeckung in der Vollblutzucht“, weiß Dr. Sielhorst. Mit Gestagen oder Prostaglandin kann der Zyklus der beiden Stuten synchronisiert werden, damit sie parallel rossen. Dr. Johannes Handler räumt Bedenken hinsichtlich einer gesundheitlichen Belastung der Stute aus: „Es sind bereits sehr geringe Dosen Prostaglandin wirksam. Dementsprechend treten nur geringe Nebenwirkungen auf. Manche Stuten schwitzen oder zeigen in der ersten halben Stunde nach Gabe leichte Kolikerscheinungen“, erklärt der Tierarzt. Die Gabe von Prostaglandin hat keine Folgeschäden für die Stute.
Ein Hormon, mit dem der Eisprung ausgelöst werden kann, ist HCG. Es wird von schwangeren Frauen gewonnen. „Nach der Gabe wird die Ovulation verlässlich 24 bis 48 Stunden später ausgelöst“, erklärt Dr. Handler. Ihm ist in mehr als 30 Jahren Praxis nur ein Fall bekannt, bei dem nach der Gabe allergische Reaktionen aufgetreten sind. „HCG und Prostaglandin sind beides natürliche Hormone, die lediglich etwas hervorrufen, das bei der normalen Zyklusaktivität ebenfalls geleistet wird“, so Handler weiterhin. Auch Dr. Christine Aurich räumt mit Vorurteilen auf: „Viele Kritiker beachten nicht, dass auch bei vielen Stuten, die künstlich besamt werden, der Eisprung induziert wird.“
Eingriff in die Natur
Andreas Franzky sieht den Eingriff in den Hormonhaushalt kritisch: „Wir wissen zu wenig darüber, welche physischen und psychischen Belastungen durch die Manipulation ausgelöst werden. Das gilt für Empfänger- und Spenderstuten. Es ist ein Eingriff in die Natur.“ Ihren Kunden legt auch Aurich ans Herz, sich nach dem Zyklus der Stute zu richten. „Zwischen den Turnieren schnell einen Embryotransfer zu machen, ist möglich. Aber nicht ratsam und sicher nicht im Sinne des Pferdes“, findet die Veterinärin. Viele Stuten mache die Doppelbelastung nichts aus, ihr Zyklus sei vom Stresslevel unabhängig. Dennoch rät sie zur Turnierpause. Weiter zu trainieren, sei hingegen kein Problem. Die Doppelbelastung von Weihegold und Patrik Kittels Deja, die beide bereits via ET für Nachwuchs sorgten, ist den Tierärzten nach also gar keine. Viel Lärm um nichts?
„Es ist auch eine ethische Frage. Was ist Zucht – Geschäft oder Liebhaberei? Und muss man wirklich alles, was technisch machbar ist, machen?“, fragt Franzky. Für ihn ist damit der ethische Wert des Pferdes in Frage gestellt. Jutta Sielhorst sieht hingegen in erster Linie Vorteile für die Pferdezucht: „Die Zucht ist sehr hengstgeprägt. Durch den ET rückt die Mutterseite ein wenig in den Fokus. Aber zwei oder drei Fohlen im Jahr im Vergleich zu mehreren hundert, die ein Hengst zeugen kann, sind nicht viel.“ Auch Christine Aurich glaubt nicht an eine Revolution der Zucht durch den ET: „Es bleibt meines Erachtens immer eine Technologie für Sportstuten und alte Stuten. Ich sehe es als zusätzliche Möglichkeit. Einfach als Zusatzpotential!“
Der Artikel ist in Reiter Revue 7/2018 erschienen.