Dressur-Bundeskader spricht sich gegen verkürzte Grand Prix-Aufgabe aus
"Man darf nicht vergessen, dass ein Pferd immer ein Pferd bleibt"
Warendorf - Anlässlich der Generalversammlung des Weltreiterverbandes (FEI) im November hatte die Arbeitsgruppe internationaler Dressurrichter einen Maßnahmenkatalog zur Weiterentwicklung der internationalen Dressurprüfungen vorgestellt. Eine der zentralen Maßnahmen darin ist der sogenannte "Hi/Lo-Drop", das Streichen der jeweils höchsten und niedrigsten Wertnote aus dem Gesamtergebnis. Bereits bei der FEI-Generalversammlung 2017 sollte über diese Einführung abgestimmt werden, dazu kam es jedoch aufgrund zahlreicher Proteste im Vorfeld nicht. Nun liegt dieser Vorschlag erneut auf dem Tisch.
Diese Art der Bewertung gibt es zum Beispiel im Eiskunstlauf. Der Vergleich dieser Disziplin mit dem Dressurreiten hinkt jedoch, da beim Eiskunstlauf alle Richter an einer Seite der Eisfläche sitzen und die gleiche Perspektive einnehmen. Es gehört jedoch zur Philosophie des Dressursports, dass Pferd und Reiter aus einer 360-Grat-Perspektive bewertet werden. Aus diesem Grund sitzen die Richter an allen Seiten des Vierecks verteilt – so entstehen auch unterschiedliche Wertnoten. Hi/Lo würde diese Perspektive begrenzen. Nur die Rundum-Perspektive gewährleistet, dass der Trainingsstand eines jeweiligen Pferdes vollumfänglich anhand von Kriterien wie Stellung und Biegung, Rahmenerweiterung, Geraderichtung und dergleichen bewertet werden kann. Jeder Richter hat die Möglichkeit, Trainingsmissstände wie einen durchhängenden Rücken, ein zusammengezogenes Genick, ein offenes Maul oder eine heraushängende Zunge etc. zu bestrafen. Dies gewährleistet auch das Wohlergehen der Pferde („Welfare of the horse“). Durch Hi/Lo besteht jedoch die Gefahr, dass ausgerechnet derjenige Richter, der solche Fehler korrekt bewertet, das Streichergebnis liefert. Das Endergebnis spiegelt dann nicht die Gesamtleistung wider, sondern gibt dem betroffenen Reiter einen unverdienten Vorteil. Zudem bedeutet eine besonders hohe oder niedrige Note nicht automatisch, dass der betreffende Richter falsch bewertet hat. Hi/Lo ermutigt die Richter demnach nicht gerade, die gesamte Bandbreite der verfügbaren Noten auszuschöpfen, auch aus Sorge davor ständig derjenige zu sein, der das Streichergebnis liefert und damit in die Kritik von Reitern, Trainern und Öffentlichkeit zu geraten. Dies erschwert auch die Rekrutierung von Richter-Nachwuchs und die gesamte Richter-Ausbildung.
Eine weiteres Argument gegen Hi/Lo ist, dass einzelne besonders gute Leistungen nicht mehr anhand des Ergebnisses herausgestellt werden können – die Noten rücken näher zusammen und Mittelmäßigkeit wird vorherrschen. Für alle, Zuschauer, Richter, Trainer und Reiter, wird es schwieriger, die wirklich guten von den weniger guten Paaren zu unterscheiden. Letztlich werden also Richter, die Ausreißernoten vergeben, überflüssig. Sie stehen dann nämlich für ein Ergebnis, das nicht ihre Bewertung widerspiegelt und für das sie sich nicht verantwortlich fühlen.
Transparenz, Fairness, Nachvollziehbarkeit der Bewertung – so lauten die Ziele des DJGW-Papiers. Doch Hi/Lo würde zu mehr Diskussionen über Richterurteile führen und trägt nicht dazu bei, dass herausragende Leistungen honoriert und Ausbildungsmängel bestraft werden. Dass Hi/Lo der völlig falsche Weg ist, darin sind sich die Aktiven einig, so wie es auch schon der Dressurausschuss des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei (DOKR) in seiner Dezember-Sitzung war.
Die Dressurreiter sprachen sich auch dafür aus, die sogenannten Fußnoten für Reiter und Pferd wieder in die Bewertung mit aufzunehmen. Bereits 2017 hatte die FEI die „Collective Marks“ für das Pferd abgeschafft. Die Noten für Sitz und Einwirkung des Reiters blieben erhalten. Es entfielen also die Bewertung von Gehorsam und Durchlässigkeit, Reinheit der Gänge, Schwung und Elastizität. Diese Entscheidung stieß damals schon bei den Aktiven als auch bei Bundestrainerin Monica Theodorescu und beim Dressurausschuss auf großes Unverständnis. „Die Fußnoten sind essentiell wichtig, um die Wertigkeit der Grundsätze des Dressurreitens zu unterstreichen“, sagte Monica Theodorescu.
Bei der Weltcup-Station in London Ende 2018 war zum ersten Mal eine neue Version des Grand Prix getestet worden. Die Aufgabe wurde von 5.45 Minuten auf genau fünf Minuten verkürzt, zum Beispiel entfiel das Rückwärtsrichten. Zudem blieben die Paare bis zur Verkündung ihrer Bewertung in der Bahn und gaben anschließend ein kurzes Interview zu ihrer Prüfung. „Es spricht überhaupt nichts dagegen, die Prüfungen mit Interviews nach jedem Ritt und individueller Musik unterhaltsamer für die Zuschauer zu machen, so wie es zum Beispiel in Stuttgart erfolgreich gemacht wird. Wir sehen auch, dass solche Turniere mit der klassischen Tour aus Grand Prix und Special funktionieren, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, und die Hallen dort voll besetzt sind. Aber das Pseudo-Argument, dass verkürzte Prüfungen mehr Medienpräsenz bringen, zieht für mich nicht, und zwar solange nicht, bis mir die Verfechter dieses Glaubens einen neuen Fernsehvertrag vorlegen. Wir stehen vor grundlegenden Herausforderungen wie dem Umgang mit Social Media und Bildern vom Abreiteplatz oder vor der Frage, ob man Pferde überhaupt noch reiten darf. In dieser Diskussion darf es nicht um eine Minute mehr oder weniger gehen. Wir brauchen vielmehr ein Gesamtpaket, um unseren Sport besser zu vermarkten und voranzubringen“, sagte Isabell Werth.
Fest steht für die Aktiven: Aufbau und Länge der Grand-Prix-Prüfungen haben Sinn und Berechtigung. Die einzelnen Aufgaben bauen aufeinander auf, etwa die Galoppwechsel zu zwei Sprüngen und später von Sprung zu Sprung. Sie fragen alles ab, was das Dressurreiten ausmacht und können somit ein vollumfängliches Bild des Trainingszustands von Pferd und Reiter geben. Eine Kürzung einzelner Lektionen ist deshalb nicht zielführend. „Wir sind offen dafür, unseren Sport weiterzuentwickeln. Man kann vieles verändern, aber man darf nicht vergessen, dass ein Pferd immer ein Pferd bleibt“, sagte Isabell Werth. „Wir Reiter erleben es oft, dass sich ein Pferd erst im Laufe der Prüfung entspannt, sich an die Umgebung gewöhnt und sich im Viereck findet. Die Pferde brauchen also genau diese Zeit. Es wäre nicht im Sinne des „Welfare of the horse“, den Grand Prix dauerhaft zu verkürzen. Wir können sicher über Nuancen diskutieren, aber wir dürfen der Prüfung nicht Fluss und Harmonie nehmen, so wie es gerade geschieht. Das geht zu Lasten der Pferde.“
Ob und wann die Veränderungen tatsächlich in dieser Form final umgesetzt werden, steht derzeit nicht fest. Die nächsten Meilensteine sind das FEI-Sports Forum im April und die Generalversammlung im November.