Wenn Pferde durchgehen
Meist ist es Angst, die dazu führt, dass Pferde die Flucht ergreifen. Ein kleiner Hopser oder ein bisschen schneller werden, ist für die meisten Reiter ok. Aber was tun, wenn das Pferd den Kopf verliert und panisch losrast? „Das oberste Gebot ist: ruhig bleiben!“ Doch Europameister André Thieme weiß, das ist leichter gesagt als getan. „Viele unsichere Reiter machen dann leider den Fehler, dass sie sich verkrampfen, mit dem Bein klemmen und vielleicht sogar schreien und an den Zügeln zerren. Das ist total kontraproduktiv.“
Ruhe bewahren und abwenden
Tatsächlich empfiehlt der dreifache Derby-Sieger, das Pferd in so einem Moment sogar erstmal ein paar Meter laufen zu lassen. Ist der Raum gegeben, zum Beispiel auf einem großen Springplatz oder Feld, sollte der Reiter sich in den ersten Sekunden um sich selbst kümmern, versuchen Ruhe zu bewahren, durchzuatmen und sich etwas zu entspannen. Natürlich sollte man nicht allzu warten, ins Geschehen einzugreifen, aber oft hilft es, sich die erste Strecke eher passiv zu verhalten: „Nach ein paar Metern kann man dann versuchen an einem Zügel auf einen weiten Bogen abzuwenden und diesen dann immer kleiner werden zu lassen, um das Pferd langsamer zu machen“, rät Thieme. „Den meisten Pferden geht zudem sehr schnell die Kraft aus, wenn sie erst mal eine kurze Strecke gerannt sind.“
Mit der Stimme parieren
Schwieriger wird es schon in der Reithalle, wobei hier auch das Abwenden auf den Zirkel und dann diesen zu verkleinern, Thiemes erste Wahl ist: „Das Pferd gegen die Bande zu lenken, ist sicher keine so gute Idee. Zum einen muss der Reiter dafür sehr sicher sitzen, also schon fortgeschritten sein. Zum anderen ist es sehr gefährlich, wenn die Bande zum Beispiel nicht hoch genug ist, was das Pferd vielleicht sogar dazu animiert, abzuspringen.“ Sitzt zudem vielleicht noch ein unsicherer Reiter im Sattel, hat der Reitlehrer die Aufgabe, die Ruhe zu bewahren und diese auch dem Schüler zu vermitteln. Das ist schwer, aber in Hektik auszubrechen, kann nach hinten losgehen. Der Reitlehrer sollte mit ruhiger Stimme versuchen, dem Schüler zu erklären, dass dieser sich zum langsamer werden etwas Zeit nehmen soll. Richtig schwierig wird es, wenn sich Reiter und Pferd auf gerader Strecke befinden, zum Beispiel im Gelände, und es keine Möglichkeit gibt, abzuwenden. „Gerade hier muss der Reiter einfach die Nerven haben, das Pferd eine gewisse Strecke gehen zu lassen. Je mehr Erfahrung man hat, desto einfacher ist das natürlich“, gibt Thieme zu. „Man kann dann nur versuchen, das Pferd mit der Stimme zu beruhigen und immer wieder zu parieren. Aber manchmal kann es eben auch die richtige Entscheidung sein, abzuspringen“, gibt er zu: „Wir erinnern uns doch alle an Ludger Beerbaum bei den Olympischen Spielen in Barcelona, als ihm auf Classic Touch das Hackemore riss. Die Stute nahm immer mehr Fahrt auf und meiner Meinung war es die einzig richtige Entscheidung, abzuspringen. Er hatte ja keine Möglichkeit mehr, Einfluss zu nehmen.“
Junge Pferde ablongieren
Gar nicht erst so weit kommen lassen, sollte man es mit jungen Remonten. André Thieme longiert Jungspunde, die im Laufe des Anreitens schon mal „abgegangen“ sind, einfach so lange ab, bis sie leicht müde sind. Dabei geht es nicht so sehr darum, die Pferde im Kreis herum zu jagen, bis sie nicht mehr können, sondern sie auch auf die Kommandos zu sensibilisieren. So kann man beim Reiten, wenn der Longenführer die ersten Male dabei ist, dem Pferd über die verbalen Kommandos des Longierens viel Sicherheit geben. Dadurch lernt es auch leichter, die Reiterhilfen umzusetzen, und es besteht weniger Grund für eine Panikattacke.
Übergänge, Übergänge, Übergänge
Eine etwas andere Qualität des Durchgehens ist es, wenn Pferde beim Erlernen einer neuen Lektion versuchen, sich durch Gasgeben zu entziehen. Hier sind geschicktes Vorgehen und ein bisschen Psychologie gefragt: „Solche Pferde würde ich vor der Lektion immer wieder durchparieren. Also durchaus die Lektion vorbereiten, aber eben nicht jedes Mal abfragen, sondern öfter etwas anderes fordern, wie zum Beispiel einen Übergang zum Schritt“, empfiehlt der Pferdewirtschaftsmeister. „Das Pferd darf einfach irgendwann nicht mehr wissen, was als nächstes kommt, und lernt so, bei mir zu bleiben und auf meine Hilfe zu warten.“
Grundsätzlich sieht André Thieme aber auch ein Problem des Durchgehens darin, dass Pferde nicht genug gefordert und konzentriert gearbeitet werden. Der Träger der Goldenen Reitabzeichen in Dressur und Springen predigt: Übergänge, Übergänge, Übergänge! „So habe ich es gelernt und es funktioniert nun mal“, lacht Thieme. „Es ist einfach total wichtig – gerade für Pferde, die dazu neigen auch mal abzuhauen – als Reiter die Initiative nicht dem Pferd zu überlassen. Dazu gehört, es ständig und stets zu beschäftigen: stellen, biegen, Schenkelweichen und immer wieder Übergänge reiten. Eben das Pferd so zu fordern, dass es gar nicht auf die Idee kommt, Quatsch zu machen.“
Übergänge seien ja nun mal in allen Grundgangarten möglich und für das Pferd physisch anstrengend, aber eben auch für den Kopf. So habe man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: „Man nimmt dem Pferd den Übermut, fördert Rittigkeit und Konzentration und hat das Pferd auch noch gymnastiziert. “