Marcus Ehning im Portrait: Ein Macher, kein Redner
Borken – Marcus Ehning hat am vergangenen Wochenende für Gänsehaut beim CHIO Aachen gesorgt. Der Sieg im Großen Preis – für viele Reiter ein Lebenstraum. Für Marcus Ehning der Lohn für unendliche Ausdauer, den Glauben an seinen Pret a Tout und ein Moment, von dem er seinen Kindern und Kindeskindern erzählen möchte. Ein Moment für die Ewigkeit. Doch wer ist der Mann aus Borken eigentlich? 2016 hat Reiter Revue International Marcus Ehning besucht, einen Nachmittag mit ihm und seiner Familie verbracht. Das Ergebnis: ein Portrait, das versucht, Ihnen Marcus Ehning ein Stück näher zu bringen. Ein Blick hinter die Fassade des erfolgreichen Sportlers.
Marcus Ehning. Der Name steht für einen Stilisten im Parcours, einen Seriensieger auf internationalen Turnierplätzen, aber nicht unbedingt für einen großen Redner. Am liebsten lässt der Borkener seine Ritte einfach wirken. Die schönen Runden sollen nachhallen, die misslichen analysiert er selbst bis ins Detail. Er will gut sein, gewinnen. „Ich fahre nicht zum Turnier, um zum Turnier zu fahren“, sagt er bestimmt. Der Fokus des Mannes, den Ludger Beerbaum einmal als begnadetes Talent bezeichnete, war 2016 auf ein Ziel gerichtet: Rio de Janeiro. Und dabei geht es nicht um das olympische Motto „Dabei sein ist alles“, sondern um Medaillenträume. Leider platzten diese mit dem verletzungsbedingten Ausfall von Cornado NRW in Brasilien. Ehning fluchte, war schwer enttäuscht und stellte sich dann in den Dienst des Teams, gab Tipps, half beim Aufbauen und beim Analysieren der Ritte. Seitdem hat sich viel getan. Ludger Beerbaum ist nicht mehr der Leitwolf im roten Jackett, sondern Ehning ist es, der den jüngeren Reitern im Team Sicherheit gibt. So wie beim Sieg im Nationenpreis am vergangenen Donnerstag. Sein Ritt ließ keine Sekunde am erklärten Ziel, den Hattrick im Nationenpreis, zweifeln – so routiniert, so sicher, einfach cool. Das ist Ehning nach außen hin.
Sein Schlüssel zu solchen Erfolgen? Konzentriertes Reiten, seine Pferde reagieren auf feinste Hilfen, sind immer bei ihm. Das ist sein Markenzeichen. Dahinter steckt Arbeit und Talent. Und so war Marcus Ehning beim Besuch von Reiter Revue International natürlich auf dem Springplatz zu finden. Es ist ruhig. So ruhig, dass man meinen könnte, es gäbe hier nur Weiden, zwitschernde Vögel und sprunggewaltige Pferde. Es wird gearbeitet, hochkonzentriert und effizient. Nichts kann scheinbar vom Reiten ablenken.
Doch da kommt Pony Paulchen hinter dem Stall hervor. Auf dem Rücken des Shettys, dessen Bauchumfang dem eines Großpferdes fast Konkurrenz machen könnte, sitzt freudestrahlend Yula Ekaterina, die älteste Tochter von Marcus und Nadia Ehning. Während Paulchen sie über den Platz schaukelt, fechten ihre Brüder Davy Andreas und Nael Fyor aus, wer welche Sandkastenschaufel haben darf. Ganz normaler Familienalltag. Kleine Kinder fordern Aufmerksamkeit, viel Aufmerksamkeit – und sie machen glücklich. Marcus und Nadia Ehning haben vier Kinder. Das Jüngste, Lyas Ehning, ist im September 2016 geboren. Wollte Marcus Ehning immer eine große Familie? „Dafür braucht es zunächst einmal die richtige Frau. Und die muss auch Kinder wollen. Da muss man schon Glück haben“, sagt er schmunzelnd.
Das Glück heißt Nadia
Er hat Glück. Seine Frau Nadia managt den Alltag, ist Herzblut-Mama und versteht seine Passion. Sie selbst war hocherfolgreich, holte jeweils drei Goldmedaillen bei Welt- und Europameisterschaften in der Einzelwertung im Voltigieren. Lange hat auch sie für ihren Sport gelebt, heute hat die Familie höchste Priorität. „Alles hat seine Zeit und das ist auch gut so. Ich trauere meiner aktiven Laufbahn nicht hinterher, sondern habe positiv mit ihr abgeschlossen“, schaut Nadia Ehning zurück. Dass ihr Mann von diesem Schritt noch weit entfernt ist, stört sie nicht. „Ich wusste, auf was ich mich einlasse“, lacht sie. Sie hat Marcus Ehning als Spitzensportler kennen und lieben gelernt. Nach den Weltreiterspielen 2002 hat es bei beiden gefunkt.Liebe auf den ersten Blick war es aber nicht: „Kennengelernt haben wir uns bei einer Shownummer. Da haben wir Springreiter uns im Voltigieren versucht und uns einen Spaß daraus gemacht, inklusive des ein oder anderen Biers vorher. Ich glaube ihr erster Eindruck von mir war nicht so gut“, resümiert Marcus Ehning. „Aber irgendwie konnte ich sie ja doch noch von mir überzeugen“, sagt er lächelnd. Sein Blick wandert dabei über den Reitplatz hin zu dem Sandhaufen, auf dem seine Söhne gerade mit Wasser matschen. Er sieht entspannt aus. Sein Training hat er mittlerweile beendet, das Pferd an die Pflegerin übergeben und schnallt seine Sporen ab. Die Hände machen die Bewegung flink, routiniert, nahezu automatisiert. Keine zehn Sekunden und schon hängen die Sporen in einer Reihe mit zig anderen Paaren. Es gibt extra eine Aufhängung dafür. Oben auf der Ablage liegen Chaps, darunter schlummert der Hofhund im Körbchen. Marcus Ehning setzt sich, um seine Chaps abzunehmen. Hier im Stall fühlt er sich wohl, kommt sogar ins Plaudern. Während er über seine Pferde spricht, huscht immer wieder ein nahezu spitzbübisches Lächeln über sein Gesicht. Beispielsweise, wenn er vom Weltcup-Sieg 2003 mit Anka erzählt. „Das war ein prägendes Ereignis, weil ich überhaupt nicht damit gerechnet habe.“
Per Smartphone dabei
Unvergesslich sind für ihn aber auch die ersten Runden auf Pony Starlight. „Damals habe ich gemerkt, was ein Kracher ist. Der war wirklich eine Granate“, sagt Ehning. Die beiden gewannen 1990 und 1991 Mannschaftsgold bei den Europameisterschaften der Ponyspringreiter, zwei von vielen Medaillen, die Marcus Ehning mittlerweile nach Hause holen konnte. Er gilt als ehrgeizig, als Perfektionist. Immer und jederzeit will er das Beste im Sattel erreichen, weil ihm Spaß macht, was er tut: „Ich reite immer noch gerne. Jeden Tag. Und dafür muss es nicht der Große Preis sein.“ Es ist seine Leidenschaft, die er zum Beruf gemacht hat, nicht weil er es musste, sondern weil er es konnte. Das merkt man ihm an. Er wirkt zufrieden, wenn er so über sein Leben spricht.
Die Pferde gehören bei Ehnings eben einfach dazu. Das war schon immer so und gilt auch für Nadia Ehning. Marcus und sie sind froh, dass ihre Kinder sich für das Reiten und Voltigieren begeistern können. „Die Kinder sollen Spaß haben und ungezwungen mit den Tieren umgehen können“, betont Nadia Ehning. Sie selbst war als Kind von Pferden völlig fasziniert, stand in ihrer Familie aber relativ allein damit da. Doch ihre Eltern förderten sie. Heute unterstützt Nadia ihre Mutter, die das große Familienunternehmen für Daten- und Elektrotechnik nach dem Tod ihres Mannes 2010 weiterführt.
Die Begeisterung fürs Pferd scheint Nadia an ihre Tochter Yula weitergegeben zu haben. Für sie ist ihre Voltigiergruppe momentan das größte. Aber auch Davy ist schon 2016 viejährig seine erste Führzügelklasse geritten, sein Papa war derweil beim Pfingstturnier in Wiesbaden. Jetzt zieht er das Smartphone aus der Tasche, scrollt rauf und runter, bis er findet, was er sucht. Stolz streckt er einem das Handy entgegen: Auf dem Bildschirm ein Foto von Davy auf Shetty Paulchen. Beide sind schick herausgeputzt. Paulchen trägt rote Bandagen, Davy Andreas den passenden roten Motiv-Helm der Kinderserie „Cars“. Cool.
Marcus Ehning ist bei vielen solcher Momente nicht live dabei. Nadia Ehning sieht das gelassen: „Wir haben andere Regelmäßigkeiten als andere Familien, das war uns beiden immer bewusst. Die Zeit, die wir als Familie haben, nutzen wir intensiv. Und für unsere Beziehung ist es ein Vorteil, dass ich das Leben für den Sport kenne. Damals habe ich auch volles Verständnis von allen verlangt.“
Ein Hobby mit Potenzial
Ist Marcus Ehning zu Hause, ist allen der Abend besonders wichtig. Das gemeinsame Essen vorneweg. Ist er nicht da, kümmert Nadia Ehning sich alleine um alles. Kindermädchen? Fehlanzeige. „Wir sind immer im Gesamtpaket unterwegs“, lacht sie. „Und wenn Marcus da ist, kann es auch schon einmal sein, dass ich zu den Kindern sage ‚wir fahren zum Stall‘, weil Papa da ist.“ Zum Glück wohnen sie nur wenige Minuten von der Reitanlage entfernt. Ihre Kinder haben mit den drei Ponys Ringo, Paulchen und Freckle Möglichkeiten, von denen Nadia Ehning als kleines Mädchen geträumt hat. Ein eigenes Pferd war und blieb lange Zeit ihr größter Wunsch. Heute verbringen ihre Voltigierpferde ihre Rente auf den Weiden im heimischen Borken.
Nebenan stehen verdiente Sportpferde von Marcus Ehning. So wie Noltes Küchengirl. An ihrer Seite trabte 2016 ein aufgewecktes, selbstständiges Fohlen: Plot‘s Princess ist eine Plot Blue-Tochter. „Küche“ und „Ploti“, zwei Pferde mit denen Ehning in der internationalen Spitze mitgemischt hat. Ja, sogar das Weltcup-Finale gewinnen konnte. Und nun raten Sie mal, wann die Kleine auf die Welt gekommen ist – klar, während des Wetcup-Finals 2016. Vielleicht ein Wink Richtung Zukunft? Sicherlich ist die Zucht im Hause Ehning ein Hobby mit Potenzial. Küchengirl wurde in diesem Jahr von For Pleasure besamt.
For Pleasure, ein Name, der immer wieder fällt. Den Hengst reiten zu dürfen, war für Marcus Ehning 1998 ein großes Glück. Der Fuchs war seine Eintrittskarte in den Olymp der deutschen Top-Reiter. Zwar hatte Ehning da schon sechs erfolgreiche Europameisterschaften für Nachwuchsreiter hinter sich, aber den großen Durchbruch ermöglichte ihm erst For Pleasure. „Mein Pony Starlight und er hatten große Ähnlichkeit. Beide waren unglaublich ehrgeizig, schnell und mit sehr viel Springvermögen ausgestattet.“ Zwei „Gute“, wie Ehning gerne sagt. „Gut“ – kurz, prägnant, ein Adjektiv, das zu Ehning passt.
Leistung, mehr nicht
So ein „Guter“ ist auch Cornado NRW. Wie seine anderen Top-Pferde auch überzeugt der Schimmelhengst unter anderem mit der richtigen Einstellung. Das ist Marcus Ehning wichtig, denn Talent allein reicht nicht – weder beim Mensch noch beim Tier. Der Fleiß macht den Unterschied. Überstunden zählt der Mann aus Borken nicht, kennt er auch nicht. Wenn Turnier ist, ist Turnier – weltweit. So wie im September in Tryon, Weltreiterspiele. Ehning ist ein heißer Kandidat für das Championat. Das hat er in Aachen mehr als eindrucksvoll bewiesen. Und das ist Marcus Ehnings Ding: durch Leistung zu überzeugen. Viele Worte über seine Erfolge verliert er – zumindest Journalisten gegenüber – nicht. Er ist ein Macher und sendet so Ausrufezeichen Richtung Bundestrainer.
Das Betriebsgeheimnis
Das unwahrscheinliche Szenario, dass Ehning nicht für Tryon nominiert würde, wäre eine große Enttäuschung. Ehning weiß aber auch, worauf es beim Reitsport ankommt. Auf gesunde Pferde, geplantes Training, das richtige Timing und Management. Irgendwo ist und bleibt der Reitsport ein Glücksspiel, bei dem eine kleine Unaufmerksamkeit alles zunichte machen kann. Ein Sieg hängt häufig von Sekundenbruchteilen ab.
Umso wichtiger ist das präzise Reiten, eine der Stärken von Marcus Ehning. Und noch eine Sache ist für den gelernten Groß- und Außenhandelskaufmann entscheidend: „Man muss das Pferd auf seiner Seite haben, es muss für einen kämpfen.“ Springgymnastik stand heute auf dem Plan. Auf den ersten Blick unspektakulär, auf den zweiten beeindruckend. Denn auf welchem Pferd Ehning auch sitzt, es sieht harmonisch aus, leicht, ja nahezu spielerisch, aber stets kontrolliert.
Wie er die Pferde auf seine Seite holt? „Betriebsgeheimnis“, sagt der Springreiter, lächelt verschmitzt und schweigt. Nach einem Moment holt er weiter aus: „Ich reite viele unterschiedliche Pferde, aber ich behandele sie nicht alle gleich. Ich stelle mich individuell auf sie ein. Im Parcours ist aber wichtig, dass Gas und Bremse bei allen gleichermaßen funktioniert.“ Wieder eine Redepause. Er wartet auf die nächste Frage.
Die dreht sich nicht um den Reiter Marcus Ehning, sondern um den Ausbilder. Sein Unterricht ist gefragt. Er ist angesehen in der Szene. Und so ist die Liste seiner Schüler lang und nicht minder prominent. Einer von ihnen ist Bertram Allen, der irische Nachwuchsreiter, der mit 19 Jahren bereits an den Weltreiterspielen teilnahm. Ein anderer, der sich gerne den ein oder anderen Tipp bei Marcus Ehning holt, ist Vielseitigkeits-Star Michael Jung. Reitsportgrößen aller Disziplinen schwärmen von Marcus Ehnings Stil im Parcours. Ein Vorbild ist der Borkener allemal. Nach Tryon wird er vermutlich ohne Familie reisen. Seine Frau Nadia fliegt nicht gerne. Der Familienurlaub findet daher meist vor der Tür statt: „In den vergangenen Jahren waren wir auf Juist“, sagt ihr Mann. Sie ergänzt: „Und an Weihnachten fahren wir zu Oma Jutta nach Belgien.“ Regelmäßigkeiten, die das Familienleben ausmachen und gut tun – jedem Familienvater und Spitzensportler. Selbst wenn jener so sehr ans Reisen gewöhnt ist, wie Marcus Ehning. Dass er als Sportler einmal die ganze Welt sieht, wagte er vor 25 Jahren aber nicht zu träumen. Zu groß war der Respekt. "Vor 25 Jahren hätte ich zu viel Respekt davor gehabt, von meinem heutigen Leben zu träumen. Ich wusste, wie schwer es ist, ganz vorne mitzureiten.“ Nun macht er es. Jeden Tag mit der gleichen Präzision mit der er sich den Weg nach ganz oben geebnet hat. Abheben wird ein Marcus Ehning aufgrund seiner Erfolge sicherlich nicht. Nur der Flieger mit ihm an Board um Deutschland weltweit zu repräsentieren, wird es sicherlich noch oft. Zum Beispiel im September nach Tryon, oder Herr Bundestrainer?