Die Skala der Ausbildung
Der Takt – warum er das Allerwichtigste ist
Helios hat den Beat. Ein eingebautes Metronom. Ob im Schritt, Trab oder Galopp – der Wallach von Dressurreiterin Uta Gräf setzt seine Hufe in einem absolut gleichmäßigen Bewegungsablauf auf. Hier würde niemand auf die Idee kommen, den Takt infrage zu stellen. Aber warum sollte man darüber überhaupt diskutieren? Weil der Takt die Basis von allem ist, der erste Punkt auf der Skala der Ausbildung, der Grundlage der klassischen Reiterei. Aber nicht nur das: Wenn wir es genau beobachten, bestimmt der Takt unser Leben. Ob die Uhr an unserem Handgelenk, die Ampel an der Kreuzung oder unsere eigenen Bewegungen. Selbst das Atmen unterliegt einem Rhythmus. Alles ist in einem Gleichmaß strukturiert. Solange wir einen Takt haben, fühlen wir uns wohl. Wenn dieser gestört wird, entwickelt sich sofort ein Gefühl von Disharmonie. Genauso geht es auch unseren Pferden.
Fehler im Verständnis
Takt – den Begriff kennt man vor allem aus der Musik. „Da bedeutet Takt eine Grundstruktur“, erklärt Musiker Johannes Madaus-Brück. „Nur so ist ein Stück für den Musiker und den Hörer überhaupt nachvollziehbar.“ Kurz gesagt, ist der Takt eine Gruppierung gleichwertiger Noten in einem bestimmten Zeitraum. Dabei gibt es viele verschiedene Taktarten. Vom Vier-Viertel- über den Sechs-Achtel-Takt und so weiter. „Ein Vier-Viertel-Takt bedeutet, dass alle gespielten Töne beziehungsweise Noten innerhalb eines Taktes in der Summe vier Viertel ergeben“, sagt Madaus-Brück. „Und diese Reihenfolge in gleicher Zeitspanne wiederholt sich ständig.“
Takt und Tempo sind also eng miteinander verbunden. „Das Tempo wird in der Musik von vornherein festgelegt, beispielsweise durch das Anzählen eines Dirigenten oder des Schlagzeugers in der Band. Der Takt ist dann die Aufteilung der Melodie beziehungsweise des Musikstückes in gleichmäßige Einheiten“, erklärt der Musik-Experte. Beim Reiten ist es vor allem das Wohlfühl-Tempo des Pferdes, das einen sauberen Takt vorgibt. Fordert der Reiter ein zu hohes Tempo, provoziert er damit Taktfehler. „Viele Reiter interpretieren den Leitsatz ‚Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade‘ falsch“, berichtet Thies Kaspareit, Leiter der Abteilung Ausbildung und Wissenschaft der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), aus seinen Beobachtungen. „Sie treiben das Pferd krampfhaft nach vorne, ohne auf das individuelle Tempo des Pferdes zu achten. Das ist häufig bei triebigen Pferden ein Problem.“
Ab auf die Straße!
Warum ist der Takt so wichtig für gutes Reiten? „Schon aus gesundheitlichen Gründen ist der Takt die Basis“, erläutert Thies Kaspareit. „Eine Taktstörung zeigt in vielen Fällen an, dass ein Pferd nicht fit ist.“ Doch auch wenn sich herausstellt, dass die Taktstörung keine gesundheitlichen Ursachen hat, ist etwas zwischen Reiter und Pferd nicht stimmig. „Der Takt ist absolut und nicht relativ. Er ist entweder geregelt oder nicht. Etwas dazwischen gibt es nicht“, betont Kaspareit. Eine Taktstörung sollte also nie auf die leichte Schulter genommen werden. Sie bedeutet immer, dass das Pferd in seinem Bewegungsablauf nicht gleichmäßig belastet wird. Die Muskulatur arbeitet nicht ausgewogen und wie Kaspareit zu bedenken gibt, sei das Pferd dadurch kaum in der Lage, sich loszulassen.
Ein geregelter Takt ist gut zu hören. Wer mit seinem Pferd auf der Straße oder einem befestigten Weg reitet, sollte sich einmal ganz auf den Klang der aufsetzenden Hufe konzentrieren. Viertakt im Schritt, Zweitakt im Trab, Dreitakt im Galopp. Beim Rückwärtsrichten setzt das Pferd die diagonalen Beinpaare parallel zurück, ein Zweitakt ähnlich wie im Trab. Auch Piaffe und Passage sind eigentlich ein Zweitakt, werden bei Balanceproblemen oder zu großer Spannung aber gerne mal zu einem nicht gewünschten Viertakt. Und im Galopp entstehen schnell Taktprobleme, wenn die fast parallel auffußenden Hufe etwas zeitversetzt aufgesetzt werden. „Dann spricht man gerne mal von einem Tralopp“, sagt Johannes Madaus-Brück, der für viele Dressur-Profis Kürmusiken produziert.
Das Gefühl für Tempo
„Am Anfang meiner Arbeit sitze ich nur da und klopfe den Takt der Bewegung des Pferdes mit“, erklärt er. Auf dem Bildschirm in seinem Tonstudio passagiert ein eleganter, langbeiniger Fuchswallach zu Michael Jacksons Billie Jean. Ein Metronom auf dem Handy schlägt genau passend zum Bewegungsablauf der Pferdebeine. „Mein wichtigstes Instrument am Anfang“, so Madaus-Brück. „Es ist unglaublich wichtig, dass der Takt der Musik mit dem Takt des Pferdes übereinstimmt, damit auch Laien ein harmonisches Gefühl bekommen.“
Da Takt und Tempo eng miteinander verbunden sind, ist es für den Produzenten eine echte Herausforderung, ein homogenes Musikstück zu konzipieren. Denn die Temposchwankungen liegen in einer Kür zwischen 100 und 140 beats per minute (bpm), also den Taktschlägen pro Minute. „Das Tempo von Galopp und Schritt liegt zwischen 95 und 100 bpm, von Piaffe und Passage zwischen 110 und 114 bpm, der Trab hat etwa 137 bis 143 bpm, und der starke Trab kann bis zu 150 bpm haben“, erläutert der Experte. Bei diesen Tempowechseln einen gleichmäßigen Takt zu erhalten, ist nicht nur eine Meisterleistung der Komposition, sondern auch im Sattel.
Wie sich ein gutes Tempo im Trab für den Reiter anfühlt, beschreibt Berufsreiterin Uta Gräf: „Ich versuche bei den meisten Pferden darauf zu achten, dass sie im Arbeitstrab mit dem Hinterhuf in die Spur des Vordehufes fußen. Wichtig dabei ist, dass das Pferd in seiner Bewegung und im Rücken das Gefühl des Schwingens vermittelt. Elastisch und nicht hölzern! Die Tritte müssen lang sein, das Tempo aber relativ ruhig. Trotzdem muss das Pferd fleißig den Weg nach vorne suchen.“ Die Crux liegt darin, dieses Gefühl von einem Pferd auf ein anderes zu übertragen. Umso wichtiger ist es, dass jeder Reiter ein ständiger Beobachter seines Vierbeiners ist.
„Ich denke, ein Reiter muss sich darauf einlassen, den Takt und das individuelle Tempo seines Pferdes zu erfühlen“, versucht Johannes Madaus-Brück zu verdeutlichen. Der Reiter gibt den Takt nicht vor. „Viele stellen sich selbst in den Vordergrund und versuchen entweder, den Bewegungsablauf des Pferdes bewusst zu beeinflussen oder machen dies unbewusst. Damit provozieren sie Taktstörungen“, erklärt der Musiker. Ein besonders hohes Maß an Taktgefühl ist also gar nicht notwendig, sondern vielmehr das sensible Wahrnehmen des Bewegungsablaufes des Pferdes. Es muss sich in allen Gangarten wohlfühlen und entspannen. Denn nur, wenn es nicht hektisch abfußt, kann ein gleichmäßiger Takt erhalten bleiben. Auch das Treiben muss deshalb im Takt passieren. Geschmeidig und nicht klemmend. Denn besonders sensible Pferde reagieren darauf mit verkrampften Bewegungen. Vorsicht: Taktstörungs-Gefahr!
Sorgenkind Schritt
Eine weitere Ursache für Taktfehler sieht Ausbilder Thies Kaspareit in einem Verständnis-Problem: „Erstens sind sie häufig die Folge, wenn Reiter die Anlehnung über Takt und Losgelassenheit stellen und versuchen, das Pferd zu schnell beizuzäumen, also durchs Genick zu reiten, ohne Rücksicht auf die ersten Punkte der Skala der Ausbildung.“ Automatisch wird das Pferd zu eng im Hals, weil die Hand des Reiters rückwärts wirkt und nicht weich nach vorne Richtung Pferdemaul federt. Es wird in seiner Vorwärtsbewegung blockiert und das hat Auswirkungen auf den Takt.
Doch was passiert, wenn sich durch eine falsche Ausbildung erst einmal ein Taktfehler eingeschlichen hat? Ist er korrigierbar oder nicht? „Natürlich kann durch gezieltes Training am Gleichmaß der Bewegung gearbeitet werden“, so Kaspareit. Wichtig ist dann, die Schritte auf der Skala der Ausbildung erstmal wieder zurückzugehen. Das heißt: Das Hauptaugenmerk liegt in dieser Phase auf dem Erreichen des Taktes und der Losgelassenheit. Der Reiter muss aber zu einer positiven Anlehnung im Sinne einer weich federnden Verbindung zum Pferdemaul bei genügend gedehntem Hals finden. Dazu kann bei manchen Pferden das Schenkelweichen und bei anderen das Reiten von Übergängen zwischen den und innerhalb der Gangarten hilfreich sein. Ein Beispiel dafür, dass man durch die Verbesserung von Losgelassenheit und Anlehnung auch den Takt wieder festigen kann.
Besonders Taktstörungen im Schritt seien nur sehr schwer wieder zu korrigieren, sagen viele Experten. Gerade Pferde mit einem sehr raumgreifenden Schritt neigen schnell dazu, passartig zu gehen. Sie setzen also Vorder- und Hinterbein auf einer Seite parallel nach vorne, anstatt mit jedem Huf einzeln im Kreuzgang vorzutreten. „Der Schritt ist eine schwunglose Gangart“, versucht Thies Kaspareit den speziellen Fall zu erklären. „Durch den fehlenden Schwung ist es schwerer über leichte Taktstörungen hinwegzureiten.“ Mit viel Geduld lässt sich aber auch ein Taktfehler im Schritt korrigieren.
Mit welchen Übungen der Takt in allen drei Grundgangarten gesichert werden kann, zeigt Profireiterin Uta Gräf. Denn eines muss sich jeder Reiter vor Augen führen: Pferde haben eigentlich kein Problem mit dem Taktgefühl. Sie bewegen sich von sich aus immer im Takt, wenn sie gesund, zufrieden und entspannt sind. Sie schnauben im Takt, ihre Schweife pendeln im Takt, ihre Köpfe nicken im Takt in jeder Bewegung. So wie unser Leben, bestimmt der Takt auch ihres. Aber nur dann, wenn der Reiter es zulässt.