Von Träumen und Zielen
Springreiter Henrik von Eckermann im Portrait
Kessel/NL – Ein massiver Eichentisch bildet das Zentrum des Raumes. Er ist mindestens vier Meter lang. Darauf stehen Tulpen, eine Kiste mit verschiedenen Teesorten, Trockenblumen, fein arrangiert. Am Tisch sitzt Henrik von Eckermann, Olympiasieger, Vielflieger, Springreiter, Papa, Pferdebesitzer, Reitanlagenbetreiber und noch so viel mehr. Gemeinsam mit seiner Partnerin Janika Sprunger hat er sich im niederländischen Kessel eine eigene Reitanlage gebaut. Nicht riesig, aber ungemein schick, durchdacht bis ins letzte Detail. Und das gibt viel preis über den schwedischen Springreiter, der sagt, er habe sich in seinem Leben häufig von seinem Bauchgefühl leiten lassen.
Es ist ein sonniger Tag im März 2022, an dem Stefan Lafrentz als Fotograf und ich ihn und seine Familie besuchen. Bei Veröffentlichung dieses Artikels lebt er seit genau einem Jahr in den Niederlanden, ist seit genau einem Jahr Vater und seit rund neun Monaten Olympiasieger. 2021 ist ein Jahr, das vieles verändert hat oder auch nichts. Interpretationssache.
Fest steht, dass Henrik von Eckermann im vergangenen Jahr Ziele erreicht hat, die ihn im Leben weiterbringen. Fest steht auch, dass sie nichts an seiner Philosophie verändert haben. Beständigkeit, Ruhe und zielgerichtetes Handeln zeichnen ihn aus, beschreiben seinen Weg der vergangenen 20 Jahre vom Talent zum bekannten Athleten. King Edward hat ihn im August 2021 zum Olympiasieger gemacht, die goldene Medaille aus Tokio liegt in einer wandfüllenden Glasvitrine neben Pokalen und Schärpen großer Fünf-Sterne-Turniere.
Die Reise ist wichtiger
„Erfolge sind nur ein Ergebnis. Bei der Goldmedaille aus Tokio denke ich vor allem an den Weg dorthin. Die Reise bis zum Sieg ist eigentlich viel spannender als der Erfolg an sich“, erklärt Henrik von Eckermann und schaut dabei nicht etwa zur Medaille, sondern zur anderen Seite des Raumes, zu einem metergroßen Bild, das ihn und King Edward in Tokio zeigt. Den besonderen Moment.
„Als wir mit dem Team Gold gewonnen haben, war das eine unglaubliche Freude, aber auch Erleichterung, weil es so gut geklappt hat. Wir haben so viel Zeit investiert, so viel Energie, da ist es unheimlich befreiend, wenn es funktioniert. Mit diesem Gefühl ins Bett zu gehen, ist der wahre Gewinn“, meint Henrik von Eckermann. Er hat sich in seinem Stuhl zurückgelehnt, spricht ruhig und unaufgeregt über diesen emotionalen Moment seiner Sportkarriere.
Im nächsten Satz verdeutlicht er, dass ein Sieg in einem Zwei-Sterne-Springen mit einem jüngeren Pferd auch seinen Reiz hat. Es geht nicht nur um die ganz großen Erfolge. Für Henrik von Eckermann zählt, das Bestmögliche zu erreichen. Das treibt ihn an, gelingt es nicht, sucht er den Fehler bei sich. Henrik von Eckermann ist ehrgeizig. Ein Beispiel: „Am Wochenende war ich in Paris. King Edward ist in Topform und ich bin Zweiter geworden, als letzter Starter im Stechen. Da wäre mehr drin gewesen.“ So etwas wurmt ihn und da geht es nicht um die Rangierung, sondern darum, dass er – in seinen Augen – nicht bestmöglich geritten ist. „So bin ich. Wäre ich anders, stände ich an einem anderen Punkt.“
Der Beginn der Reise
Henrik von Eckermann ist auf einem Bauernhof in Schweden aufgewachsen. „Tiere waren mir immer wichtig, ich mag sie einfach gern“, erzählt er, wie er zum Reiten gekommen ist. Warum er Profi-Springreiter geworden ist und nicht etwa Eishockey-Spieler, was er in seiner Jugend übrigens ziemlich gut gespielt hat, erklärt sich schnell: Er war gut im Reiten, sehr gut sogar, hatte Talent. Eines Tages war ihm klar, dass er es im Eishockey nie ganz an die Spitze schaffen würde. Und selbst wenn, wusste er, dass die Zeit im Spitzensport sehr begrenzt ist. Das ist im Reitsport anders. Und so hat er sich über Jahre, gar Jahrzehnte ganz nach oben gearbeitet, mit Beständigkeit, Ehrgeiz und etwas Glück, wie er selbst sagt.
Der Weg in den professionellen Sport führte ihn nach Riesenbeck in den Stall von Ludger Beerbaum, erst war es nur ein Praktikum mit viel Pflegearbeit, später ritt er die Top-Pferde von Ludger Beerbaum. Zum Beispiel die Hannoveraner Fuchsstute Gotha, mit der er an seinen ersten Weltreiterspielen teilnahm und seine erste Medaille bei Europameisterschaften gewann. Das war 2013. „Sie ist ein besonderes Pferd gewesen, eines, das dir in jeder Hinsicht hilft. Es gibt dir Selbstvertrauen, das du auf andere Pferde übertragen kannst, es öffnet dir neue Türen“, findet Henrik von Eckermann.
Insgesamt arbeitete er zwölf Jahre im Stall von Ludger Beerbaum. „Es war eine tolle Zeit, ich habe unglaublich viel gelernt, auch hinsichtlich des Managements der Pferde. Es geht um so viel mehr als nur gut zu reiten“, sagt der 40-Jährige rückblickend.
Details und Vermögen
In der Sattelkammer von Henrik von Eckermann und Janika Sprunger hängt eine große Tafel. Darauf festgehalten sind die Besonderheiten jedes einzelnen Pferdes. Welches Sattelkissen es neuerdings braucht, welche Trense oder welches Martingal. „Jeden Tag, wenn ich vom Pferd steige, denke ich darüber nach, was ich noch verbessern kann. Es sind viele Kleinigkeiten, die den Unterschied machen“, erzählt Henrik von Eckermann. Eigentlich beschäftigt er sich ständig mit den Pferden.
Die Wohnung auf der eigenen Anlage war ihm und Janika Sprunger wichtig. Ein direkter Zugang verbindet Stallgasse und Wohnraum. „Es bedeutet mir viel, die Pferde so viel wie möglich zu sehen. Das macht den Unterschied. Es geht nicht, dass man sich nur draufsetzt“, findet Henrik von Eckermann.
Ihren Pferden soll es so gut wie möglich gehen. „Auch wenn ich nur ein Prozent verbessern kann, mache ich das“, sagt der Springreiter. Ein gutes Beispiel ist King Edward, der seit einem Jahr ohne Hufeisen springt. Erstmals hat von Eckermann ihn in Doha barhuf springen lassen. „Das war so ein Gefühl. Er ist immer ein wenig schief gesprungen, manchmal nicht ganz losgelassen. Irgendetwas hat nicht gepasst. Kein Pferd springt aus Spaß schief“, verdeutlicht der Schwede. Der Franzose Julien Epaillard ermunterte ihn dazu, es ohne Hufeisen zu probieren. „Nach zwei Tagen machte ich erste kleine Sprünge und King Edward fühlte sich anders an.“ Seitdem zeigt sich der 1,65 Meter große Fuchs noch besser.
King Edward ist eine gemeinsame Entdeckung von Janika Sprunger und Henrik von Eckermann: „Wir wussten direkt, dass er ein sehr gutes Pferd ist“, erzählt die 34-Jährige. Damals war King Edward acht Jahre alt und noch „etwas grün“. Heute hat er die Souveränität, die ein Pferd im Top-Sport braucht, und natürlich das nötige Vermögen, den Leistungswillen und die Vorsicht. Im Stall oder auch in der täglichen Arbeit wirkt er unspektakulär, eher brav. „Er ist im Kopf total klar, leistungsbereit“, sagt von Eckermann.
Übrigens hat anfangs Janika Sprunger King Edward geritten, ihn bis auf Fünf-Sterne-Niveau gebracht, dann wurde sie schwanger, Sohn Noah kam im April 2021 zur Welt. Henrik von Eckermann feierte zur selben Zeit mit King Edward Erfolge, spätestens seit den Olympischen Spielen ist die Debatte, wer ihn künftig reiten darf, beendet. Das nächste Ziel war schon im März klar: Weltmeisterschaften im dänischen Herning im August. Bis dahin heißt es, fit bleiben. „Ich muss ihn bei Laune halten, locker arbeiten, er soll glücklich sein. Er kann ja alles“, lacht Henrik von Eckermann. Das hat er in Herning bei den Weltmeisterschaften allemal bewiesen. Gold mit Team und ohne Springfehler ins Einzelfinale.
Alles auf einmal
Alle Eltern wissen, dass das erste Jahr mit Baby manchmal hart sein kann. Weniger Schlaf, neue Verantwortung, unbekannte Gefühle, Fremdbestimmtheit – das allein ist schon anstrengend. Janika Sprunger und Henrik von Eckermann sind vier Tage nachdem ihr Sohn geboren ist, auf ihre eigene Anlage gezogen. „Die Geburt und der Umzug in derselben Woche waren eine Herausforderung“, blickt Janika Sprunger zurück. „Henrik war schnell wieder viel unterwegs. Wir haben einen Tag nach dem anderen bestritten. Es war eine intensive Zeit. So etwas erlebt man nur einmal. Es ist schön, dass wir uns dem gestellt haben, es durchlebt haben, gemeinsam“, sagt Janika Sprunger und lächelt ihren Henrik an. Sie schätzt an ihm seine Verlässlichkeit: „Er ist ein Fels in der Brandung, was auch immer passiert, er ist da, voller Ruhe, er ist mein Zufluchtsort.“ Henrik von Eckermann hört zu, lächelt, sein Blick ist gesenkt. Die Hände ruhen auf dem Tisch, als er sagt, Janika sei immer für ihn da.
Mit ihr veränderten sich seine Pläne. Das war 2018. Als sie sich ineinander verliebten, war er schon nicht mehr bei Ludger Beerbaum, sondern hatte sich auf der Anlage von Karl Schneider in Wachtberg selbstständig gemacht. „Es war eine ganz tolle Zeit dort“, denkt Henrik von Eckermann zurück. Er hatte damals ein Grundstück im Bonner Raum gekauft, wollte weiterhin einen Stall mieten. Doch Pläne können auch dafür da sein, über den Haufen geworfen zu werden: Mit dem Wunsch nach Familie verstärkte sich der Wunsch wieder auf dem Land zu leben, inmitten von Tieren. „So bin ich groß geworden. Ich wollte zurück in meine Welt“, sagt Henrik von Eckermann. Janika Sprunger träumte den gleichen Traum.
Und warum nicht Träume wahr werden lassen, wenn man es probieren kann? „Es fühlt sich jetzt genau richtig an. Es ist viel zu tun, aber der Reitsport ist für uns kein Job, es ist eine Lebensweise“, betont von Eckermann. Das schließe aber nicht aus, dass sie in zehn Jahren vielleicht einen anderen Weg gehen. „Wir haben nur dieses eine Leben“, sagt er ganz klar.
Der eigene Luxus
Auf das, was sie jetzt haben, haben sie lange hingearbeitet, anderthalb Jahre Planungszeit stecken in der Anlage, neun Monate Bauzeit und viel Geld. „Mittlerweile sind die Preise noch einmal um 30 Prozent gestiegen. Die Anlage wäre heute nicht mehr für uns finanzierbar“, erzählen die beiden sehr offen. Irgendwann wollen sie noch eine Führanlage bauen, am liebsten noch ein eigenes Wohnhaus auf dem Gelände. Genug Platz bieten die viereinhalb Hektar Fläche allemal, „aber es muss auch bezahlt werden“, sind sie realistisch.
Luxus ist für Henrik von Eckermann etwas anderes: „Ich kann nun bestimmen, welche Pferde ich reiten will und welche nicht. Ich muss nicht mehr jedes junge Pferd reiten, darüber bin ich froh, denn ich bin doch ein wenig feige geworden“, schmunzelt er.
Auch die Tatsache, dass er nicht mehr als sieben Pferde in Beritt hat, ist für ihn Luxus. „Früher waren es mal neun. Aber das möchte ich nicht. Das macht zum einen der Körper nicht mit, zum anderen ist es ein stetiger Kampf gegen die Zeit.“ Außerdem brauche er Ruhe beim Training, beim Umgang mit den Pferden, sonst sei er nicht gut. „Ich möchte das Gefühl haben, dass ich jedem Pferd die Zeit geben kann, die es braucht“, betont er. Genau deshalb haben nicht mehr Pferde auf dem Betrieb Platz.
Janika Sprunger ist nach ihrer Schwangerschaft schnell wieder geritten, war vor allem mit ihrer Schimmelstute Carlotta auch schnell erfolgreich. „Ein Pferd für die Fünf-Sterne-Tour habe ich derzeit nicht. Falls wieder eines kommt, freue ich mich. Die Arbeit mit den jüngeren Pferden macht mir aber genauso viel Spaß. Damit kann ich meinen Teil zum Ganzen beitragen“, erklärt die Schweizerin, die ebenfalls zig Nationenpreise geritten ist, bescheiden.
Viel unterwegs
Beim Reiten unterstützt werden die beiden von Janikas Mutter Dominique Sprunger, ebenfalls erfolgreiche Reiterin und Ausbilderin. Sie wohnt auf der Anlage und kümmert sich auch um Enkelkind Noah, um ihrer Tochter Zeit zum Reiten zu geben. Gerade für die Unterstützung in den ersten Monaten, ist Janika Sprunger ihr sehr dankbar. Seit kurzem unterstützt zudem ein schwedisches Au-Pair-Mädchen die Familie.
Wann Noah die beiden zum Turnier begleitet, hängt von den Gegebenheiten vor Ort ab. „Ich kenne die Turniere meist sehr gut und weiß, wo es auch für ihn schön sein kann. Als nächstes geht es nach St. Tropez. Da kommt er mit, wir haben ein kleines Ferienhäuschen gemietet“, erzählt Henrik von Eckermann. Er freut sich, Zeit mit der Familie zu haben. Oft reist er allein, mehr als die Hälfte des Jahres ist er locker unterwegs, manchmal nur mit ein, zwei Pferden. Janika Sprunger hält ihm daheim den Rücken frei.
Verlobt sind die beiden schon seit Anfang 2019, Zeit zu heiraten hatten sie bisher aber nicht. „Irgendwann“, sagt Janika Sprunger lachend. Die vergangenen Monate waren auch so trubelig genug. Dabei mag Henrik von Eckermann es, allein zu sein, Zeit zu haben. Die eigene Anlage ist darauf ausgelegt. Nur ein oder zwei Schüler können hier ihre Pferde einstallen, der Blick vom großen Reitplatz geht ins Grüne. Die große Terrasse lädt zu ruhigen Abenden zu zweit ein. „Manchmal ist es, wenn Noah schläft, aber einfach nur ein ‚Sein‘, statt Zeit zu zweit“, lacht Janika Sprunger. Die Tage fordern die beiden. Henrik von Eckermann schmunzelt und schweigt. Er lebt seinen Traum, mit allem, was dazu gehört. Dazu passt der Name des Stalls. Er heißt „Cyor Stables“, ein Kunstwort, eine Abkürzung, denn Cyor steht für „Create your own reality“. Und genau das machen Janika Sprunger und Henrik von Eckermann gerade. Der einjährige Noah macht die ersten Schritte mit, angefeuert vom stolzen Papa, der ihn mit offenen Armen und einem breiten Lächeln im Gesicht auffängt. ❚
Die große Reiter Revue-Umfrage
Wie verständlich ist die Reitlehre?
Theorie und praktische Umsetzung klaffen im Reitsport oft weit auseinander. Das haben auch die Ergebnisse unsere großen Online-Umfrage gezeigt. Missverständnisse sind immer zum Nachteil des Pferdes, umso wichtiger ist es, sich damit auseinander zu setzten.
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