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Über den Harndrang beim Pferd

Für viele Pferde ist die Pipipause nach dem Reiten die dringlichste Amtshandlung. Und wehe, es geht nicht schnell genug zurück in die Box! Warum ist das so? Über die Gründe, Pipi-Rituale bei Pferden und wann man den Harndrang trainieren sollte.

Nach dem Training zurück in der Box müssen viele Pferde erst einmal pinkeln. Warum ist das so?

Sobald Luna nach getaner Arbeit ihre Box betritt, strullert sie erstmal in die frisch eingestreute Box. Das macht sie jeden Tag. Egal zu welcher Uhrzeit sie geritten wird. Und egal, ob die Blase mehr oder weniger voll ist. Ein Phänomen, das zahlreiche Reiter bei ihren Pferden beobachten. Nicht bei allen. Aber bei vielen. Und nicht das einzige Phänomen, das man zum Harndrang des Pferdes finden kann, fängt man erst mal an zu stöbern und nachzuhorchen. Doch was steckt dahinter, wenn das Pferd beispielsweise nach dem Reiten dringend Wasser lassen möchte? Und ist das besorgniserregend?

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Unsere Experten sagen unisono: Sorgen muss sich der Reiter nicht machen. Sie tippen auf Entspannung als Grund für das dringende Bedürfnis nach der Arbeit. Dr. Malte Harland von der Pferdeklinik Mühlen erklärt: „Die Blase hat ein sogenanntes Übergangsepitel. Sie kann sich von ganz klein zusammenziehen bis ganz weit dehnen. Es ist vermutlich eine nervale Anspannung, die dazu führt, dass das Pferd beim Reiten nicht Wasser lassen muss.“ Hinzu kommt der Untergrund in der Box, der eine Rolle spielt. Pferde pullern lieber auf Stroh oder Späne, weil es dort nicht so spritzt. „Das ist ein wichtiger Punkt“, sagt Malte Harland. „Das Pferd weiß ja nicht, wann es geritten wird. Der Besitzer kommt in den Stall und holt es aus der Box, jetzt hat das Pferd aber gerade nicht Wasser gelassen, steht auf der Stallgasse, mag da auch nicht unbedingt auf den blanken Beton pinkeln, hält also das Wasser an und löst sich erst, sobald es zurück in der Box ist.“ Und wie oft denkt der Reiter in dem Moment, „hätte ich das doch nur geahnt, als wir uns eben noch mehr schlecht als recht durchs Training gequält haben ...“ Gesundheitliche Probleme muss er zumindest nicht befürchten, wenn das Pferd mal länger anhalten musste. „Anders als der Mensch, macht sich das Pferd nicht so einen psychischen Druck“, beruhigt der Tierarzt. Heißt: Wenn wirklich gar nichts mehr geht, würde das Pferd die erste Gelegenheit der Entspannung auch auf dem Reitplatz für sein Geschäft nutzen.

Erleichternde Rituale

Die Pferde-Ostheopathin Claudia Schebsdat aus Kleinmachnow sieht gelegentlich Pferde, die vermutlich aufgrund einer vollen Blase im Bereich der Lendenwirbelsäule extrem verspannt sind, sodass sie sich kaum bewegen können. „Entlang der Niere verläuft der Psoas, die Muskulatur des Hüftbeugers“, beschreibt sie. Manchmal seien die Verspannungen so groß, dass Pferde nicht nur beim Reiten, sondern auch mit dem Wasserlassen Probleme bekommen. Ein Teufelkreis. Für sie ist es ein positives Zeichen, wenn das Pferd nach dem Reiten so entspannt ist, dass es uriniert. Und sie hält es auch für durchaus sinnvoll, das Pferd vor dem Reiten zum „Klogang“ zu animieren. „Wenn man mutmaßt, dass das Pferd aufgrund einer vollen Blase öfter verspannt ist“, sagt sie. Das kann jeder Mensch nachvollziehen: Wenn die Blase drückt, lässt sich kein Sport treiben. Claudia Schebsdat führt ihre eigene Stute vor dem Reiten immer erst einige Runden bis sie sich entleert. Denn sie musste im Laufe der Zeit feststellen, dass das „dringende Bedürfnis“ der Stute jedes Mal bei dem Reiten im Weg stand. „Sie war verspannt und stellte sich zudem immer wieder breitbeinig hin, konnte dann aber nicht, weil sie in einem anderen Modus war“, erzählt sie. Das Führen hilft der Stute, sich zu entspannen, und weil sie noch nicht im „Arbeitsmodus“, kann sie da schon ihr Geschäft verrichten. „Es dauert natürlich eine Weile, bis man darauf kommt“, sagt Claudia Schebsdat. Nicht jedes Pferd zeigt so eindeutig, dass es muss. Viele zeigen eine leichte Unruhe, die der Pferdebesitzer nur schwer auf eine volle Blase zurückführen kann.

Pipi-Training

Bei der Recherche zu diesem Thema stoßen wir auch auf ein Video, das Jessica von Bredow-Werndl mit ihrem Spitzenpferd Unee BB zeigt. Entstanden ist es in Frankfurt, als die Dressurreiterin den Hengst aus dem Sport verabschiedet. In dem Video sieht man sie vor ihrem Ritt neben seiner Box stehen und hört sie leise pfeifen. Unee reagiert und lässt Wasser. „Dem Pferd beizubringen, sich auf Signal zu lösen, weil man beispielsweise eine Turnierprüfung vor sich hat, ist sicherlich praktisch und für alle Beteiligten entspannter“, findet Dr. Barbara Schöning, Verhaltensexpertin aus Hamburg. Insbesondere wenn schon öfter eine drückende Blase zur Prüfungsmisere oder Unwohlsein geführt hat.

Trainieren könne man das Wasser lassen auf recht simple Weise, sagt Schöning. Dafür muss sich der Pferdebesitzer einen Überblick verschaffen, wann das Pferd regulär trinkt und wann es normalerweise Urin absetzt. Kennt der Pferdebesitzer in etwa den Zeitpunkt, positioniert er sich neben der Box, beobachtet unauffällig, damit sich das Pferd nicht gestört fühlt, und führt das Signal ein. Das kann ein Pfeifen sein, muss es aber nicht. Denn: „Ich wüsste keine Untersuchung, die sich damit beschäftigt hat, dass bestimmte Geräusche den Urinfluss starten“, sagt Dr. Barbara Schöning. „Bei Menschen ist ja bekannt, dass Wassergeplätscher im Gehirn den Prozess starten lassen kann. Vielleicht ist aber auch das ein erlerntes Verhalten.“

Wichtiger ist ewas anderes. „Das Gehirn lernt durch Gleichzeitigkeit“, verdeutlicht Schöning und beschreibt das weitere Vorgehen: „Sobald der erste Tropfen rollt, gebe ich das Signal, das in Zukunft den Urinabsatz auslösen soll, ein Pfeifen oder ein Wort. Dann lass ich das Pferd pullern.“ Als Verstärkung könnte man mit dem allerletzten Tropfen noch ein Lobwort sagen. Allerdings muss das Timing sehr exakt sein, um das Pferd nicht zu stören. Denn kommt das Lob zu früh könnte es passieren, dass das Pferd künftig den Urinabsatz kurz stoppt, um sich die Belohnung abzuholen, aber eigentlich noch gar nicht fertig ist. „Ich kann das Lernen durch die externe Belohnung zwar beschleunigen, aber ich brauche es fast nicht, weil die Entspannung im Bauch ja schon Belohnungseffekt genug ist.“ 30, 40 Mal solle man ruhig für diese Art der Konditionierung einplanen. Dann kann man das erste Mal testen, ob das Pferd auf das Signal reagiert. Und zwar dann, wenn man weiß, dass die Blase schon relativ voll ist. „Ist das Signal gut gelernt, wird sich das Pferd in die Position stellen und anfangen, sich zu entleeren. Damit habe ich das Signal etabliert“, erklärt Dr. Barbara Schöning. „Doch wenn das noch nicht so gut funktioniert, muss ich noch ein paar mehr Wiederholungen von diesem Gleichzeitigkeits-Training durchführen, damit diese Vokabel wirklich fest im Gehirn abgespeichert wird.“

Mein Revier

Es gibt zahlreiche Erzählungen von Situationen, in denen Pferde sich angewöhnt haben, Wasser zu lassen. Morgens vor dem Weidegang, sobald der Besitzer in Sichtweite ist und viele mehr. Oftmals steckt dahinter vermutlich ein ritualisiertes Verhalten.

Aber auch das territoriale Verhalten kann eine Rolle spielen. Das Markieren über Urin und Kot ist die erste Stufe vor dem Drohen und Kämpfen. Das zeigen Pferde jeden Geschlechts. „Pferde sind zwar nicht so territorial wie Rotwild zum Beispiel. Das liegt daran, dass sie in der Steppe gelebt haben und echtes territoriales Verhalten nur da nötig war, wo es um andere Ressourcen ging: Für die Hengste sind das die Stuten, für die Stuten die Nachkommen als Ressource“, erklärt Barbara Schöning. Nun leben unsere Pferde nicht mehr in der Steppe und genau deshalb, so die Verhaltensexpertin „zeigen es unsere Pferde von heute sogar ein bisschen häufiger als die wildlebenden Pferde, weil die territorialen Möglichkeiten durch Zäune und Türen begrenzt sind“.

Ob Luna ihr Revier markiert, sobald sie ihre Box markiert? Oder ob es ein ritualisiertes Verhalten ist? Das bleibt ihr kleines Geheimnis. Zumindest sieht sie ziemlich zufrieden aus.

Dieser Artikel ist erstmals erschienen in Reiter Revue 4/2019.