Serie: Erste Hilfe beim Pferd
Was tun bei Vergiftungen?
Relativ häufig werde sie zu Pferden mit Vergiftungen gerufen, bestätigt Tierärztin Dr. Jasmin Michutta aus ihrer Praxis. Allerdings wissen die meisten Besitzer ihrer Erfahrung nach nicht, dass das Pferd etwas Giftiges aufgenommen hat. Meist bringe erst die Anamnese Klarheit, sagt Michutta. www.pferdeinternistik-michutta.de
Bei welchen Symptomen sollten Pferdebesitzer an eine Vergiftung denken?
Die Symptome hängen immer davon ab, was das Pferd gefressen hat. Graukresse verursacht häufig dick angeschwollene Beine und Reheschübe, wohingegen Pferde, die Jakobskreuzkraut gefressen haben, eher mit Leber- und Hautveränderungen kämpfen. Ferkelkraut führt zu neuronalen Störungen. Daher empfehle ich Pferdehaltern, stets den Tierarzt zu rufen, sobald das Pferd unspezifische Symptome zeigt. Fieber, Verhaltensveränderungen und Kolikanzeichen gehören ebenfalls dazu.
Wenn der Pferdebesitzer vermutet, dass sein Pferd etwas Giftiges gefressen hat, was sollte er tun?
Als erstes den Tierarzt rufen. Dann, wenn möglich, die vermeintliche Giftpflanze sicherstellen. Das Pferd sollte nichts mehr fressen. Bringen Sie es in eine weiche Box und bieten Sie ihm Wasser an.
Warum dürfen Pferde nicht weiter fressen?
Je nach aufgenommenem Gift können Störungen des zentralen Nervensystems auftreten. Das Pferd kann also Probleme beim Schlucken bekommen und dadurch auch eine Verschluck-Lungenentzündung entwickeln. Außerdem wird der Tierarzt möglicherweise den Magen spülen, auch da ist es gut, wenn dieser nicht weiter gefüllt wird.
Die Symptome sind oft unspezifisch. Wie kommen Sie auf die Diagnose „Vergiftung“?
Meist durch ein ausführliches Gespräch. Besonders auffällig ist es, wenn mehrere Pferde im Bestand dieselben Symptome zeigen. Wobei mir wichtig ist, zu sagen, dass die Pferde nicht zwangsläufig Giftpflanzen aufgenommen haben müssen. Es kann auch sein, dass sie an frisch gestrichenen Zäunen geknabbert haben. Zuletzt hatte ich einige Fälle, bei denen Pferde am neuen Robinien-Zaun gefressen haben. Und Robinien sind für Pferde giftig.
Welche langfristigen Schäden können bleiben?
Neurologische Schäden und Leberschädigungen sind teils ausgesprochen schwer zu beheben. Manche bleiben dauerhaft. In jüngster Vergangenheit hatte ich eine Stute, die nach der Gabe von Anti-Parasitika eingeschläfert werden musste. Sie zeigte so einen starken Hahnentritt, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Die langfristigen Schäden einer Vergiftung hängen ganz entscheidend vom Krankheitsverlauf, von der Giftmenge und der individuellen Empfindlichkeit des Pferdes ab. Manche Pferde regenerieren sich auch sehr schnell und sehr gut. So hatte ich kürzlich einen sehr eindeutigen und vor allem sehr kuriosen Fall. Auf einer Weide wurden Brennnesseln mit einem Insektizid behandelt, kurze Zeit später schnitt ein Pferdehalter die Brennnesseln ab und verfütterte sie an Pferde. Die waren daraufhin apathisch, schliefen immer wieder ein und zeigten Reaktionen an den Augen und den Schleimhäuten. Bei ihnen lag eine Floridvergiftung aufgrund des Pflanzenschutzmittels vor. Innerhalb von zwei Wochen waren die Pferde aber wieder fit. Andere Pferde, die aufgrund einer Vergiftung eine hochgradige Hufrehe entwickeln, sind wahrscheinlich nie wieder reitbar.
Müssen Giftpflanzen auf den Weiden entfernt werden oder fressen Pferde sie so oder so nicht?
Giftpflanzen dürfen auf keinen Fall auf der Weide bleiben. Da muss man rigoros sein. Aufgrund der Domestikation nehmen Pferde auch Giftpflanzen auf, sie lernen von älteren Artgenossen nicht mehr, was sie meiden müssen. Außerdem gibt es sogenannte nicht selektive Fresser, die einfach keine Unterschiede machen.
Dieser Artikel ist zum ersten Mal erschienen in Reiter Revue 6/2020.