Europameisterschaften der Springreiter 2021
André Thieme ist Europameister!
Riesenbeck – Was für ein Finale bei den Europameisterschaften der Springreiter in Riesenbeck! André Thieme gewinnt Gold im Sattel seiner Fuchsstute DSP Chakaria (6,84 Strafpunkte), Silber ging an Martin Fuchs und sein erst neunjähriger Leone Jei ging an Silber (9,31) und Bronze an den Schweden Peder Fredricson mit seinem erfahrenen Schimmel Catch Me Not S (9,46).
Bis zum letzten Hindernis blieb das Ergebnis offen, der erste Umlauf brachte schon viel Bewegung in die Rangierung, der zweite Umlauf noch mehr. Ein Rückblick.
Der erste Umlauf – die Karten werden neu gemischt
Und plötzlich sind die Karten neu gemischt. Die 25 besten Reiter und Pferde waren für das Finale qualifiziert. Darunter alle vier deutschen Reiter unter den besten 14. Den Anfang aus Otto Beckers Quartettmachte Marcus Ehning mit Stargold. Bis zum sechsten Hindernis lief noch alles einwandfrei, doch der hohe Steilsprung aus einer engen Wendung heraus war heute zu hoch und auch am Aussprung der folgenden dreifachen Kombination blieb die obere Stange nicht liegen.
Dafür blieben bei David Will und C Vier alle Stangen liegen und so brachte sich der 33-Jährige wieder zurück ins Spiel mit seinem 13 Jahre alten Cardento-Sohn, bei dem jede Runde langsam aussieht und nie langsam ist. Die Schweizer Steve Guerdat und Bryan Balsiger patzten, auch Christian Kukuk und Mumbai kassierte Strafpunkte. In der Dreifachen musste der Reiter vom Stall Beerbaum noch einmal deutlicher einwirken – im Teamspringen hatte er das in einer ähnlichen Situation nicht gemacht und so einen Hindernisfehler riskiert. In der Dreifachen blieben die Stangen noch in den Auflagen, doch am Aussprung der Zweifachen auf der Schlusslinie, wurde es am Aussprung wurde es zu weit und die Stange fiel. Weil Nicola Philippaerts und Olivier Robert jeweils an zwei Hindernissen glücklos blieben, rückte Kukuk dennoch einen Platz nach vorne auf Rang sieben vorerst.
Dann kamen die besten Fünf. Der Schwede Peder Fredricson und sein Catsh Me Not S – einer der Cardento-Stars – blieb erneut null, schon sich damit nach vorne. Die EM-Überraschung Ioli Mytilineou aus Griechenland und ihr wunderbarer Levis de Muze, Spitzname „Porky“ flogen wie schon an allen anderen Tagen über die Hindernisse, ohne auch nur eine Stange aus der Auflage zu schmeißen. Einzig die Zeit reichte nicht ganz aus, ein Strafpunkt kam dazu.
Der Belgier Peter Devos hatte mit der bunten Fuchsstute Jade vd Bisshop einen Hindernisfehler, spülte so Mytilineou und Fredricson nach vorne. Dann kam die Stunde von André Thieme und DSP Chakaria: Und wieder blieben sie fehlerfrei. Das Schweizer Paar Martin Fuchs und Leone Jei, die sich im Laufe des Turniers in die Favoritenrolle sprangen, hatten einen Fehler am Oxer nach dem Wassergraben. Und somit lag André Thieme bei seinen ersten Europameisterschaften plötzlich in Führung und konnte es kaum fassen. „Stand jetzt freu ich mich einfach und hoffe, dass der Parcours gleich mir und Chakaria liegt.“
Der zweite Umlauf – nur zwei Nullrunden und alles ist offen
Christian Kukuk ging als sechster Starter in den Parcours und dieses Mal sollte ihm mit Mumbai alles gelingen – in diesem Moment war das die zweite fehlerfreie Runde in diesem Starterfeld der besten Zwölf, die erste gelang dem Belgier Nicola Philippaerts. Nach Kukuk ritt David Will ein, er ließ sich viel Zeit mit seinem Start, zeigte C Vier in Ruhe die beiden Mauern des Parcours. Doch diese sollten nicht die Klippen für seinen Cardento-Sohn werden: schon an Hindernis eins fiel die erste Stange, am drittletzten Hindernis, ein Oxer, fiel die zweite.
Kurz zuvor war Will mit C Vier auf dem Abreiteplatz gestürzt. „Ich habe es nicht gesehen, weil ich gerade Christian Kukuk zugeschaut habe. Ich habe nur gehört, er ist zu früh weg, bei einem ganz kleinen Sprung, der Tierarzt und der Arzt für David waren gleich da. Es ist zum Glück nichts passiert. Aber klar, der Rhythmus und die Konzentration waren erst mal weg und leider hatte er dann die zwei Abwürfe.“
Auch nach Will gab es keine fehlerfreien Ritt mehr: Martin Fuchs und Leone Jei, zu der Zeit auf Rang vier, verbuchte vier Fehlerpunkte. Der so fantastisch springende Levis de Muze trug seine griechische Reiterin Ioli Mytilineou überwältigend über die ersten vier Hindernisse, doch zur dreifachen Kombination passte die Distanz nicht mehr. Die 24 Jahre junge Reiterin gab schließlich auf – und bleibt die Überraschung dieser EM und hinterließ bei vielen eine Gänsehaut nach jedem ihrer Ritte.
Auch demso erfahrenen schwedischen Duo Peder Fredricson und Catch Me Not S unterlief schon am zweiten Hindernis ein Fehler und ein teurer Zeitfehler obendrein. So hätte sich André Thieme mit Chakaria ein Hindernisfehler und zwei Zeitfehler erlauben können. Der Fehler kam. Bereits am fünften Hindernis, am Einsprung der Dreifachen. Und erneut war die Zitterpartie eröffnet. Doch Chakaria und Thieme flogen. Sie flogen über die Hindernisse, getragen von 3.250 Zuschauern, sie flogen zu Gold.
Gedanken-Karussell eines Europameisters
„Als ich Chakaria heute morgen ein bisschen Dressur geritten habe, fühlte sie sich besonders frisch an und ich dachte: ok! Das war schon ein gutes Zeichen“, blickt Thieme zurück. Die erste Runde habe sich schon sehr gut angefühlt, er hielt eine zweite Nullrunde für möglich. „Ich habe mich ziemlich sicher gefühlt, weil ich wusste, dass ich mir einen Fehler erlauben kann, die ersten drei Sprünge fühlten sich so gut an, ich dachte: ‚Mann!’ Und dann kam ich genau wie geplant in die Kombination und hatte diesen Fehler. ‚Huiuiui, wir haben noch einige Sprünge vor uns’! Ich habe versucht, ruhig zu bleiben und sie blieb ruhig bei mir. Ich bin wirklich gesegnet mit diesem Pferd. Das ist etwas ganz besonderes.“
Thieme ist der zwölfte deutsche Europameister seit 1957 und der erste aus den neuen Bundesländern! „Dieser Sieg ist definitiv etwas Besonderes! Als ich das erste Mal das Hamburger Derby gewonnen habe, dachte ich, das sei das Beste, was mir je passiert ist. Genauso ging es mir als wir den Eine Million Dollar Grand Prix gewonnen haben. Aber emotional, für alle hier in Deutschland und für meine Familie ist nichts mit dem Sieg hier heute zu vergleichen.“
Titelverteidiger Martin Fuchs gewann Mannschaftsgold nun auch Einzel-Silber. „Im ersten Moment war ich ein bisschen enttäuscht, mit meinen beiden Fehlern in den zwei Umläufen. Aber dann André Ritt zu sehen, der auch so nah an Gold dran war, das war unglaublich spannend und einfach besonders. Ich bin überglücklich, ich fahre mit zwei Medaillen nach Hause.“ Sehr ähnlich erging es dem Bronze-Gewinner Peder Fredricson, der sich natürlich über seinen Fehler ärgerte und nun doch glücklich nach Hause fährt.
Das Glück des Mutigen
Mit auf dem Podium bei der abschließenden Pressekonferenz saß auch der Gastgeber, Ludger Beerbaum, an den Martin Fuchs noch ein paar Worte richtete: „Du bist die inspirierendste Persönlichkeit dieses Sports. Hinter deinem Rücken nennen wir dich eine Legende. Dass du diese Anlage gebaut hast und dieses Turnier ausgerichtet hast – wir wissen deinen Einsatz wirklich zu schätzen! Es gab niemanden, der nicht begeistert war.“ Dass ihn diese Worte nicht kalt ließen, sah man in Ludger Beerbaums Augen. „Ich bin wirklich dankbar, überhaupt die Möglichkeit bekommen zu haben, so ein Event zu veranstalten. Es war eine mutige Entscheidung, es war ohne Frage ein harter Job. Aber als es entschieden war, haben wir so viel Unterstützung gespürt, so viel positive Energie bis heute, das Wetter eingeschlossen. Auch der Sport. Du kannst so viel planen, aber es können immer Unfälle passieren, Dinge können schief gehen oder es regnet. Man muss auch Glück haben. Wir sind uns dessen bewusst. Und wir haben hier ein tolles Podium und mit Christian Kukuk auf Platz vier, der so nah dran war. Ich bin absolut überglücklich.“
Christian Kukuk verpasste mit 0,47 Strafpunkten Unterschied haarscharf das Podest. Sichtlich angeschlagen war er kurz nach der Prüfung, trotz dieser grandiosen Platzierung – er hatte sich nach dem Team-Finale eine Platzierung unter den besten zehn gewünscht – und der souveränen zweiten Runde im Einzelfinale. „Ich bin tief enttäscht, weil das Pferd mit der Runde, die er jetzt gezeigt hat, einfach eine Medaille verdient hätte. Und die Chance habe ich ihm nicht gegeben. Das ist schon bitter.“
Bundestrainer Otto Becker: „Dass Christian, der sich hier zu Hause sehr viel vorgenommen hat und im ersten Umlauf einen – Entschuldigung – saublöden Fehler hatte, sich jetzt maßlos ärgert, das ist völlig normal. Aber er kann trotzdem stolz auf sich sein. Sein Pferd ist erst neun Jahre alt, die haben hier alles gegeben, haben hier super Runden gezeigt. Christian ist einer von unseren hochtalentierten Reitern, der hat in den letzten zwei, drei Jahren eine sensationelle Entwicklung gemacht. Ich bin mir sicher, er wird noch Gelegenheiten haben, im Einzel auch so eine Medaille zu kriegen.“