Vier Fragen zum Scheren
Welche Schur für welches Fell?
„Sportpferde werden auch im Winter trainiert“, erklärt Ulrike Flaskamp. „Die meisten werden darum auch komplett geschoren; eventuell lassen die Besitzer einen Teil der Sattellage stehen. Das befürworte ich auch, weil dieser Bereich die natürliche Satteldecke ist.“ Schimmel und Füchse sind ihrer Erfahrung nach etwas empfindlicher und haben an den Übergängen manchmal mit Fellbruch zu kämpfen. „Das merke ich häufig schon beim Scheren, vor allem an den Beinen, oder auch dort, wo die Sporen zum Einsatz kommen. Wenn ich das weiß, lasse ich hier immer ein kleines Rechteck zum Schutz stehen. Das sieht vielleicht etwas merkwürdig aus, aber die Schur sollte immer im Sinne des Pferdes durchgeführt werden. Andernfalls drohen kahle Stellen.“ Bei Pferden in Offenstall- oder Paddockhaltung empfiehlt sie einen Decken- oder Rallyeschnitt, bei dem Rücken und Nieren ungeschoren bleiben. Das gilt auch, wenn die Pferde aufgrund höheren Alters dünner und schwerfuttrig sind. „Unabhängig davon möchten viele Pferdebesitzer das Fell am Rücken stehen lassen, weil sie Rücken- oder Nierenprobleme befürchten“, berichtet sie. „Generell sind die Nieren gut unter einer Fettschicht geschützt. Das Problem ist, dass diese Bereiche unterkühlen, wenn ein Pferd verschwitzt in der Zugluft steht.“ Aufgrund falscher Decken oder viel Bewegung mit der Decke, zum Beispiel in der Führmaschine, haben viele Pferde außerdem Scheuerstellen im Brustbereich oder an der Schulter. Auf diese muss man bei der Schur besonders gut aufpassen. Bei Isländern im Training gilt: Oft reicht es, einen Streifen an der Brust und/oder der Seite zu scheren, um den Temperaturausgleich zu erleichtern. Das ist vielleicht nicht unbedingt schön, aber – da sind sich die beiden Experten einig – sehr effektiv.
Wann ist eine Schur sinnvoll?
„Ob ich mein Pferd schere, hängt immer davon ab, wie ich mein Pferd halte und bewege“, erklärt Ulrike Flaskamp. Sie hat 2012 den mobilen Scherservice „Fellvergnügen“ in Rheinbach gegründet. „Pferde, die das ganze Jahr draußen gehalten werden, sollten nur geschoren werden, wenn man sie auch im Winter intensiv trainieren möchte. Wenn ich beispielsweise mit meinem Isländer auf die Töltbahn gehen möchte, kann er mit dickem Fell nicht die Leistung erbringen, die er normalerweise erbringen würde.“ So dürfe man nicht vergessen, dass Isländer für isländische Verhältnisse – sprich: strenge Winter – gezogen worden seien. Bei den für Deutschland typischen eher milden Wintern wirkt sich ein zu dickes Fell kontraproduktiv aus. „Die Tierärzte verweisen zunehmend auf die Notwendigkeit des Scherens, weil viele Pferde durch das dicke Fell und den Überschuss an Wärme in Kombination mit Training Kreislaufprobleme oder sogar Koliken bekommen“, berichtet Ulrike Flaskamp.
Das wichtigste Argument ist jedoch, dass Pferde mit Winterfell – unabhängig von der Rasse – bei intensiver Arbeit stark schwitzen. „Physiologisch hat das Schwitzen durchaus seinen Sinn“, erläutert Tierarzt Dr. Kai Kreling. „Ein Pferd, das viel schwitzt, durchtränkt sein Fell – und das nicht von außen, wie beim Regen, sondern von innen, also der Haut ausgehend. Dabei entsteht Verdunstungskälte, die dazu führt, dass das Pferd insgesamt abkühlt.“ Pferde müssen für diesen Effekt ohnehin ordentlich schwitzen, da sie im Verhältnis zu ihrer Körpermasse eine relativ kleine Oberfläche haben. Durch das Winterfell kann das Trocknen und Kühlen jedoch mehrere Stunden dauern. „Die Pferde können dabei trotz intensiven Schrittreitens unter ihre Kerntemperatur fallen. Sie unterkühlen und können krank werden.“ Ein weiteres Problem: Viele Reiter stellen ihre Pferde aufgrund mangelnder Zeit direkt nach dem Training in den Stall. Hier schwitzen die Pferde jedoch noch eine ganze Zeit nach und fallen weiter unter ihre Kerntemperatur. Auch Muskelverspannungen bis hin zum Kreuzverschlag sind – vor allem in zugigen Ställen – keine Seltenheit. Beide Experten empfehlen deshalb, ein Pferd bei intensivem Arbeiten entweder partiell oder ganz zu scheren.
Decke – ja oder nein?
Pferde sind generell nicht so kälteempfindlich wie Menschen – da sie ja ihr Winterfell haben. Durch das Scheren reduzieren wir diese natürliche Schutzfunktion und das Pferd muss korrekt eingedeckt werden. „Wenn ich das Fell abnehme und es kalt ist, produziert das Pferd normalerweise Fell nach,“ erläutert Ulrike Flaskamp. „Das hat die Natur so eingerichtet, da das Pferd sich ja vor Kälte schützen soll. Wenn ich es nun schere, störe ich das Klimasystem an dieser Stelle und muss das Pferd adäquat eindecken, damit es nicht friert und kein Fell nachproduziert. Sonst habe ich ja nichts von der Schur. Innerhalb von drei bis vier Wochen sieht man nichts mehr davon.“ Ihre Faustregel ist deshalb: Wenn ich mehr schere als den Streifen an Hals, Brust und/oder Seite, muss das Pferd grundsätzlich eingedeckt werden.
Greife ich mit der Schur in die Natur des Pferdes ein?
Zu dieser Frage werden in der Reiterszene noch immer hitzige Debatten geführt – wenn auch mit abnehmender Tendenz. „Ganz am Anfang meiner Arbeit bin ich mal beim Scheren aus einem Stall rausgeflogen“, erzählt Ulrike Flaskamp. „Der Besitzer vertrat die Ansicht, dass Scheren Tierquälerei sei. Ich habe ihm daraufhin erklärt, was für mich Tierquälerei ist: Ein Pferd mit dickem Fell auf die Töltbahn zu schicken und es anschließend nassgeschwitzt in den eisig kalten Offenstall zu stellen. Das Pferd kann sich schließlich nicht von seinem nassen Fell befreien.“ Sie hat außerdem oft beobachtet, dass Reiter, die ihre Pferde in Robusthaltung halten, das Scheren eher abgelehnt haben. „Ein typisches Argument war, dass Pferde in der Natur auch keine Möglichkeit haben, sich ihres Winterfells zu entledigen. Aber in der Natur bewegen sie sich auch nicht so, dass sie schwitzen. Wenn wir also von unseren Pferden erwarten, dass es sich bewegen soll, müssen wir unsererseits auch gute Voraussetzungen schaffen.“ Dieser Meinung ist auch Dr. Kreling – und geht in seiner Argumentation noch weiter: „Wenn wir unsere Pferde konsequent nicht scheren wollen, um nicht in ihre Natur einzugreifen, dürfen wir sie im Gegenzug eigentlich konsequent nicht reiten und trainieren. Pferde, die auf der Weide oder im Offenstall gehalten und nur wenig geritten werden, würde ich nie scheren. Die Voraussetzungen sind häufig aber anders: Unsere Pferde werden gearbeitet, zum Teil sogar intensiv. Sie werden häufig im Stall gehalten“, argumentiert er. Wenn wir sie nun nicht scheren und eindecken, wird ihr Fell unverhältnismäßig lang und hält warm – das ist ja auch Sinn und Zweck des Winterfells. Dieses Warmhalten führt aber auch dazu, dass die Pferde stark schwitzen und schlecht trocknen mit allen Risiken, die damit verbunden sind.“ In den vergangenen Jahren hat aber – nicht zuletzt durch den Klimawandel – laut Ulrike Flaskamp ein Umdenken eingesetzt. In Deutschland gibt es nur wenige kalte Tage und Tierärzte empfehlen das Scheren für die Gesundheit der Pferde. „Seitdem kommen auch mehr Pferdebesitzer, die ihre Pferde in Robusthaltung halten und fragen, wie sie ihnen das Leben leichter machen.
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