Monica Theodorescu im Interview: „Wir müssen den Pferden zuhören.“
Die Olympischen Spielen liegen nun vier Monate zurück – wie schaust du heute auf sie zurück?
„Nach dem Gewinn von Mannschaftsgold haben wir uns sehr schnell auf die Kür fokussiert. Und doch war der Gewinn der Goldmedaille mit dem Team überwältigend. Ich war beflügelt nach den Erfolgen. Die Olympischen Spiele in Paris waren ein wunderschönes Erlebnis. Zu Hause trat kurz eine gewisse Müdigkeit ein, aber vor allem auch eine hohe Zufriedenheit, weil die Rädchen alle so gut ineinandergegriffen haben. Die Pferde waren top vorbereitet, die Stimmung im Team war gut und wir durften die französische Gastfreundschaft mit gutem Essen genießen. Noch wertvoller war aber, dass wir insgesamt sehr gutes Reiten bei den Olympischen Spielen gesehen haben.“
Nach Paris hat sich bei dir Zufriedenheit eingestellt. Manche Reiter sprechen davon, dass sie nach den Olympischen Spielen erst einmal tief durchatmen mussten, weil die Anspannung vorher so hoch war.
„Ich kenne es aus meiner aktiven Zeit, dass die Zeitrechnung sich in Olympiaden bemisst. Doch ich bin danach nie in ein Loch gefallen. Für mich gab und gibt es immer Ziele. Das Erreichte darf einen für den Moment zufrieden machen, und dann geht es weiter. Die Erde dreht sich weiter. Das Schöne daran: Die Erfahrungen, die man gemacht hat, lassen einen bewusster nach vorne schauen. Ich lerne ständig dazu.“
Und was hast du in Paris gelernt?
„Wie schön unser Sport ist. Wie schön es ist, wenn gutes Reiten, gut ausgebildete Pferde sowie ein großartiges Publikum vor so einer Kulisse zusammenkommen. Das war magisch. Ich fand die Atmosphäre fantastisch. Und auch den Park (Anm. d. Red.: der Schlosspark von Versailles, wo die Reitwettbewerbe stattfanden) habe ich sehr genossen. Ich bin viel spazieren gegangen, meine Hunde haben dabei zwar gefehlt. Aber insgesamt war das Leben ziemlich perfekt.“
Deine Medaillenausbeute als Bundestrainerin ist ziemlich perfekt. Was treibt dich an weiterzumachen?
„Die Pferde und die Reiter. Ich habe Riesenglück. Ich darf mit den besten Pferden und allerbesten Reitern dieser Welt zusammenarbeiten. Es geht nicht besser.“
Und es kommen neue Paare nach.
„So ist es und die nächste Generation zeigt wunderschönes, gutes Reiten. Die Richter bewerten es positiv, die Zufriedenheit der Pferde rückt wieder mehr in den Blick.“
Andererseits gab es in diesem Jahr Momente, die den Dressursport in ein ganz anderes Licht gestellt haben. Auch kurz vor Paris, als der Skandal um Charlotte Dujardin aufkam. Was macht das mit dir?
„Diese Bilder zu diesem Zeitpunkt haben den Dressursport sehr zurückgeworfen. Das war eine böse Erfahrung. Wir waren im Trainingslager und uns war klar, dass alles, was wir als Trainer (Anm. d. Red.: Johnny Hilberath, Co-Bundestrainer, und Monica Theodorescu) und unsere Reiter tun, nun in Frage gestellt wird. Und das ist erschütternd, weil wir fest daran glauben, dass wir das Richtige machen. Vielleicht gelingt uns das nicht immer und nicht jeden Tag zu 100 Prozent, und da reflektieren wir uns. Und trotzdem sind wir auf einem sehr guten Weg mit unserer Arbeit. Als wir von dem Skandal gehört haben, waren wir fassungslos. So eine Geschichte wirft alles über den Haufen. Charlotte Dujardin war sehr erfolgreich, sie war ein Vorbild, und diese hässliche Geschichte macht einfach alles kaputt. Uns war klar: Jetzt werden wir komplett anders bewertet.“
Erschüttert das deinen eigenen Glauben an die Szene?
„Nein, dann wäre ich nicht richtig in meiner Position.“
Du setzt deine Arbeit im Internationalen Dressurkomitee für weitere vier Jahre fort und vertrittst den Internationalen Dressur-Trainer Club beim Weltreiterverband. Warum?
„Wir befinden uns nichtsdestotrotz in einer guten und wichtigen Zeit. Das Jetzt mitgestalten zu dürfen, ehrt mich. Gutes Reiten wird heute als solches erkannt und das weiter zu fördern, ist ganz entscheidend.“
Reicht es in unserer Zeit, mit gutem Beispiel voranzugehen?
„Das ist die Voraussetzung. Ansonsten ist niemand von uns glaubwürdig. Ich möchte mir im Spiegel in die Augen gucken können.“
In Schweden ist ab 2025 freigestellt, ob man in der Dressur mit oder ohne Nasenriemen reitet. Wie findest du diese Entwicklung?
„Ich weiß nicht, was das bewirken soll. Das eine ist nicht automatisch pferdefreundlicher als das andere, wird aber häufig so wahrgenommen. Und vielleicht stellt sich somit in einiger Zeit die Grundsatzfrage, ob es pferdefreundlich ist, einen Sattel auf den Pferderücken zu legen und zu reiten.“
Wohin führen derartige Entwicklungen aus deiner Sicht? Etwa, dass sich der Pferdesport selbst abschafft?
„Möglicherweise. Und wenn dem so sei, dann hätte ich umsonst gelebt. Ich steige mein ganzes Leben lang aufs Pferd und sicherlich habe ich in dieser Zeit auch Fehler gemacht und dazu gelernt. Aber ich glaube nicht, dass es grundsätzlich falsch ist, zu reiten. Das Pferd ist dem Menschen zugewandt.
Wir haben den Pferden kulturell sehr viel zu verdanken. Wer mit Pferden arbeitet, lernt unheimlich viel Empathie, lernt viel über sich selbst und die Ausbildung eines Pferdes ist eine hohe intellektuelle Anforderung, wenn man sich tatsächlich damit auseinandersetzt. Viele Reiter werden mit dem fortschreitenden Alter immer besser. Die Erfahrungen, die wir mit Pferden machen dürfen, fördern unter anderem die Geduld. Es ist ein stetiger Lernprozess – mit und über die Pferde als auch über sich selbst. Das ist eine großartige Erfahrung. Das Pferd ist uns Menschen zugewandt. Es möchte etwas mit dem Menschen machen. Und dann kommt es auf den Menschen an, dass er dem Pferd keinen Schaden zufügt und mit dem Pferd agiert.“
Was bedeutet es, wenn immer weniger Ausrüstung gefordert wird?
„Das ist zu einfach gedacht, weil es am Ende auf denjenigen ankommt, der das Pferd reitet. Manche handeln aus Unwissenheit falsch, andere mit Vorsatz. Wissen zu vermitteln und aufzuklären, ist eines der ganz großen Themen, das uns aktuell beschäftigen muss.“
Ab Mai 2025 wird ein Messkeil für Nasenriemen auf internationalen Turnieren Standard. Wie beurteilst du diese Neuerung?
„Grundsätzlich ist es gut, wenn der Nasenriemen vor der Prüfung überprüft wird.“
Kürzlich kam die Frage nach Trainingskontrollen der Kaderreiter auf. Wie fändest du es, wenn die Reiter unangekündigt kontrolliert werden würden?
„Wenn Personal- und Kostenaufwand tragbar sind, spricht in meinen Augen nichts dagegen. Keiner unserer Top-Reiter würde sich sträuben. Ganz bestimmt nicht. Transparenz ist wichtig.“
Mit Dalera und Jessica von Bredow-Werndl ist eines der Top-Paare des deutschen Dressursports nun Geschichte. Was bedeutet das für deine Planung 2025?
„Wir haben mit Isabell Werth und Wendy wieder eins (lacht). Es wird sich alles finden. Die WM 2026 in Aachen ist unser übergeordnetes Ziel.“
Außerdem gibt es mit Kismet bei Jessica von Bredow-Werndl und Vayron im Stall von Ingrid Klimke nun zwei mehr als hoffnungsvolle Pferde, die in deutschem Beritt sind.
„Kismet habe ich noch nicht live gesehen. Vayron ist ein Medaillenpferd. Wir freuen uns darüber, solche Pferde in Deutschland zu haben. Es spricht für unsere Reiterei, dass es Besitzer gibt, die ihre Pferde an deutsche Reiter geben – auch mit dem Ziel, erfolgreich zu werden.“
Wie blickst du in Richtung Zukunft?
„Ich bin sehr zuversichtlich, immer sowieso.“
Noch ein Blick zurück: Was hat Dalera und Jessica von Bredow-Werndl zu so einem erfolgreichen Paar gemacht?
„Die beiden kennen sich in- und auswendig. In der Kür vor der Schloss Versailles erstrahlten ihre Harmonie und ihre besondere Verbindung noch einmal.“
Was zeichnet Dalera für dich als Pferd aus?
„Auf der einen Seite ihr Talent – trotz ihres Gebäudes – für Piaffe und Passage. Auf der anderen Seite, ihr Wille sich auf der Bühne zu präsentieren. Sie liebt es, zu performen. Wenn sie in das Viereck kommt, ist es wie beim Ballett. Sie fängt an zu tanzen. Das gelingt in dieser Eleganz nur mit der passenden Person obendrauf. Sie spürt in das Pferd hinein, entwickelt es mit und lässt es strahlen. Beim Reiten geht es nicht darum, was ich mache, sondern es geht um das Pferd.“
Wie gelingt es einem Reiter, sein Pferd derart strahlen zu lassen?
„Wir müssen den Pferden zuhören. Sie sagen und zeigen uns so viel. Wer hinhört, versteht besser, was das Pferd braucht. Mein Vater hat immer gesagt: Pferde verstehen alles, wir verstehen sie nicht. Ein Beispiel: Dalera hatte einige Zeit ein Problem mit der Grußaufstellung. Sie stand nicht still. Jessica und ich haben nach der Prüfung darüber gesprochen. Sie hat sich in dem Moment geärgert. Und ich habe nur gesagt: ‚Lass‘ ihr einfach etwas. Mach‘ dir nichts mehr draus.’ Und dann hat es irgendwann aufgehört. Beim Dressurreiten kommt es auf die Details an, doch man kann nicht alles steuern. Wir sollten unseren Pferden vertrauen, sie einfach mal lassen, sie tun ihr bestmögliches für uns.“