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Kolumne

Baum statt Bürste

Die Stuten von Reiter Revue-Redakteurin Katherina Hütter haben sich entschlossen selbst für ihr Wellnessprogramm zu sorgen. Ob diese Entscheidung den Putzkasten jetzt überflüssig macht?

Das Putztalent der Reiter Revue-Redakteurin ist scheinbar nicht sonderlich gut ausgeprägt. Ein alter Baum erhält den Vorzug.

Ich besitze ein buntes Bürsten-Potpourri in meinem Putzkasten. Große und kleine Wurzelbürsten und Kardätschen. Manche mit weichen, manche mit harten Borsten. Ich habe alles, damit das Fell meiner beiden Stuten schön glatt und glänzend wird. Doch mein Putztalent ist offenbar nicht sonderlich gut ausgeprägt. Ich wurde von einem Baum ersetzt.

Egal wie viel Mühe ich mir beim Putzen gebe – auch wenn ich meine ganze Bürstensammlung ein setze – für meine Stuten scheint nur das Fellpflege-Ergebnis an diesem einen Baum wirklich zu friedenstellend zu sein.

Mein Konkurrent: Ein alter Holunderbaum, der den botanischen Namen ‚Sambucus nigra‘ trägt. Er ist im Paddock meiner Stuten hoch gewachsen, hat einen dicken Stamm und stabile halbrund geschwungene Äste auf verschiedenen Höhen. Die Rinde ist mittler weile seidig glatt geschliffen, weil Frau Pferd und Frau Flausch den Baum ausgiebig nutzen – sogar direkt nachdem ich sie geputzt habe. Das enttäuscht mich irgendwie.

„Gut. Vielleicht kann der Baum etwas, was ich nicht kann“, denke ich und beschließe, die Sache genauer zu beobachten. Ich stelle fest, wie vorsichtig und zielsicher meine Stuten ihr Schubber-Programm am Baum absolvieren. Wenn Frau Pferd sich unter den langen schrägen Ast stellt, um dann mit dem Hals rauf und runter zu schwingen, um sich an dieser einen Stelle am Widerrist zu kratzen, arbeitet sie zentimetergenau. Bedacht schaukelt sie vor und zurück ohne einen Huf zu versetzen. Dabei streckt sie ihren Kopf nach vorn. Jeder Muskel arbeitet. Dann dreht sie sich um und umkreist den Baum. Dabei kommt sie an einem Ast vorbei, der über ihre Schulter streicht und an einem, der der Rundung ihrer Hinterhand nahezu entspricht. Hier wippt sie ein paar Mal kräftig auf und ab. Sie schnaubt. Ihr Wellness-Programm ist beendet.

Frau Flausch ist deutlich kleiner, mit 30 Jahren fast doppelt so alt wie Frau Pferd und erstaunlich rabiater im Umgang mit dem alten Baum. Mit Schwung schubbert sie sich ihren Mähnenkamm an dem dicken Stamm. Dabei dreht sie ihren Kopf mal auf die linke, mal auf die rechte Seite. Dann ist der Rücken dran. Um die Wölbung des tiefsten Astes richtig auszunutzen, lehnt sie sich schräg dagegen. Dabei balanciert sie routiniert auf drei Beinen, um noch ein Stückchen tiefer unter den Ast zu gelangen. Das gleiche macht sie auf der anderen Seite, bevor sie sich mit der Hinterhand gegen den Baum lehnt, die Hanken beugt und unter vollem Körpereinsatz hin und her wippt. Dabei stemmt Frau Flausch ihre kurzen Beine in den Boden. Ihr Gesichtsausdruck verrät, dass sie die juckende Stelle gefunden hat. Gekonnt drückt sie sich wieder hoch und schüttelt sich ausgiebig.

„Das muss doch anstrengend sein“, denke ich, während ich die teils abenteuerlich wirkenden Verrenkungen meiner Stuten beobachte. Dabei können sie es gut und sehen zufrieden aus. Das ist Wellness und Training in einem. Etwas, das ich mit etwas Striegeln unter dem Einsatz von verhältnismäßig wenig Muskelkraft nicht ersetzen kann. Ich finde mich damit ab, frage mich aber, ob sie wohl noch lernen, sich Mähne und Schweif selbst zu kämmen. Die sehen danach nämlich aus wie alte Besen.

Der Artikel stammt aus unserer August-Ausgabe 2024, die Sie in unserem Shop auch als E-Paper bestellen können.