Paris 2024
Otto Becker: „Man darf sich keine Schwäche leisten“
Als letzte der drei Reitsport-Disziplinen starten die Springreiter am Donnerstag, den 1. August, in die Olympischen Spiele. Im Vorfeld sprach Bundestrainer Otto Becker im Interview über seine Mannschaft, die Konkurrenz und Paris.
In den Vorjahren wurde immer nach Aachen nominiert, dieses Jahr davor … ?
„Ja, wir haben die drei Kandidaten dieses Mal etwas früher festgelegt, damit sie sich individuell mit ihren Pferden vorbereiten können, denn Aachen lag zeitlich recht nahe an Paris. So ist Zineday gar keine Prüfungen in Aachen gegangen und war nur zum Training mit, Checker war nur bei den kleineren Prüfungen am Start und United Touch im Großen Preis als letztes Springen vor Paris. Nur unsere Ersatzreiterin, Jana Wargers, wurde nach Aachen nominiert.“
Was macht Ihre Olympia-Kandidaten aus?
„Alle drei haben sich immer wieder in großen Prüfungen bestätigt. Philipp Weishaupt hat sich als Vize-Europameister mit Zineday schon auf einem Championat bewiesen. Er ist ein sehr cooler Reiter, ich könnte ihn mir als Schlussreiter vorstellen. Zineday ist das einzige unserer drei Olympia-Pferde, das schon mal ein Championat bestritten hat, er ist ein sehr sprunggewaltiges, elastisches Pferd. Richard Vogel ist für sein Alter unheimlich weit, erfahren und sicher. Und bei United Touch S sind dem Vermögen keine Grenzen gesetzt. Dieses Pferd hat allerdings einen riesigen Galoppsprung, so dass er manchmal einen weniger macht als andere Pferde, das macht es manchmal schwieriger, aber das haben die beiden bisher bravourös gemeistert. Checker kenne ich natürlich sehr gut, er war fünf Jahre bei mir im Stall. Das Pferd hat in den vergangenen Monaten noch mal eine unglaubliche Entwicklung gemacht. Er ist top in Schuss und die beiden, Christian Kukuk und Checker, haben super Ergebnisse zusammen abgeliefert. Und Jana Wargers war die beiden vergangenen Jahre mit Limbridge im Team, dieses Mal ist sie mit Dorette nominiert, weil die Stute immer besser in Form gekommen ist.“
Woher kommt in diesem Jahr eventuell die größte Konkurrenz, obwohl sich das wahrscheinlich schwer sagen lässt?
„Es ist im gesamten Springsport sehr eng und global geworden und bei diesem olympischen Modell mit nur drei Reitern pro Team kommt es auf jeden Moment an. Wenn man einen schlechten Parcours oder nur eine schlechte Linie erwischt, kann es schon sein, dass man gar nicht im Finale der besten Teams dabei ist. Und nachher im Finale: Zehn Teams, ohne Streichergebnis und es fängt bei null wieder an – da darf man sich überhaupt keine Schwäche erlauben. Man hat keine Möglichkeit mehr, etwas auszubügeln. Von den zehn Nationen im Finale sind wahrscheinlich acht realistisch in der Lage zu gewinnen. Ich sehe allerdings schon die Franzosen im eigenen Land als Hauptkonkurrenten und die Iren, die dieses Jahr sehr gut unterwegs sind.“
Und wie schnell etwas schief gehen kann, haben Sie gerade bei den Championaten in den vergangenen beiden Jahren erfahren …
„Das stimmt. Wir waren bei der WM in Herning vor zwei Jahren auf Silberkurs, dann hatten wir einen Sturz. Letztes Jahr bei der EM waren wir nach zwei Prüfungen auf Goldkurs und dann hat sich ein Pferd im Stall verletzt. Ich hoffe, dass wir dieses Jahr einen besseren Lauf haben und – bei aller Qualität, brauchen wir am Ende auch das Quentchen Glück – wie alle. Aber natürlich rechnen wir uns Chancen auf eine Medaille aus.“
Sie waren selbst dreimal olympisch am Start und fahren zum vierten Mal als Bundestrainer zu Olympischen Spielen. Wie sehen Sie Ihre Rolle vor Ort und wie können Sie Ihre bisherigen Olympia-Erfahrungen ins Spiel bringen?
„Im Grunde sind wir mit dem Trainerteam Dienstleister für die Reiter und müssen ihnen die bestmöglichen Rahmenbedingungen schaffen. Ich hoffe, dass ich meine Erfahrung weitergeben kann. Außer Christian, der in Tokio dabei war, wobei das ja außergewöhnliche Spiele waren und wir praktisch einkaserniert waren durch Corona, sind alle Olympia-Neulinge. Trotzdem setze ich absolutes Vertrauen in das Team – alles ist möglich!“
Santiago Varela aus Spanien und Gregory Bodo aus Frankreich sind die Parcourschefs in Paris – was kann man daraus voraussichtlich für den Parcoursbau schließen?
„Ich denke, wir werden flüssige Parcours sehen, auch technisch, aber in erster Linie flüssig zu reiten. Varela ist sehr erfahren, hat auch schon Tokio gebaut, und Bodo ist noch recht neu auf diesem Niveau unterwegs. Ich bin froh, dass die beiden das zusammen machen.“
Was wird für Sie besonders bei den Olympischen Spielen in Paris?
„Zuallererst ist die Location absolut besonders – selbst für Olympische Spiele. Und dann ‚Anlaufzeit‘ und weiterhin der Modus. Wir reisen am 30. Juli an. Dann sind die Vielseitigkeitspferde aus den Boxen ausgezogen, die Boxen werden desinfiziert und dann können wir einstallen. Am nächsten Tag ist früh morgens Verfassungsprüfung, abends Training und am 1. August geht es los. Wir haben also eine wirklich kurze ‚Anlaufzeit‘ vor Ort. Und ich bin nach wie vor kein Freund von dem Modus mit nur drei Reitern im Team. Wir haben in Tokio gesehen, wie schnell es gehen kann, dass ein Team raus oder weit abgeschlagen ist. Das japanische Team als Gastgeber ist damals geplatzt, weil sich ein Pferd auf dem Abreiteplatz leicht verletzt hatte. Und dann ist die Mühe der letzten Jahre von Reitern und Pferdebesitzern verpufft – Besitzer haben viel Geld investiert, kaufen und behalten die Pferde und die Reiter haben auf vieles verzichtet. Alles wird dem olympischen Ziel untergeordnet.“
Das Interview führte Kim Kreling für das PM-Forum, dem Mitgliedermagazin der Persönlichen Mitglieder der FN.