Martin Fuchs im Portrait
Alles easy
Eineinhalb Stunden. So lang dauert ein guter Kinofilm. Aber um einen Menschen zu portraitieren? Ich hatte schon komfortablere Zeitlimits in meiner Redakteurs-Laufbahn. Die sportliche Aufgabe kommt von Springreiter Martin Fuchs, zu diesem Zeitpunkt die Nummer eins der Welt. Es ist ein Dienstag, Mitte Januar. Am Rande des Dorfes Wängi, eine gute halbe Stunde von Zürich entfernt, fahren wir auf den geschotterten Hof. Kein Tor, kein Chichi, alles offen. Ein altes Bauernhaus im Heidi-Stil steht da. Hinter dem Reitplatz sonnen sich die hügeligen Wiesen, das feuchte Gras glitzert. Pferde dösen auf dem Sandpaddock. Entspannte Stimmung. „Ihr wollt zum Martin, oder?“ fragt uns Renata Fuchs, die gerade aus dem Stall kommt und ihren jungen Promenaden-Mischling davon abhält, uns allzu freudig zu begrüßen. „Er ist in der Halle, ich bring euch hin.“
Drei Pferde werden gerade in der 22 mal 52 Meter großen Reithalle dressurmäßig gearbeitet. Darunter ein Schimmel, der acht Jahre junge Leone Jei. Auf ihm sitzt Martin Fuchs. Er reitet zu uns rüber, gibt uns die Hand. „Entschuldigt, ich bin ein bisschen spät dran. Was brauchen wir?“ „So viel wie möglich in kurzer Zeit“, sage ich. Er lächelt. „Kein Problem.“ Wir sprechen die Motive ab. Als Renata Fuchs mitbekommt, dass Leone auch fotografiert wird, wirft sie ihrem Sohn den typisch tadelnden Blick einer Mutter zu – Leone hat einen großen Mistfleck an der linken Flanke. Sie holt kurzerhand einen Eimer Wasser, Schwamm und Handtuch und versucht zu retten, was zu retten ist. Dann geht’s weiter für Martin und sein Nachwuchstalent – er galoppiert und trabt ein paar Runden, zwischendurch klingelt sein Handy, er klemmt es einfach in seinen Helm, telefoniert, trabt leicht. Hektik? Fehlanzeige.
Dabei liegen trubelige Zeiten hinter dem Vize-Weltmeister von Tryon. Allein die Saison 2019! Sieg bei den Weltcup-Etappen in Basel und Lyon, Platz zwei beim Weltcup-Finale in Göteborg, Platz eins beim Rolex Grand Prix in Genf und damit die Chance auf den Grand Slam, der Millionen-Coup. Aber die Krönung waren die Europameisterschaften in Rotterdam: Einzelgold! Als zweiter Schweizer in der EM-Geschichte, 26 Jahre nachdem sein verstorbener Patenonkel Willi Melliger den Titel holte.
Das ist nur ein Auszug der Top-Erfolge, die Martin Fuchs mit seinem Super-Schimmel Clooney feierte. Zahlreiche weitere Siege und Platzierungen in Fünf-Sterne-Prüfungen gelangen ihm mit The Sinner, Silver Shine, Chaplin und Co. – sie hoben den Schweizer auf den Olymp der Weltrangliste. Sein großer Traum. Mit 27 Jahren erfüllt. Doch satt ist er noch nicht. Das war er noch nie.
Exot in Reithosen
Martin Fuchs wuchs in Bietenholz auf, eine Siedlung am Waldrand, östlich von Zürich. Es ist eine unbeschwerte Kindheit. Seine Eltern sind die erfolgreichen Springreiter Thomas und Renata Fuchs, sein Onkel ist Springreiter-Legende Markus Fuchs. Alle drei wissen, wie sich Medaillen anfühlen, sie zählten zu den besten ihres Landes, der ganzen Welt. Insbesondere die Brüder Thomas und Markus – unvergessen sind ihre Ritte mit Tinka’s Boy und Dollar Girl. Die große Reiter-Dynastie. Allerdings möchte keines ihrer Kinder in ihre reiterlichen Fußstapfen treten, außer Martin.
Bei ihm müssen sie etwas anders machen als bei Adrian, erkannten Renata und Thomas Fuchs. Zwar bekam auch der mit sieben Jahren ein Pony, aber um den Druck von seinen Schultern zu nehmen, stellten sie es in eine Reitschule im Nachbardorf. „Auf dem Rückweg von der Schule bin ich immer mit dem Fahrrad hingefahren und geritten. Das Reiten war mehr Nebensache. Die Freunde in der Reitschule waren viel wichtiger“, erinnert er sich.
Wenn er an damals denkt, sieht er sich als kleinen Jungen vor den Pferdeboxen am Fenster stehen und mit den Pferden schmusen, während seine Eltern auf dem Reitplatz trainierten. Er sieht sich bei seinem ersten Turnier, „mit meinem Pony in der Reithalle der Reitschule. Ich kam als letzter Starter rein. Sie machten für mich alles noch kleiner als es sonst schon war.“ Oder ein paar Jahre später, als seine Schulklasse zum Zugucken kam: „Ich war in Führung. Aber dann übernahm eine Freundin die Führung und ich weiß noch, wie meine Schulkameraden, die keine Ahnung von Reiten hatten, aufgeregt sagten ‚jetzt kam diese andere, die hat dich geschlagen!‘ Und ich meinte nur ‚nein, schon gut, ich hab noch ein Pferd‘. Ich habe zum Glück wirklich gewonnen.“
Ein verzweifelter Vater
Bei Martin fruchtet die Taktik der Eltern. Aus der Nebensache wird Spaß am Reiten und das Ziel, irgendwann Olympische Spiele zu reiten. Die Eltern begleiten ihn zu den Turnieren, unterstützen und trainieren ihn. Meist ist die Mutter an Martins Seite. Papa Thomas ist ihm oft zu laut, zu ungeduldig. Martin Fuchs erzählt von einem Turnier in Ascona, wo er am ersten Tag runterfiel, am zweiten Tag runterfiel und sein Vater völlig verzweifelt abreiste. „Ich weiß gar nicht mehr, was ich am dritten Tag gemacht habe. Nur, dass meine Mutter mit mir da blieb.“ Martin lacht. „Das ging ja glücklicherweise nicht auf jedem Turnier so.“ Neben all den kleinen Niederlagen, legte Martin Fuchs als Nachwuchsreiter eine Bilderbuchkarriere hin.
Im Reiterstübchen hängt ein kleiner Auszug seiner Erfolge. Ein Foto direkt neben der Tür zeigt einen rotbäckigen Jungen, der spitzbübisch, zufrieden und vertrauensvoll in die Kamera lächelt, eine Silbermedaille um den Hals – Istanbul 2006, seine ersten Europameisterschaften mit Vasco. Bei all seinen Meisterschaften als Junger Reiter, national und international, gewann er neun von neun möglichen Medaillen. „Das war unglaublich. Vor allem, wenn ich jetzt zurückschaue und weiß, wie schnell ein Fehler passiert. Aber damals gab es einfach keinen Fehler, wenn es drauf ankam. Für mich war das einfach normal. Ich bin so aufgewachsen, als ich 1,10 Meter geritten bin, hab ich gewonnen, als ich 1,20 Meter geritten bin, hab ich gewonnen. Das ging einfach so weiter.“ Als Junger Reiter ritt er bereits seine ersten Weltcup-Prüfungen. Und gewann. Der stetige Erfolg, viele junge Sportler stolpern irgendwann über ihn.
Das ist erst der Anfang
Doch Martin Fuchs denkt anders als andere, das wird klar, als er von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 erzählt. Seine ersten. Natürlich mit Clooney. Er wurde Neunter in der Einzelwertung. „Da hab ich nie gedacht ‚Wow, jetzt hab ich bei den Olympischen Spielen mitgemacht, jetzt hab ich es geschafft‘, sondern ‚das sind jetzt für mich die ersten Spiele und die nächsten sind in vier Jahren und da bin ich wieder dabei‘.“ Jeder Erfolg ist für ihn erst der Anfang von ganz vielem.
Dieser Hunger, gewinnen zu wollen, steckt in ihm, er genießt ihn. Aber etwas anderes, ganz Entscheidendes kam in den vergangenen Jahren hinzu: die Freude an dem Zusammenspiel mit dem Pferd. Das hat auch seine Sicht auf Niederlagen verschoben. „Gerade jetzt am Sonntag hatte ich einen Fehler im Großen Preis von Basel. Gut, das war ärgerlich, aber ich hatte eine super Freude mit dem Pferd und damit, wie er danach sprang. Vor fünf Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, dass ich nach fünf Minuten mit so einer Runde zufrieden bin.“
Als Wendepunkt dafür sieht er rückblickend den CHIO Aachen 2016. Er hätte damals den Großen Preis gewinnen können. Doch ausgerechnet am letzten Hindernis verweigerte Clooney. Für Martin Fuchs brach in diesem Moment eine Welt zusammen. „Wie viele Leute haben da gesagt, Clooney sei frech. Aber es war einfach zu viel Druck auf einmal. Ich habe ihm zu wenig Vertrauen gegeben, zu wenig Sicherheit. Das ist etwas, an dem ich immer arbeite.“ Er habe sich danach viel mehr mit den Pferden auseinandergesetzt, mit dem, was sie brauchen. „Seitdem sind auch Clooney und ich sicherer und stärker geworden. Ich war extrem enttäuscht an diesem Abend in Aachen. Aber komischerweise bin ich am nächsten Tag aufgewacht und war total motiviert, extrem auf die Olympischen Spiele fokussiert, die einen Monat später waren.“
2016 war viel los im Leben von Martin Fuchs. In diesem Jahr zog er auch auf die Reitanlage nach Wängi. Mit 23. So wie einst sein Onkel Markus Fuchs mit 23 jungen Jahren Bietenholz verließ, um in St. Gallen auf eigenen Beinen zu stehen. Thomas Fuchs kaufte die Reitanlage seines Cousins Alois Fuchs – ebenfalls Nationenpreisreiter – weil der kürzertreten wollte, aber dessen Töchter den Hof nicht übernehmen wollten. Thomas und Renata Fuchs haben die Reitanlage um Weiden, einen Rasenplatz, ein Stallgebäude und eine Galopprennbahn erweitert. Martin und sein Bruder Adrian bauen aktuell je ein Einfamilienhaus auf das Grundstück, die Baugruben sind ausgehoben, im Herbst ist Einzug.
Von den Trabern gelernt
Martin Fuchs kann in vielerlei Hinsicht ruhig bleiben und er weiß den finanziellen Komfort, den er genießt, sehr gut einzuordnen. Da gibt es eine Geschichte, die er bis heute nicht vergisst: Er kam zweimal vom Turnier, wo er jedes Pferd nur zweimal geritten hatte, komplett erfolglos nach Hause. Sein Vater sagte, er solle das nächste Mal die Pferde dreimal reiten. Um die Chance zu erhöhen, doch ins Geld zu reiten. „Das ging mir relativ nah und ich war auch sehr gestresst.“ Er weiß, dass seine Eltern damals einen ganz anderen finanziellen Druck hatten, sodass sie zu manch einem Turnier fuhren und Preisgeld gewinnen mussten, um die Tankfüllung für den Heimweg bezahlen zu können. Er hat diese Geschichten zwar länger nicht mehr gehört, aber sie sind in seinem Kopf. Er lernt von seinen Eltern und er lernt gern.
Heute trainiert ihn vor allem sein Vater, der auch Steve Guerdat coacht und Nationaltrainer der Schweiz ist. Allzu viel schreien muss Thomas Fuchs gar nicht mehr, sein Sohn ist schlau genug, schon vorher zu wissen, was sein Vater sagen will. „Zu 90 Prozent. Trotzdem ist es immer wieder gut, dass er Inputs gibt und an die vielen kleinen Dinge erinnert.“ Was seinen Vater zu einem der besten Trainer macht? „Sein Gespür für das Pferd. Er weiß, was unsere Tiere brauchen, was man von ihnen abverlangen kann. Er ist mit den Pferden nicht so streng wie mit den Reitern. Wir springen nicht viel, wir springen nicht hoch, wir machen nichts Spezielles in meinen Augen. Wir versuchen, die Pferde fit und bei Laune zu halten.“ Am liebsten reitet Martin Fuchs ins Gelände oder auf dem großen Rasenplatz hinter den Koppeln. Im Sommer stehen dort Hindernisse. „Hier kann ich sie schön galoppieren lassen, der Boden ist wellig, das ist gut für die Balance.“
Auf den Sandpaddocks lassen sich die Pferde die Sonne auf den zugedeckten Rücken scheinen. Jeden Tag haben sie zweimal Auslauf, im Sommer wie im Winter, auf den Paddocks und den Graskoppeln. Egal, ob’s gefroren ist oder nicht. Immer ohne Gamaschen. „Mein Vater hat nach seiner Springkarriere mit dem Trabrennsport begonnen und sich viel von den besten Trabrennfahrern und Trainern Europas abgeguckt, wie sie die Pferde halten und trainieren. Er war extrem begeistert davon, dass die Pferde bei ihnen sehr viel rauskommen. Seitdem machen wir das mit unseren Pferden genauso. Ohne Gamaschen sind sie viel freier.“ Viel Bewegung, viel frische Luft, das ist Martin Fuchs Credo für seine Pferde. Happy und locker sollen sie sein.
Tanz durch die Nacht
So wie er. Er ist ganz offensichtlich mit sich im Reinen, spricht ruhig, überlegt, ist klar und direkt – selbst im Interview ist er präsent, hält den Blickkontakt, und ist doch so locker und entspannt. Dabei hat unser Termin bereits Überlänge. Wie kann man mit 27 Jahren schon so abgeklärt und reif klingen? „Ich glaube, dass ich menschlich ein bisschen weiter bin und sich nicht alles ums Pferd drehen muss. Ich habe eine super Freundin mit Paris. Es gibt nicht nur Turniere, sondern auch noch ein normales Leben. Darum nehme ich mir auch gezielt die Auszeiten.“
Martin Fuchs ist ein Genussmensch. Ganz anders übrigens als sein guter Freund Steve Guerdat, liebt er es, in den Urlaub zu fahren. „Steve bucht eine Woche Ferien und kommt nach zwei Tagen nach Hause. Ich buche sieben Tage und bleibe zehn.“ Steve spielt eine große Rolle für Martin Fuchs, er ist sein Vorbild, Trainingspartner, Freund seit vielen Jahren. „Er ist wahnsinnig herzlich für sein Umfeld, seine Freunde. Er gibt so viel zurück, wenn ihm jemand wichtig ist. Und ich finde es unglaublich, wie er wirklich nur für diesen Sport lebt, von diesem Sport vergiftet ist. Am liebsten wären ihm nur Pferde.“ Martin Fuchs kann auch mal gut ohne seine Vierbeiner. Am liebsten fliegt er nach Mexiko, Los Cabos. „Super Wetter, gutes Essen, alles sehr easy going.“ Ganz nach seinem Geschmack. Und dem seiner Freundin Paris Sellon.
Bei der Global Champions Tour in Hamburg vor drei Jahren lernte er die Tochter zweier TV-Produzenten kennen. Sie gingen noch an diesem Wochenende in der Stadt essen und tanzten die ganze Nacht durch, „nur wir zwei“. Mit ihrer unkomplizierten, herzlichen, ungestümen Art habe sie sein Herz erobert, sagt er. Mittlerweile ist Paris in die Schweiz gezogen. Von Los Angeles nach Wängi – nur mit den Öffnungszeiten der Geschäfte könne sie sich noch nicht anfreunden. Ihre Pferde stehen bei Steve Guerdat in Elgg, acht Kilometer von Wängi entfernt. „Steve hat ein bisschen mehr Platz und Möglichkeiten auf seiner Anlage. Und ich helfe ihr einmal in der Woche beim Springen“, sagt Fuchs. „Normalerweise ist bei mir wirklich viel los in der Halle, manchmal sind acht, neun Pferde drin, einer longiert, zwei springen. Da bin auch ich sicher hektischer als sonst“, gibt er lächelnd zu.
Spa, Sport, Spesen
Die meiste Zeit verbringt er auf Turnieren, in vielen Wochen ist er nur montags und dienstags zu Hause und das sehr gern. Dort reitet er nur vormittags und nur wenige Pferde, drei, vier, selten sechs. „Ich reite lieber vier korrekt und eine Stunde lang, statt acht zu machen, nur um fertig zu werden.“ So eine Aussage kann sich nicht jeder Profi leisten. Martin Fuchs schon. „Den ganzen Tag im Stall zu sein, ist, glaub ich, für eine lange, gesunde Karriere nicht so gut. Ich merke einfach, wenn ich sechs Pferde reite, dass ich nicht besser werde. Am Nachmittag gönnt er sich Ausflüge nach Winterthur, geht in die Sauna, zur Massage, er schaut sich Videos von talentierten Pferden an, bezahlt Rechnungen, antwortet auf Fanpost, plant die nächsten Turniere. Spa und Spesen – all das gehört zu seinem Leben.
So wie der Spaziergang am Morgen und das Dehnen über den ganzen Tag verteilt. Er hatte eine ganze Weile Rückenprobleme. Sie gaben den Anstoß, dass er gemeinsam mit Steve Guerdat einen Personaltrainer engagierte. Seit er in Wängi lebt, geht er zwar nicht mehr ins Fitnessstudio, aber etwas für den eigenen Körper zu tun, ist ihm noch immer wichtig. „Das Dehnen und die Spaziergänge helfen mir eigentlich am meisten. Und ich mach’s einfach gerne, sehr gerne. Am liebsten durch den Wald, in der freien Natur. Bei der EM in Rotterdam bin ich immer am Fluss entlang spazieren gegangen. Das war super. Mit nur einem Pferd auf dem Turnier war auch Zeit dafür“, sagt er. Manchmal nehme er auch seinen Mäzen und Freund Luigi Baleri mit. „Der muss sich auch ein bisschen bewegen“, sagt er und schmunzelt verschmitzt. Für die Figur.
Luigi Baleri, der Mann, der dafür gesorgt hat, dass Martin Fuchs für immer sein bestes Pferd Clooney behalten kann. Er ist seit vielen Jahren ein guter Freund der Familie Fuchs. Zu Martins Schulzeiten fuhr Renata Fuchs immer mit den Pferden im Lkw zum Turnier vor. Luigi holte Martin von der Schule ab und kam mit ihm nach. „Er ist Autohändler, verkauft viele Autos. Da durfte ich mir immer aussuchen, mit welchem Auto wir fahren.“ Martins Augen leuchten auf wie bei einem kleinen Jungen. Welches Auto er sich am liebsten ausgesucht hat? „Porsche Cayenne.“
Luigi Baleri begleitet Martin Fuchs auch heute noch zu den Turnieren. „In Paris waren wir letztes Jahr bei der Global Champions Tour, haben uns diese E-Scooter gemietet und sind damit durch die Stadt gedüst. Wir gehen immer zusammen essen. Er ist super unkompliziert, setzt sich auch mal zwei Stunden irgendwo hin und macht ein Nickerchen.“ Fünf Pferde gehören Luigi Baleri aktuell: The Sinner, Chaplin, Silver Shine, Logan. Und Clooney 51.
Der Charakterstarke
Die Nummer eins im Stall Fuchs steht in der ersten Box links im jüngsten Stalltrakt, den Martin Fuchs für sieben seiner Turnierpferde bauen ließ. Bester Blick nach draußen auf die Sandpaddocks und innen auf die Stallgasse und den Hof. Clooney, dieser kleine, wache Schimmel. 1,65 Meter, größer ist er nicht. Im Maul fehlen ihm seit jungen Jahren ein paar Schneidezähne. An seinem ständig großen Appetit ändert das nichts.
Es war im Herbst 2013 als Martin mit seinem guten Freund und Reitkollegen Michael Christofoletti telefonierte. „Ich war gerade im Wald ausreiten, damals noch am alten Stall in Bietenholz. Ich weiß noch genau die Stelle, wo ich war. Michael erzählte, dass seine Freundin Jana Wargers ein ganz spezielles Pferd hätte, Vierter beim Bundeschampionat, Weltmeisterschaft Lanaken Siebter. Er hat mir den Namen gesagt.“ Wenige Stunden später setzte sich Martin direkt an seinen Laptop und schaute: „Clooney fiftyone in Lanaken.“
Martin fand sofort Gefallen an dem Schimmel und fuhr kurz darauf mit seinem Vater nach Westfalen zur Reitanlage von Kurt Holz. „Kurt, Jana und Mike waren da. Sie nahmen die Decke ab. Mein Vater sah den Senkrücken und den dicken Bauch und sagte sofort, ‚gut, den könnt ihr wieder in den Stall bringen, den probieren wir nicht. Mit so einem Rücken. Da musst du dich gar nicht draufsetzen.‘“ Ein Schockmoment. Dann redeten alle vier auf Thomas Fuchs ein. Ok, Clooney dürfe vortraben. „Tschk, tschk, tschk“, ahmt Martin Fuchs mit energisch rudernden Armen die Trabbewegungen nach. „Super Bewegung und Kraft.“ Martin solle sich nun doch mal draufsetzen, meinte der Vater. Martin ritt zum Sandplatz, nahm die Zügel auf und wollte gerade antraben, da stand Clooney kerzengerade in der Luft. „Ich dachte: ‚huch‘. Mein Papa sagte: ‚Ahhh, das ist super!‘“ Denn: „Die Guten haben immer Charakter.“
Am nächsten Tag kam Martins Pferdebesitzer Gregoire Oberson dazu und der Kauf wurde besiegelt. „Zu Hause wollte ich erst mal mit Clooney ausreiten, nach drei Minuten war ich schon wieder unten.“ Clooney war wieder gestiegen. „Wir haben ihn schnell wiedergekriegt, aber ich war total nervös.“ Später machten Martin Fuchs andere Dinge nervös. Der junge, unbedarfte Reiter und sein kluger, wenn auch eigenwilliger Clooney wuchsen zu einem Dreamteam zusammen. Doch schon nach ihrem ersten gemeinsamen Nationenpreis in St. Gallen folgte auf Doppel-Null das erste Angebot. Im folgenden Jahr nahm das vorolympische Verkaufskarussell Fahrt auf. „Ich hatte damals zwei Pferde von Gregoire: Cynar und Clooney. Es war klar, einer von den beiden wird verkauft und es wird Cynar sein, weil er ein Jahr jünger als Clooney und einfacher zu reiten war.“ Cynar ging, doch Clooney sollte nach Rio auch verkauft werden.
Martin Fuchs kennt das Geschäft, hat viele sehr gute Pferde kommen und gehen sehen. Doch als dann 2016 Mc-Lain Ward Clooney nach dem Turnier in Genf probereiten wollte, war etwas anders. „Mit Clooney passte mir das irgendwie gar nicht. Und selbst mein Vater, der normalerweise immer verkaufen will, hat sich bei Clooney ins Zeug gelegt.“ Seine Eltern fanden in Luigi Baleri den rettenden Anker. Zusammen mit Sabine Cartossi, der Mäzenin von Steve Guerdat, kaufte er Clooney – eine Stunde vor dem Großen Preis von Genf war der Deal perfekt.
Ein Jahr später stieg Cartossi aus und Baleri kaufte die zweite Hälfte. Die Belastungsprobe kam 2019 in New York in Form eines zweistelligen Millionenangebots. Martin Fuchs wurde wieder nervös. Er rief seinen Vater an. Der sagte: „Klar, den muss man verkaufen für so viel Geld!“ Er rief Luigi Baleri an. Der sagte: „Nein, ich verkaufe ihn nicht.“ Denn in was für ein Pferd solle er investieren, „wenn ich das beste verkaufe“?
Einmal Nummer eins
Clooney hat einen beachtlichen Anteil daran, dass es Martin Fuchs auf Platz eins der Weltrangliste schaffte. Im Laufe des vergangenen Jahres rückte er dem führenden Steve Guerdat immer mehr auf die Pelle. Dann war er so nah, dass er es packen wollte. Beim Weltcup-Turnier in London kurz vor Weihnachten holte er die letzten nötigen Punkte. Fuchs ist ein guter Rechner, blitzschnell. Er wusste genau, was er zu tun hatte, um Nummer eins zu werden. Er rechnete jede Situation, jede Platzierung durch. Doch am Ende war die Rechnung einfach: Martin blieb Null, bei Steve fiel eine Stange, damit war die Sache geritzt. „Ich hatte Hühnerhaut, ein ganz spezielles Gefühl.“ Wie speziell, merkte Martin Fuchs kurz nach dem Turnier zurück in der Schweiz. Er war nach dem Reiten gerade im Auto unterwegs, als ihn die Gefühle übermannten. Er fuhr rechts ran und weinte. Minutenlang.
„Wenn du Nummer zehn bist, weißt du, dass du vieles richtig gemacht hast. Aber als Nummer eins … ‚Jetzt bist du der Beste auf der Welt in dem, was du machst’, ging es mir durch den Kopf. Ich war so extrem dankbar, dass ich das erleben darf.“ Er ist der fünfte Schweizer, dem das gelang, unter ihnen: sein Pate Willi Melliger.
Er weiß bereits bei unserem Termin, dass sein knapper Vorsprung aufgebraucht ist und Steve Guerdat ab Februar wieder die Nummer eins sein wird. „Darüber bin ich nicht enttäuscht. Mir war nur wichtig, die Nummer eins zu werden, darauf bin ich stolz.“
Einfach Vertrauen
Am Tag nach unserem Interview, wird sich Martin Fuchs mit Paris Sellon in den Flieger setzen. Next Stop: Wellington, Florida. Sein Turnier-Pfleger Sean Vard ist bereits mit fünf Pferden in Frankfurt am Flughafen. Seit drei Jahren arbeitet der Ire für Martin Fuchs, es wirkt, als wäre es ein Leben lang, so eingespielt sind sie. „Sean war vorher schon sehr selbstständig“, erzählt Martin Fuchs. „Über die Reise nach Amerika haben wir vielleicht fünf Minuten gesprochen, er plant die Reisen selbst, er packt selbst. Er bestellt Kleidung, Reitsportartikel, alles.“ Das nehme Martin Fuchs viel Arbeit ab, er gebe sie aber auch gerne ab.
Seinen Eltern falle das schwerer, sagt er und erzählt, wie sein Vater früher vor jedem Turnier die Straßenkarte auspackte und mit dem Pfleger besprach, wo er entlangfahren solle. Martin wollte das anders handhaben. „Ich habe einfach gesehen, wie gestresst meine Eltern in vielen Situationen waren, wo sie eigentlich nicht gestresst sein sollten. Mir war wichtig, die richtigen Leute um mich herum zu haben und ihnen diese Arbeiten auch anzuvertrauen. Natürlich braucht es immer wieder auch Kontrolle, aber bei Sean weiß ich, dass alles funktioniert“, erzählt er und packt noch eine Anekdote drauf: „Meine Mutter fragte mich neulich ‚Ist Sean schon angekommen?’ ‚Ich weiß nicht, schau mal auf Instagram’, sagte ich. ‚Ja, hat er dir nicht geschrieben?’ ‚Na, auf Instagram siehst du doch, wo er ist’.“ Martin Fuchs lacht, so herzlich und offen.
Manchmal müssen Thomas und Renata Fuchs sicherlich tief durchatmen. Das ist das Los der Eltern. Aber auch sie haben großes Glück: Sie wissen, dass der – vorerst – letzte Reiter aus der Fuchs-Dynastie seinen Weg geht. Und das verdammt gut und mit einem beneidenswerten Urvertrauen. Das hat er ihnen zu verdanken.