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Gastbeitrag

Wie das olympische Motto den Pferdesport verändert​

„Höher, schneller, weiter“ heißt das olympische Motto. Und das erscheint seit dem Fall Dujardin in einem neuen Licht, schreibt Dr. Inga Wolframm in einem Gastbeitrag. Sie wirft einen wissenschaftlichen Blick auf die Entwicklung des Pferdesports – und darauf, welche Erinnerung in dem erweiterten olympischen Motto doch steckt.​

Dr. Inga Wolframm

Die jüngsten Enthüllungen über Charlotte Dujardin lassen das olympische Motto „Höher, schneller, weiter“ in einem neuen Licht erscheinen. Unabhängig von den Ereignissen der vergangenen Tage hoffen wir auch in den kommenden Tagen auf Spitzenleistungen und vielleicht sogar neue Rekorde. Aber was sind die Folgen dieses ständigen Strebens nach Spitzenleistungen?

Der Wissenschaftler Daniel Pauly beschrieb 1995 das „shifting baseline syndrome“ in seiner Forschung zur Fischereiwirtschaft. Er stellte fest, dass Experten den Zustand der Fischbestände zu Beginn ihrer Karriere als Referenzrahmen nutzen, anstatt die ursprünglichen, unberührten Bestände zu betrachten. Dadurch wurden erhebliche ökologische Rückgänge über die Zeit verschleiert, was die Wahrnehmung dessen, was als normal gilt, veränderte.

Dieses „shifting baseline syndrome“ scheint auch in die Pferdewelt Einzug gehalten zu haben. Schneller, höher, weiter – spektakulärer – ist zur Norm geworden. Ein Blick in die sozialen Medien zeigt zahlreiche Kombinationen, die auf höchstem Niveau performen, wodurch der Eindruck entsteht, dass alle ständig besser werden. Doch die Verfügbarkeitsheuristik ist ein kognitiver Trick, der uns glauben lässt, dass das, was wir am häufigsten sehen, die wahre Realität ist. Um dazuzugehören, versuchen wir unbewusst, diesen neuen Standards zu entsprechen.

Eines Tages probiert man eine neue Trainingsmethode aus, vielleicht aus Frustration oder dem Wunsch, Grenzen zu überschreiten. Man erkennt möglicherweise, dass dies nicht zur üblichen Vorgehensweise passt, rechtfertigt es aber als einmalige Sache. Diese neue Methode bringt einen dem Ziel näher, und positives Feedback aus dem Umfeld verstärkt das Verhalten. Komplimente wie „Wow, heute läuft er gut!“ oder „Beeindruckend, dass du so durchhältst!“ lassen Unbehagen oder Zweifel in den Hintergrund treten. Positive Verstärkung wirkt nämlich bei Menschen genauso effektiv wie bei Pferden…

Dennoch kann mentales Unbehagen auftreten, ein Phänomen, das als „kognitive Dissonanz“ bezeichnet wird, und auftritt, wenn man mit widersprüchlichen Überzeugungen, Werten oder Ideen konfrontiert wird. Dieses Unbehagen entsteht, wenn ein langjähriges Vorbild den Erwartungen nicht gerecht wird. Kognitive Dissonanz ist mental anstrengend und führt dazu, dass wir alles tun, um das Unbehagen schnell zu beseitigen. Die Story in unserem Kopf soll wieder stimmen. Nach den Regeln der „kognitiven Konsistenztheorie“ suchen wir dann so schnell wie möglich nach Beweisen, die unser Handeln rechtfertigen, und umgeben uns – physisch und virtuell – mit Gleichgesinnten. Die berühmten Algorithmen der sozialen Medien tragen dazu bei, indem sie uns Beiträge zeigen, die unsere Ansichten bestätigen, ein Phänomen, das als „Confirmation Bias“, also Bestätigungsfehler, bekannt ist.

So entsteht allmählich eine neue ‚Baseline‘, sowohl in Bezug auf Leistungen als auch auf die akzeptierten Methoden, diese zu erreichen. Dieser Wandel erfolgt oft schleichend und ohne böse Absicht, einfach weil unser Gehirn leider nicht so rational und objektiv ist, wie wir es uns wünschen.

Wenn wir uns dessen bewusst werden und rechtzeitig prüfen, ob wir die Verschiebung von Normen und Werten, so klein sie auch sein mögen, akzeptieren können, können wir frühzeitig eingreifen und sicherstellen, dass wir die grundlegenden Prinzipien des Pferdewohls nicht vernachlässigen.

Im Jahr 2021 wurde das olympische Motto zu „ Höher, schneller, weiter – gemeinsam“ erweitert. Uns sollte es daran erinnern, dass Spitzenleistungen und Fortschritt Hand in Hand mit kollektiver Verantwortung und Zusammenarbeit gehen müssen! Gemeinsam können wir sicherstellen, dass die Standards im Pferdesport den höchsten ethischen und Pferdewohl-bezogenen Ansprüchen genügen.

Dr. Inga Wolframm ist Professorin für Nachhaltigkeit im Pferdesport an der Universität Van Hall Larenstein in den Niederlanden, hat in Sportpsychologie promoviert und in verschiedenen Bereichen des Pferdesports geforscht.