Auswahlkriterien für den Aktivstall
Bewegungsställe – das müssen Sie wissen
Die besten Ideen entstehen oft aus der Not. So auch der Prototyp des heutigen Bewegungsstalls. Er entstand nach und nach auf dem kleinen Hof von Thorsten Hinrichs in Schleswig-Holstein. Gut 25 Jahre ist das nun her, Hinrichs’ Baby ist nicht nur erwachsen geworden, es hat sich auf dem Markt längst etabliert. Der Bewegungsstall ist die Luxusvariante in der Gruppenhaltung. Und mit keiner anderen Haltungsform kommt man der Natur des Pferdes näher. Denn der Organismus des Pferdes ist darauf ausgelegt, sich täglich bis zu 16 Stunden langsam grasend fortzubewegen.
Bewegungsställe bestehen aus verschiedenen Funktionsbereichen: Ruheflächen, Ausläufe mit Komfortzonen zum Wälzen und befestigten Laufwegen, Raufutter-Fressstände, computergesteuerte Futterstationen, separate Tränken. Bestenfalls alle weit auseinander gezogen, so kommt Bewegung ins Spiel. Hinrichs Unternehmen HIT und der österreichische Stallbauer Schauer heißen die großen Anbieter im Segment der Bewegungsställe. Und die liegen im Trend. Allein Hinrichs hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten um die 700 seiner „Aktivställe“ im In- und Ausland verkauft.
Alles pro?
Der Grund für den Erfolg: „Das Konzept!“, sagt Dr. Christiane Müller, Sachverständige für Pferdehaltung aus Westerau. „Das steht für mich über allem. Ein Bewegungsstall wird individuell auf dem Betrieb konzipiert. Ich bin überzeugt: Würde man sich mit der Einzelhaltung genau so viel Mühe geben, wäre auch die deutlich besser für die Pferde.“
Die Vorteile liegen auf der Hand: Licht, Luft, Bewegung, Sozialkontakte – all das, was man fürs Pferd als artgerecht bezeichnet – bekommt es neben Futter und Wasser. „Nachteile? Sind schwer zu finden, es sei denn, sie sind hausgemacht“, sagt Müller. Die Qualität des Bewegungsstalls steht und fällt mit dem Management. Für den Stallbetreiber verändert sich die Arbeit mit dem Umstieg auf einen Bewegungsstall. Er ist ungebundener in seiner Arbeitszeit, dafür muss er die Futterautomaten und die Computer im Auge behalten, die großflächigen Ausläufe und Liegebereiche sauber und trocken halten. Thorsten Hinrichs ist überzeugt: „Ist der Stall gut konzipiert, spart der Stallbetreiber Zeit und Geld.“ Jedoch muss er nun mehr denn je die Pferde beobachten. „Er muss sehr viel mehr vom Pferdeverhalten verstehen, vom Sozialgefüge, er muss erkennen, wann ein neues Pferd beispielsweise noch nicht integriert ist“, sagt Dr. Christiane Müller.
Mitbewohner gesucht
Apropos Integration. Tor auf, Pferd rein, Tor zu? Da schüttelt es Dr. Ursula Pollmann, Fachtierärztin für Verhaltenskunde in Freiburg. „Das wird gar nicht so selten praktiziert und ist für das Pferd eine Katastrophe! Erstaunlicherweise passiert relativ wenig, aber der Stress, den das Tier erleidet, ist erheblich. Und das muss man ihm nicht zumuten, das geht auch anders!“ Und zwar Schritt für Schritt, individuell an das Pferd angepasst. Manche Pferde brauchen keine Woche, andere drei Monate. Fest steht nur, dass die Pferde, die zuvor bereits in der Gruppenhaltung standen, es leichter haben als jene, die vorher immer alleine waren. „Denn dann verlernen sie über lange Zeit, auf das Ausdrucksverhalten anderer zu reagieren, weil es nie irgendwelche Konsequenzen hatte. Wenn der Boxennachbar die Ohren anlegt oder gegen die Wand schlägt, hat das ja keine Auswirkung. Deswegen reagieren die Pferde irgendwann nicht mehr auf diese Warnhinweise. Das müssen sie erst wieder lernen“, erklärt Dr. Ursula Pollmann.
Grundsätzlich sollte es für die Eingewöhnung einen Integrationsbereich geben. Am besten hat der Stallbetreiber bei der Planung an feste Integrationsboxen gedacht. „Das Pferd muss erst mal zur Ruhe kommen und sich an die neue Umgebung und die neuen Personen gewöhnen. Wenn sich alles beruhigt hat, zum Beispiel der Kotabsatz wieder normal ist, folgt der nächste Schritt“, rät die Ethologin aus Freiburg. Ein Integrationspferd könne man schon relativ früh daneben stellen, „es gibt unterschiedliche Thesen, ob das ein ranghohes oder rangniedriges ist. Wichtig ist, dass dieses Pferd klar im Kopf ist und sich normal verhält“. Der nächste Schritt: „Das Pferd darf sich die neue Haltungseinheit alleine angucken, ohne dass es sich mit seinen anderen Artgenossen auseinandersetzen muss. Das geht natürlich am besten im Sommer, wenn die anderen auf der Weide sind.“ Danach könne man das Integrationspferd dazulassen. Und im letzten Schritt komme das Pferd in den Bewegungsstall, wenn alle da sind.
In der Praxis gibt es unterschiedliche Wege – und vielfältige Probleme. Pferde sind wie wir Menschen Individuen, pauschale Pläne sind fehl am Platz. Der Stallbesitzer muss bei der Integration Fingerspitzengefühl beweisen, für das neue Pferd, für die gesamte Gruppe. Festhalten lässt sich aber wie der Eingewöhnungsbereich gebaut sein sollte: „Er sollte groß genug und so konzipiert sein, dass das neue Pferd einerseits Sozialkontakte knüpfen und andererseits sich wieder zurückziehen kann. Wichtig ist, dass die Abgrenzung kein Panel ist, das Verletzungsrisiko wäre hier zu groß. Besser sind zum Beispiel Holzwände“, erklärt Tierärztin Dr. Miriam Baumgartner.
Liegen – ein Anliegen
Einig sind sich alle Experten: Am Platz wird oft gespart, vor allem im Liegebereich. „Das Argument, die liegen doch sowieso nicht alle gleichzeitig, zählt nicht. Wenn man zu wenig Fläche anbietet, können sie gar nicht alle gleichzeitig liegen. Zumindest nicht da, wo sie liegen sollten. Dann suchen sich die rangniederen Tiere andere Flächen, Bewegungsflächen. Das erkennt man bei diesen Pferden an den Gelenken, da sieht man haarlose, manchmal sogar offene Stellen“, berichtet Dr. Christiane Müller. Sie weiß, den Pferden wäre es anders lieber: „Pferde sind Herdentiere, die liegen gerne gleichzeitig.“
In ihrer Doktorarbeit hat sich Dr. Miriam Baumgartner ausgiebig mit dem Liegeverhalten von Pferden in Gruppenhaltung beschäftigt. Auch wenn Pferde nicht so viel schlafen wie wir Menschen, so haben sie dennoch das Bedürfnis zu ruhen. „Und das tun sie zum einen im Stehen. Aber sie liegen eben auch, und das ist für den Traumschlaf (REM-Schlaf) essentiell. Eineinhalb bis zwei Stunden legt sich im Schnitt jedes Pferd ab. Deswegen ist es so wichtig, dass es die Möglichkeit auch hat und sich dabei sicher fühlt“, sagt Baumgartner.
Platz satt muss vorhanden sein, die Liegehalle braucht mindestens zwei breite Ausgänge oder eine komplett offene Frontseite. Die Freiburger Ethologin Ursula Pollmann rät, Strukturelemente, zum Beispiel Holzwände, im Liegebereich anzulegen. Rangniedere Pferde fühlen sich dadurch geschützter, kommen zur Ruhe. In Pollmanns Pilotuntersuchung war das Ergebnis, dass die Pferde dadurch mehr und länger gelegen haben. „Wir haben versucht, im Rahmen einer Doktorarbeit diesen Effekt festzuzurren und waren dafür auf dem Gestüt in Marbach. Aber da hatten wir nicht diesen Einfluss aufs Liegen. Wobei man sagen muss: Wenn die Pferde vorher schon ausreichend gelegen haben, liegen sie mit Struktur nicht wesentlich mehr“, so Pollmann. Dennoch kam es bei dieser Arbeit zu einem erfreulichen Ergebnis: „Das aggressive Verhalten unter den Pferden ist deutlich zurückgegangen!“ Und das ist viel wert.
Liegefläche: Ideales Material und optimale Abgrenzungen
Wir bleiben im „Schlafzimmer“. Trocken, weich, wärmedämmend, verformbar sollte es sein: das Bett fürs Pferd. So viel steht fest. Aber was den Untergrund anbelangt, scheiden sich die Geister. Studien, die jüngste aus der Schweiz, belegen, dass Pferde am liebsten auf üppig Stroh liegen. Hier sehen die Hersteller aber die Crux, dass so die Liegefläche zum Multifunktionsraum wird und dazu mehr Arbeit für den Stallbetreiber entsteht. Sie haben versucht, eine für den Stallbetreiber praktischere Lösung zu finden: mit Schaumstoff gefüllte Gummimatten. So soll der Liegebereich von den Pferden nur zum Liegen verwendet werden. Doch die Pferde nehmen diese Lösung nur schwer an, erst recht, wenn sie sie nicht kennen. Und: „Wir haben im Rahmen des Wettbewerbs Fotos vom Liegen gesehen und das waren keine normalen Liegepositionen“, sagt Christiane Müller. Der Kompromiss soll eine geringe Einstreu über den dicken Gummimatten sein. Stroh oder Späne? „Besser sind Späne“, sagt Miriam Baumgartner, „auch wenn Pferde lieber auf Stroh liegen, aber sie fressen es eben auch. Dann haben wir wieder das Problem, dass Pferde, die ruhen möchten, gestört werden durch Pferde, die fressen. Deswegen ist es auch besser, man legt die Strohfressplätze außerhalb des Liegebereichs in Form von Raufen an.“ Einen Zentimeter dick sollte die Späneschicht sein. Zu viel animiere die Pferde dazu, direkt nach dem Aufstehen auf die weiche Einstreu zu urinieren. „Durch die geringe Einstreu auf den verformbaren Gummimatten kann man die Pferde so steuern, dass sie zu den Pferde-Toiletten gehen, wenn man diese direkt an den Liegebereich angrenzend installiert hat. Wobei das nicht zu hundert Prozent klappt“, meint Baumgartner.
Dr. Ursula Pollmann hält von dieser Lösung nichts, sie sagt: „Da wird homöopathisch drüber gestreut, aber für die Pferde bringt das nicht mehr an Komfort als die reinen Gummimatten. Da wird die Einstreu zur Seite geschoben. Wenn man wirklich so viel einstreuen würde, wie es für die Pferde gerecht wäre, dann bräuchte man die teuren Gummimatten nicht. Es gibt mehrere unabhängige Untersuchungen, die das belegt haben.“ Zumindest in diesem Punkt bleibt spannend, wie sich die „Bettenlage“ für die Pferde in den kommenden Jahren entwickeln wird.
Friede und Freude am Fressplatz
In Sachen Fütterung hat sich schon einiges getan. Die Futterplätze sollten Ort des genüsslichen Kauens sein – mancherorts hängt aber genau hier der Haussegen schief. Meistens dann, wenn sich dort zu viele Pferde tummeln. Entweder weil zu wenig Fressplätze vorhanden sind oder weil sie ungünstig positioniert wurden. Thorsten Hinrichs: „Die Kraftfutterstation sollte nicht genau am ‚Marktplatz’ stehen, also dort, wo sich Liegeflächen und Heufütterung befinden und tendenziell viele Pferde herumlungern. Richte ich sie auf der anderen Seite der Gebäudeecke Richtung Wetterseite ein, wo im Winter der Wind pfeift, dann läuft das Pferd gerne für ein paar Körner hin, geht aber danach ruckzuck wieder zum windgeschützten Süd-Ost-Bereich, dem Marktplatz." Und auch bei den computergesteuerten Heudosierern hat der Agraringenieur einen Tipp für mehr Harmonie in der Gruppe: „Hat man mehrere Heufutterplätze, kann man schauen, welche Pferde freundschaftlich miteinander umgehen. Dann kann ich die Freunde auf einen Futterstand programmieren.“
Wer ist WG-tauglich?
In der Regel ist der Bewegungsstall für jedes Pferd geeignet. Die Ausnahmen: „Kranke Pferde und manchmal auch alte Pferde, wenn sie zu lange alleine gehalten wurden. In den seltensten Fällen sozialunverträgliche Pferde. Die meisten nehmen es gerne an und verwandeln sich auch nochmal in ihrem Ausdrucksverhalten“, weiß Dr. Christiane Müller. Bleibt die Frage: Ist der Bewegungsstall das Nonplusultra? Dr. Ursula Pollmann sagt: „Mir war es immer ein Anliegen, diese Haltung voranzubringen. Aber Gruppenhaltung ist anspruchsvoll. Wenn man es falsch macht, können die Tiere teilweise noch mehr leiden als in Einzelhaltung, gerade die Rangniederen. Wer’s also nicht will und kann, soll es besser bleiben lassen. Dann lieber Einzelbox mit Paddock.“ Doch wenn Konzept und Management stimmen, gibt es keine Nachteile. Artgerechter kann eine Haltung nicht sein. Auch dafür gibt es gute Beispiele aus der Praxis. Diese Ställe regen an – Pferde zum Bewegen, Pferdebesitzer zum Eintreten, Stallbetreiber zum Nachahmen.
Der 13-Punkte-Stall-Check:
Sie suchen nach einem geeigneten Bewegungsstall für Ihr Pferd?
Diese Anhaltspunkte verraten, ob Ihr Pferd dort gut aufgehoben ist .
1. Auslauf: 80 bis 100 Quadratmeter pro Pferd ohne Weidefläche sind das Minimum, je mehr desto besser.
2. Bodenbeschaffenheit: Der Boden rund um die Futterplätze und auf den Hauptwegen ist befestigt, ansonsten gibt es auch Sand zum Liegen und Wälzen sowie Naturböden.
3. Raufutter: Zeitgesteuerte Heuraufen mit mehr Fressplätzen als Pferde in der Gruppe sind besser als Heuautomaten, weil die Pferde dort synchron fressen können. Es gibt Strohfressmöglichkeiten zur freien Verfügung, falls ein Pferd gerade keine Zugangsberechtigung für die Heuraufe hat. Idealerweise sorgt ein Netz über dem Stroh dafür, dass die Pferde das Stroh langsam aufnehmen.
4. Fressplätze: Auf eine Kraftfutterstation kommen 20 Pferde, auf einen Heudosierer vier Pferde. Wird hier zu knapp geplant, steigt das Verdrängungs- und Verletzungsrisiko.
5. Futterzeit: Schauen Sie bei der Stallbesichtigung ruhig bei der Fütterung zu, wenn zum Beispiel die automatische Heuraufe aufgeht. Sortieren sich die Pferde schnell und fressen nach ein paar Minuten? Oder bemerken Sie die ganze Zeit Unruhe?
6. Tränken: Eine Tränke für 15 Pferde. Sie sollte nicht zu weit von Heuraufen und Liegeflächen entfernt sein. 100 Meter Distanz sind ok, 800 Meter zu weit, sonst nehmen die Pferde nur noch zweimal am Tag den Weg auf sich.
7. Liegeflächen: Mindestens zehn Quadratmeter überdachte Liegefläche pro Pferd, je größer desto besser. Der Untergrund muss trocken, verformbar, sauber und eingestreut sein.
8. Ausweichzonen: Jede Liegehalle hat mindestens zwei Eingänge oder eine offene Frontseite. Bei größeren Gruppen gibt es hier feste Strukturelemente, sodass rangniedere Pferde zur Ruhe kommen.
9. Luftqualität: Die Liegehalle ist gut durchlüftet. Eine leichte Luftbewegung schadet nicht, stehende Luft schon.
10. Luxuselemente: Es gibt Scheuervorrichtungen. Pferde schätzen sie sehr, um sich kratzen zu können. Ein bisschen Wellness darf schließlich schon sein.
11. Integration: Sie wird vom Stallbetreiber individuell gestaltet, mithilfe eines Integrationsbereiches. Gibt es keine fest installierte Box dafür, sollte ein Bereich des Stalls abgetrennt werden. Dabei kann das neue Pferd Kontakt zur Gruppe aufnehmen, sich aber auch zurückziehen. Die Trennwand zwischen Neuankömmling und Gruppe ist fest und durchgehend.
12. Verletzungsrisiko: Zäune, Tore, Strukturelemente sind stabil, nirgendwo steht etwas heraus. Kopf und Gliedmaßen können nirgendwo hängen bleiben.
13. Rundlauf: Es gibt im gesamten Bewegungsstall keine Sackgassen, Engpässe oder spitze Winkel.