Interview mit Jini Appel von der Organisation Equiwent
Krieg in der Ukraine: „Es sind unbeschreibliche Bilder“
Die Organisation Equiwent rund um den Hufschmied Markus Raabe setzt sich für Menschen und Tiere ein. Seit Kriegsbeginn vermehrt auch in der Ukraine. Von Rumänien aus versucht Markus Raabe möglichst den Menschen zu helfen, die die meiste Unterstützung benötigen. Seine Mitarbeiterin Jini Appel hat sich vergangene Woche Zeit genommen, um mit uns über die Wochen seit Kriegsbeginn zu sprechen:
Was haben Sie in der rumänisch-ukrainischen Grenzregion schon alles erreichen können, Frau Appel?
"Wir unterstützen mit Nahrung, mit Medizin und chippen und impfen vor Ort Hunde, die von ihren Besitzern mit an die Grenze gebracht worden sind. Equiwent stemmt aktuell alleine die finanzielle Herausforderung des veterinärmedizinischen Zusatzdienstes an der Grenze. Alle Kosten für Chips, dazugehörige EU-Pässe, Impfstoff und der Grenztierarzt sind immer und komplett durch Equiwent finanziert. Gestern Abend waren es bereits 750 Chips, damit die Hunde nach Europa einreisen dürfen. Außerdem sind wir in den Flüchtlingsunterkünften. Zum einen betreiben wir eigene, zum anderen unterstützen wir andere finanziell und haben beispielsweise Feldbetten angeliefert. Ein weiterer Punkt ist der Tierschutz: wir beherbergen aktuell 26 Pferde, versorgen sie und ermöglichen die Quarantäne. Offiziell dauert sie 21 Tage, die Pferde werden aber rund einen Monat vor Ort sein, bis sie weiterreisen dürfen, wenn die Besitzer das wünschen. Anderenfalls versorgen wir sie weiter bei uns."
Ich habe auf ihren Social Media-Kanälen gesehen, dass Sie sich in einem Waisenheim engagieren.
Genau. In der Ukraine haben wir ein großes Projekt in Czernowitz angenommen. Es ist ein Krankenhaus und Waisenheim, das nun zum Lazarett umfunktioniert worden ist. Zudem ist es ein Flüchtlingszentrum. 1.500 Flüchtlinge sind vor Ort, bei uns leben 80 Kinder mit schweren Behinderungen, 70 Kinder mit HIV, 150 Waisen. In dem Lazarett werden die Kriegsverletzten versorgt und es gibt weiterhin den normalen Krankenhausbetrieb. Vor Ort gab es keine Medikamente und kein Verbandsmaterial mehr, als wir um Hilfe gebeten wurden. Die Verletzten konnten dort nicht mehr versorgt werden. Selbst wenn jemand mit einer Schussverletzung gekommen wäre, hätte nicht geholfen werden können.
Das macht mich sprachlos.
Es ist unvorstellbar, was dort geschieht. Wir bekommen Bilder, viele wollen wir nicht zeigen, weil das Leid so groß ist. Wir versuchen zu helfen, nachhaltig und langfristig. Das Krankenhaus finanziert sich aktuell durch Spenden für unsere Ukraine-Hilfe. Dauerhaft müssen wir das aber mit Fördergeldern schaffen. Das ist ein großer Akt.
Equiwent leistet also langfristig Hilfe?
Alle unsere Projekte sind langfristig und nachhaltig ausgerichtet. Wir springen nirgendwohin, versuchen etwas ans Laufen zu bringen und sind wieder weg. Wir bleiben vor Ort. Da hilft es uns ungemein, mit festen Beträgen planen zu können. Das geht schon ab einem Euro.
Auch im Tierschutz engagieren Sie sich.
Unser Tierschutz und die humanitäre Hilfe gehen Hand in Hand. Wenn wir uns in dem Krankenhaus nicht so engagieren würden, wäre es für uns schwerer, uns für die Tiere einzusetzen. Die Grenzbeamten in Siret schätzen unseren humanitären Einsatz sehr. Wir erleben sehr viele hilfsbereite Grenzbeamte, genau wie Militär und Veterinäramt vor Ort.
18 Pferde haben Sie nun aufnehmen können, wie kam es dazu?
Insgesamt sind 26 Pferde bei uns in Quarantäne. Die angesprochenen 18 Pferde haben wir vergangene Woche in einer 40-stündigen Rettungsaktion nach Rumänien holen können. Sie kommen alle aus einem Stall. Ihre Besitzer sind samt Papieren und Dokumenten auf uns zugekommen. Die Pferde bleiben in der Quarantänezeit bei uns. Nach der Quarantäne entscheiden die Besitzer, wie es weitergeht. Wenn sie nach Deutschland oder in ein anderes europäisches Land wollen, unterstützen wir sie. Wenn sie nach Kriegsende zurück in die Ukraine wollen, unterstützen wir sie. Wir wollen ihnen so gut wie möglich helfen, auch beim Wiederaufbau. Eines ist noch wichtig: alle Tiere bei uns haben Besitzer. Wir wollen sie nicht verkaufen, wir sind keine Pferdehändler, sondern helfen, wo Bedarf ist.
Wie sehr planen Sie von Tag zu Tag?
Wir planen jeden Tag neu. Wir können nicht sagen, was morgen ist. Jeder Tag ist anders. Plötzlich braucht man an der Grenze zum Beispiel ein Dokument mehr, der bürokratische Aufwand ist hoch. Ein 16 bis 18 Stunden-Tag ist für unsere Mitarbeiter gerade normal.
Welches Engagement wünschen Sie sich aus Deutschland?
Wir bekommen ungemein viel Unterstützung und Zuspruch. Dafür sind wir sehr dankbar. Alle unsere Projekte laufen weiter, wir kümmern uns also aktuell genauso um unsere Projekte in Deutschland und Rumänien. Da geht es um Ghettofamilien, um Arbeitspferde, die Schulbildung. Das läuft weiter und deshalb sind unsere Tage auch so lang. Die neuen Projekte sollen genauso langfristig ausgelegt sein. Sollte der Krieg weiter andauern, wollen wir zudem eine Witwen- und Waisenhilfe bieten. Der Bedarf an Hilfe ist groß.
Ich stelle es mir schwer vor, zu entscheiden, wo Sie Hilfe leisten.
Es ist schwer. Bei uns bekommt nicht derjenige zuerst, der am lautesten schreit. Wir schauen genau, wo die Hilfe benötigt wird. Es gibt viele sehr laute Rufe, wenige sehr leise, die aber eigentlich noch mehr Hilfe benötigen. Wir sind bemüht, dass wir da sind, wo die Not am größten ist.
Hilfe für Pferde in der Ukraine
Millionen Menschen sind auf der Flucht vor der russischen Invasion und dem Krieg in der Ukraine. Um die Hilfsangebote für Menschen und Pferde vor Ort zu koordinieren, hat die Ukrainische Reiterliche Vereinigung (UEF) eine Stiftung gegründet und ein Logistikzentrum in Polen eingerichtet.
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