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Im Interview: Ingrid Klimke

„Ich sehe den Sport nicht nur als heile Welt“

Reitmeisterin Ingrid Klimke ist eines der größten Vorbilder des Reitsports. Wie blickt sie auf die Entwicklung des Reitsports?

Ingrid Klimke bei der WM in Herning.

Ingrid, was ist für dich pferdegerecht?

Pferdegerecht heißt für mich, so pferdegerecht und natürlich wie möglich zu handeln: Das heißt für mich, dass die Pferde täglich Weidegang haben und sie einfach Pferd sein dürfen – wenn es irgendwie geht, auch zusammen. In der Ausbildung heißt pferdegerecht, nach den klassischen Grundsätzen zu arbeiten, den Pferden genug Zeit zu geben zu reifen, ihnen Abwechslung zu bieten. Das Entscheidende dabei ist, die Persönlichkeit des Pferdes zu achten. Pferde sind von Natur aus neugierig, sie wollen was machen, was erleben. Sie sind mit verschiedenen Talenten ausgestattet und darauf muss man sich als Ausbilder einstellen – hast du zehn Pferde und sind es zehn unterschiedliche. Und das ist auch wichtig für die Einteilung der Pferde in Gruppen, ob bei den Boxennachbarn im Stall, auf der Weide oder beim Ausritt. Da gucke ich auch, wer harmoniert miteinander. Wer fühlt sich mit wem wohl.

Was macht die Kritik am Pferdesport mit dir – die Pferde, der Reitsport sind neben der Familie dein Lebensmittelpunkt?

Bei unserem Offenen Training zeigen wir, wie unsere Pferde leben, wie wir sie trainieren. Jeder kann sich bei uns einen Eindruck davon machen und den Pferden in die Augen gucken und sehen: Sind die Pferde zufrieden oder sind sie es nicht?

Unter den Kritikern melden sich ja auch viele zu Wort, die gar nicht wissen, was für Bedürfnisse die Pferde haben, wie Pferde richtig gut gepflegt und trainiert sind. Da sind Carmen und ich vielleicht auch eine Ausnahme, so wie wir uns ergänzen und uns über jedes Pferd austauschen – das ist bei uns ja unglaublich eng verzahnt. Das ganze Rundum-Paket muss stimmen und das kann man den Leuten am besten zeigen.

Natürlich hören wir die Kritik im Gelände mit den Stürzen und allem, was passieren kann – aber, wenn man sieht, wie motiviert die Pferde in der Startbox stehen, würde ich sagen, den Pferden würde was fehlen, wenn sie das nicht hätten.

Wie siehst du die Entwicklung des Sports, sind die Anforderungen im Gelände womöglich zu hoch heutzutage?

Früher habe ich immer gesagt, ich möchte unbedingt Badminton reiten. Als ich gehört habe, wer dieses Jahr in Badminton geritten und gestürzt ist und dass vor allem im letzten Drittel viele gestürzt sind, weil es hoch und schwer war. Ich habe Badminton für nächstes Jahr nicht geplant. Und auch bei Burghley wüsste ich kein Pferd außer Bobby, dem ich das zugetraut hätte.

Ich sehe den Sport nicht nur als heile Welt, wir müssen uns durchaus kritisch hinterfragen: Was können wir besser machen? Was heißt pferdegerecht? Genauso wie man die Haltung des Pferdes immer wieder hinterfragen muss.

Welche Rolle spielt für dich der Faktor Zeit beim Umgang mit dem Pferd?

Ich muss mir alleine schon Zeit nehmen, um immer wieder ins Pferd hineinzuhorchen. Wie fühlt es sich wohl? Mit welchen Pferden, mit welchem Reiter harmoniert das Pferd? Auf jeden Pott passt ein Deckel, ist meine Devise. Und ist es wirklich geeignet für den Sport? Es gibt Pferde, die sind unheimlich ehrgeizig, die haben dieses Sportlergen wie so eine Siena, die muss was erleben. Oder Bobby, Escada, Braxxi – das sind alles Leistungstypen. Aber es gibt auch welche, denen fehlt diese Eigenschaft und das ist dann vielleicht ein super Allround-Pferd für die Freizeit. Genauso wie nicht alle Menschen Leistungssportler sind, ist es auch bei Pferden.

Zeit brauchen die Pferde um zu reifen und dafür brauchen sie auch immer wieder ausreichend Zeit zum Chillen – egal ob es das Dressur- oder das Vielseitigkeitspferd ist. Es gibt immer wieder Phasen, in der wir nur ausreiten, sie longieren, mal Freiarbeit oder auch mal eine Jagd reiten – also alles, aber nicht der nächste Ausbildungsschritt. Damit sie abschalten können. Automatisch gehen sie auch nicht zu viele Turniere, mit der Reise, dem Transport, dem Einstallen.

Wen siehst du in der Verantwortung, dass das Pferdewohl mehr Priorität bekommt?

Das Ziel muss ja sein, das Pferd langfristig in den Sport zu bringen und langfristig gesund zu erhalten. Und da muss sich jede Sportdisziplin und jede Reitweise und jeder Reiter hinterfragen und fragen: Ist mein Pferd zufrieden? Man kann auch nicht nur sagen, das ist Aufgabe des Verbandes, die Menschheit aufzuklären – die Menschheit muss auch Interesse haben, sich aufklären zu lassen. Wenn das Pferd mein Freund ist, egal ob Sport- oder Freizeitpartner, muss ich mich jeden Tag hinterfragen, was ich besser machen kann. Carmen und ich überlegen ständig, was machen wir. Und das muss für jeden Bereich gelten: Haltung, Ausbildung, Aufzucht.