Verletzungen der Mundschleimhaut beim Pferd – Au Backe!
Es sind Risse, klein und tief, oder Schwellungen, rot und druckempfindlich – vor allem sind sie allesamt sehr schmerzhaft: Verletzungen der Schleimhaut im Pferdemaul. Jeder, der selbst einmal eine Verletzung oder ein Bläschen im Mund hatte, verzieht sofort mitfühlend das Gesicht. Das Pferd tut dies gewissermaßen auch. Es wird „maulig“. Wie sonst soll es zeigen, dass da vorne etwas nicht stimmt.
Findige Reithalfter-Hersteller sind nicht müde, den Problemen am Kopf Abhilfe zu schaffen. Sie entwickeln neue Passformen und Polsterungen, die den Druck nehmen und entlasten sollen, sie tüfteln an Gebissen, die das Maul schonen sollen. Alles nur clevere Marketing-Maßnahmen? Oder die Rettung für die sensible Mundpartie unserer Pferde? Was sind die wahren Ursachen für Schäden im Pferdemaul?
Um die 600 Zahnbehandlungen hat Pferdezahn-Spezialist Dr. Tim Steinberg von der Tierklinik Lüsche in Bakum jedes Jahr auf dem Plan. Verletzungen im Bereich der Mundschleimhaut sind ihm schon fast eine Herzensangelegenheit. „Sie kommen sehr häufig vor, in allen möglichen Facetten“, sagt er. Die Ursachen sind relativ vielfältig. Der Klassiker laut Steinberg: „Mit am meisten haben wir es mit Verletzungen der Backenschleimhaut zu tun, durch Kanten an den Zähnen. Das sind tiefe, vertikale Rissverletzungen, die man dem direkt danebenliegenden Zahn zuordnen kann. Bei nicht regelmäßig gemachten Zähnen bilden der erste und der letzte Backenzahn sogenannte Rampen, es entstehen Haken und diese reißen die Schleimhaut auf.“ Befinden sich die scharfen Kanten an den Backenzähnen des Oberkiefers, ist die Backenschleimhaut betroffen, die unteren Backenzähne reißen dagegen die Schleimhaut der Zunge, also innen, ein.
Hämatome im Maul
„Aber auch das Reithalfter kann Verletzungen verursachen“, sagt Steinberg. Und das sei gar nicht mal so selten, „meistens bei Kandarenpferden zu sehen“. Zu eng, zu hoch oder zu tief geschnallte Nasenriemen sorgen für Schmerzen im Pferdemaul. Selbst wenn die Zähne in Ordnung sind. „Dann sieht man Druckverletzungen, sogenannte Hämatome, weil die Backe gegen den Backenzahn gedrückt wird. Typischerweise tauchen die Verletzungen symmetrisch rechts und links im Pferdemaul auf“, beschreibt Dr. Tim Steinberg. Und was passiert, wenn ein zu enger Nasenriemen noch dazu auf scharfe Kanten trifft, kann man sich vorstellen.
Die Veterinärmedizinerin und Expertin im Bereich der Zahnheilkunde, Ruth Kosanetzky aus Norderstedt, sieht noch andere Ursachen im Vordergrund: „Harte reiterliche Handeinwirkung, ausgeschlagene Trensengebisse oder falsch verschnallte Gebisse.“ Wichtig sei deshalb, jeden Zaum individuell für jedes Pferd auszuwählen, um Verletzungen vorzubeugen.
Den Reitstil als Ursache sieht Tierarzt Dr. Steinberg vor allem bei Verletzungen der Maulwinkel und der Laden. Auch hier gibt es von bis: leichte bis sehr tiefe Risse der Mundwinkel oder im Bereich der Laden, wo das Trensengebiss aufliegt, gerötete und geschwollene Druckstellen über aufgeplatzte Schleimhaut bis hin zu schwerwiegenden Knochenabsplitterungen unter dem dünnen Zahnfleisch. Wie Kosanetzky plädiert er für Individualität, vor allem aber in Sachen Gebiss – er tüftelt bereits selbst an der Idee der maßgeschneiderten Trense. Doch was die Nasenriemen betrifft, die müssen in erster Linie regelkonform verschnallt sein, da gibt es seitens der Tierärzte kein Wenn und kein Aber.
Das gilt auch für die regelmäßige Zahnkontrolle beim Pferd. Sie ist die beste Prophylaxe: „Jährlich sollten scharfe Kanten an den Backenzähnen entfernt werden“, so die Expertin Ruth Kosanetzky. „Man kann den ersten Backenzahn leicht berunden, sodass dort keine scharfen Kanten vorhanden sind und somit die Maulschleimhaut nicht verletzt wird.“ Gerade diese Verletzung passiere zum Beispiel, wenn der Zügel angenommen werde und die Maulschleimhaut zwischen Trensengebiss und erstem Backenzahn liege.
Gute Besserung
Es habe sich in den vergangenen Jahren einiges in Sachen Bewusstsein für die Pferdezahngesundheit getan, lobt Dr. Steinberg. Und dennoch kann es passieren. Die Verletzungen in der Backenschleimhaut sind für den Laien nicht unbedingt sichtbar, aber er erkennt sie am Verhalten des Pferdes: Es wird maulig und unrittig, hält beispielsweise den Kopf schief beim Reiten oder entzieht sich den Hilfen, streckt die Zunge raus oder zieht sie hoch, kaut schlecht, frisst schlecht, oder blutet aus dem Maul. Was dann? Der Tierarzt muss die Ursache finden und beheben. „Das bedeutet: Zähne korrigieren und wenn diese in Ordnung sind, lasse ich mir Reithalfter und Gebiss zeigen und gucke, wie diese verschnallt sind“, sagt Steinberg.
Die gute Nachricht ist: Die Mundschleimhaut heilt unheimlich gut. „Bei leichten Verletzungen rate ich ein bis drei Tage nicht zu reiten, bei schwerwiegenderen Schädigungen auch mal eine Woche. Bei Verletzungen im Maulwinkel und in den Laden dauert es je nach Schweregrad länger, auch mal vier Wochen“, erklärt der Tierarzt.
Und was können nun die zahlreichen Erfindungen im Ausrüstungs-Segment ausrichten? Alles oder nichts. Eine neue Reithalfterform kann die perfekte Lösung für das eigene Pferd sein, weil sie besser, bequemer sitzt. Aber erst die korrekte Verschnallung verhindert Probleme im Pferdemaul.