Olympische Spiele in Tokio
Briten führen nach Gelände, Oliver Townend übernimmt Einzel-Führung, Julia Krajewski auf Rang zwei
Tokio/JPN – Das Gelände auf den künstlich angelegten Hafeninseln in Tokio war kurz, aber knackig. Besonders die Kondition war für viele Pferde auf den 4.420 Metern eine Herausforderung. Es ging kaum geradeaus: viele Kurven, viel Auf und Ab.
Nach einem unglücklichen Start von Arinadtha Chavatanont und Boleybawn Prince aus Thailand, die als erstes Paar auf der Strecke am ersten Wasser stürzten, legte der Brite Oliver Townend mit seinem 14-jährigen Wallach Ballaghmor Class eine Traumrunde hin. Null und in der Zeit, bis ins Ziel frisch und athletisch unterwegs. Mit 23,6 Minuspunkten festigte er nicht nur die Führung seines Teams, sondern sicherte sich vor dem abschließenden Springen auch die Pole Position in der Einzelwertung.
Julia Krajewski und „Mandy“
Den Kampf mit dem britischen Team nahm die erste deutsche Mannschaftsreiterin Julia Krajewski direkt auf. Amande de B’Neville wird von ihr gerne als Galoppiermaschine bezeichnete und wurde diesem Spitznamen auch im Gelände von Tokio gerecht. Die ersten Klippen vor der Skyline der japanischen Hauptstadt machten dem Paar keine Schwierigkeiten. „Mandy“, wie die Pferdewirtschaftsmeisterin ihre elfjährige Stute nennt, blieb durchweg gut an den Reiterhilfen und in der Spur, sodass auch die kurvenreichen Linien mit vielen schmalen Sprüngen keine Probleme machten. Die drei längeren Galoppierstrecken, die die Pferde im Fluss halten sollten, konnte die Oscar des Fontaines-Tochter mit ihrer großen Galoppade voll ausnutzen. Eine Sekunde über die Bestzeit und damit 0,4 Minuspunkte on top waren zu verschmerzen. „Ich bin sehr erleichtert und sehr stolz“, sagte Julia Krajewski nach ihrem Ritt und lobte Amande de B’Neville. „Sie war an mancher Stelle etwas überrascht von den Kameras. Aber ich bin immer wieder beeindruckt von dem Pferd, wie sie kämpft und man nicht eine Sekunde das Gefühl hat, sie wackelt.“ Mit 25,6 Minuspunkten liegt die 32-Jährige momentan aussichtsreich auf Rang zwei und konnte auch das Teamergebnis anfangs sichern. Doch das Glück verließ die deutschen Reiter.
Ob Ess-Stäbchen, Drachensprung oder Fujiyama-Tiefsprung – bei dem es zwei Meter abwärts ging – das Gelände war liebevoll und einladend gestaltet, negative Bilder waren meistens auf die Konditionsprobleme mancher Pferde und auch ihrer Reiter zurückzuführen, denen bei 30 Grad Celsius und hoher Luftfeuchtigkeit an diesem Tokio-Morgen die Puste ausging. Es war deutlich zu sehen, wer sich darauf akribisch vorbereitet hatte.
Wie das komplette britische Team. Auch die zweite Reiterin, Laura Collett und Holsteiner Wallach London, machten den Course zu ihrem Schaulauf. Problemlos in der Bestzeit galoppierten sie ins Ziel und rückten mit 25,8 Minuspunkten auf Rang drei vor.
Pech hatte hingegen die erste Teamreiterin der Schweden, Therese Viklund, die bei ihrem Olympia-Debüt mit Viscera nach dem Coffin stürzte und damit ausschied. Im Springen dürfte sie starten, doch 200 Strafpunkte kommen auf ihr Konto und aufs Konto des schwedischen Teams. Ohne Streichergebnis teuer. Die zweite schwedische Reiterin, Louise Romeike, hatte sowohl einen Stop als auch einen Auslöser des MIM-Systems, also quasi einen Abwurf, was 31 zusätzliche Strafpunkte bedeutete, plus weiterer Zeitfehler. Am Ende wurde sie disqualifiziert, weil sie einen Sprung in einem Komplex ausgelassen hatte. Die dritte Mannschaftsreiterin Sarah Algotsson-Ostholt zog ihren Start daraufhin zurück.
Sandra Auffarth und Viamant du Matz
Sandra Auffarth mit Viamant du Matz war als zweite Reiterin für Deutschland auf der Strecke. Spritzig startete der Fuchs, der sein Tempo bis zum Schluss lässig halten konnte. Es lief rund – bis zum zweiten Wasser. Dort driftete er schon in der Wendung leicht über die linke Schulter weg, kam nicht gerade über die Kante und rutschte an der direkt folgenden schmalen Ecke vorbei. 20 Strafpunkte für den Vorbeiläufer, plus minimale 2,4 Zeitstrafpunkte vergrößerten den Abstand zu den führenden Briten. Ohne den Fehler wäre das Paar problemlos in der Zeit geblieben. „Es war super schade. Ich hatte vorher schon gesagt, dass er so wendiges Pferd ist und dass ihm der Kurs liegt. Er kam dann irgendwie so schnell in die Wendung, so kamen wir auf einen oder sogar zwei Galoppsprünge weniger aus dem Wasser heraus, als ich eigentlich geplant hatte, so kam ich sehr auf die Innenbahn zu der Ecke und ich glaube, er hat dadurch nicht so richtig die Aufgabe erkannt“, erklärte Sandra Auffarth nach ihrer Runde und freute sich dennoch über den Eifer von Viamant du Matz „Ich hatte danach den Plan, ihn für die weiteren Aufgaben ein bisschen mehr zu schließen, weil er doch sehr frisch war und dabei so schnell wie möglich zu sein. Und das ist uns dann auch gut gelungen. Er ist ein unglaubliches Geländepferd.“ Dennoch liegt das Paar abgeschlagen mit 56,5 auf Platz 32, das Team lag zwischenzeitlich auf Platz fünf.
Bei der wohl größten Klippe des Kurses, dem Coffin hatten die deutschen Reiter, wie viele andere, bereits im Vorfeld beschlossen, die nicht deutlich zeitaufwändigere Alternative zu nehmen und auf Sicherheit zu gehen. Ein guter Plan, denn wer auch immer den direkten Weg probierte, scheiterte in den meisten Fällen.
Sicherheit war auch das Credo des britischen Schlussreiters Tom McEwen. Er machte den Sack mit seinem Toledo de Kerser für das Team des ehemaligen deutschen Co-Bundestrainers Chris Bartle zu und wählte an mehreren Stellen die sichere Alternative, blieb aber so im Fluss, dass er trotzdem in der Bestzeit strafpunktfrei ins Ziel kam. Mit 28,9 derzeit Rang sechs und eine deutliche Führung der Briten mit 78,3 und damit rund 18 Punkten Vorsprung vor den Australiern (96,2).
Michael Jung und fischerChipmunk FRH
Als Führende gingen Michael Jung und Chipmunk auf die Strecke und absolvierten den Kurs wie an der Schnur gezogen. Eigentlich. Denn ein leichter Rempler an Hindernis 14c, einer schmalen Ecke, löste das MIM-System aus. Damit kamen elf zusätzliche Punkte aufs Konto des Reitmeisters und seines 13-jährigen Hannoveraners. Ärgerlich, denn weder mit den Klippen noch mit der Zeit hatte das Paar Probleme. 32,1 Minuspunkte sind ihr Zwischenergebnis, vor dem Springen Platz zehn. "Ich bin sehr zufrieden mit Chipmunk. Er war super frisch, hat sich sehr schön reiten lassen überall. Es hat sich alles einfach angefühlt. Ich hab das Auslösen des MIMs erst realisiert, als ich den Knall gehört habe (Anm. d. Red. als der Stamm fiel), ich war da auch schon ein paar Galoppsprünge weg. Er hat sicherlich den Sprung berührt, aber nicht so, dass ich damit gerechnet hätte, dass der auslöst", resümierte Michael Jung. "Ich bin natürlich erstmal enttäuscht über die Punkte. Jetzt weiterkämpfen und morgen Doppel-Null reiten", so seine Kampfansage.
Bundestrainer Hans Melzer zog trotz des gemischten Ergebnisses eine positive Bilanz aus den Ritten seines Teams: "Julia hat als Pathfinder eine tolle Runde gedreht. Sandras war an und hat gekämpft, war am Wasser dann wohl etwas zu doll. Michi hab ich leider nicht gesehen. Er war gut. Dass er das MiM auslöst - vielleicht war er da ein bisschen dicht. Es ist natürlich schon enttäuschend, wenn man nach so einer tollen Dressur so dicht dran ist, ganz vorne zu sein. Da fehlte vielleicht das Quäntchen Glück." Es werde noch kontrolliert, ob das MiM-System regelkonform ausgewechselt worden war, nachdem es vorab einmal ausgelöst wurde. Dass es an diesem Sprung leicht auslöste, zeigten allerdings schon einige Ritte vorab. Umso mehr freut Melzer der derzeitige Silberkurs von Julia Krajewski. "Dass Julia das kann, wussten wir vorher. Das es nun so steht, ist natürlich super für sie. Da gucken wir morgen mal, was im Springen noch geht."
Das deutsche Team liegt mit 114,2 Minuspunkten hinter den Briten (78,3), Australien (96,2), Frankreich (97,1), Neuseeland (104,0) und den USA (109,4) auf Rang sechs.
Das komplette Zwischenergebnis nach dem Gelände lesen Sie hier.
Robin Godels Jet Set nach Lahmheit eingeschläfert
Der junge Schweizer Robin Godel ging als einer der letzten auf die Strecke. Mit seinem 14-jährigen Wallach Jet Set kam er flüssig über die Hindernisse. Das Pferd wirkte fit und gut vorbereitet. Doch an Hindernis 20, dem letzten Wasserkomplex lahmte Jet Set plötzlich stark. Der Kurs wurde einige Zeit gestoppt, die folgenden Reiter angehalten - unter anderem der Australier Andrew Hoy. Die Tierärzte vor Ort entschieden, den Wallach in die Klinik zur genaueren Untersuchung zu fahren. Dort musste er allerdings eingeschläfert werden.