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Zu welchem Preis?

Longieren auf Körungen in der Kritik

Rund sieben Minuten werden Junghengste auf vielen Körplätzen longiert. Speed-Dating mit potentiellen Käufern und der Körkommission. Manche Hengste überzeugen, andere kommen nicht zur inneren Losgelassenheit. Wie auch? Sind ihre Körper für diese Art der Belastung überhaupt stark genug? Eine hitzige Diskussion – auch über das Wohl des Pferdes. 

Der Longenführer rahmt das Pferd beim Longieren ein. Manchen gelingt es ihre Pferde ruhig und gelassen zu präsentieren. Bei anderen Pferden ist das Tempo noch deutlich zu hoch.

Zweijährige Pferde schreiten, traben und galoppieren im Kreis. Sie sind ausgebunden und werden von hunderten Augenpaaren angestarrt. Es ist Körung. Eine Kulisse, die die Junghengste nicht kennen. Wer ihnen Sicherheit geben kann, ist der Longenführer. Manche versuchen ihre Hengste in Ruhe und mit Bedacht altersgerecht an der Longe vorzustellen. Fraglos, keine leichte Aufgabe. Denn zugleich wird von ihnen erwartet, das Pferd bestmöglich in Szene zu setzen. Für den Besitzer des Hengstes und möglicherweise auch für einen Verkauf.

Doch was heißt in diesem Kontext eigentlich bestmöglich? „Die Hengste sollen auf jeden Fall nach den Richtlinien ausgebunden sein“, stellt Hans-Heinrich Meyer zu Strohen, Vorsitzender der Hannoveraner Körkommission heraus. „Wir wollen losgelassene, natürliche Bewegungen sehen und kein zu hohes Tempo“, unterstreicht der Fachmann weiterhin. Außerdem scheue man sich auch nicht, Hengstvorführer anzusprechen, wenn die Präsentation nicht altersgerecht sei. Klare Worte und ein deutliches Bekenntnis zur pferdegerechten Ausbildung.

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Und in der Praxis? Fanden mehrere bekannte Experten, die in diesem Artikel zu Wort kommen, das Longieren bei der vergangenen Hengstkörung auf dem Hannoveraner Körplatz in Teilen verbesserungsfähig. Auf die Frage, wie viele Hengstvorführer tatsächlich angesprochen worden seien, hat Ulrich Hahne, Zuchtleiter des Hannoveraner Verbandes keine konkrete Zahl im Kopf. „Es sind auf jeden Fall mehrere pro Körung. Denn wir wollen die Hengste altersgerecht und in einer gewissen angedeuteten Anlehnung beobachten“, sagt er.

Der Kritik bewusst

Den Zuchtverbänden ist bewusst, dass das Longieren teils kritisch gesehen wird. Und auch, dass in der Vergangenheit nicht alles richtig rund gelaufen ist. Festzuhalten ist daher, dass die Zuchtverbände als Organisatoren sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Teils nehmen sie die Aufgabe schon an, Hengstaussteller für das richtige Longieren weiter zu sensibilisieren. Beispielsweise gab es im Westfälischen Pferdezentrum Anfang November 2023 eine spezielle Schulung. Thema: Longieren und Hengstpräsentation auf den Körungen. Stefan Holtwiesche, Hengstaufzüchter und Hengstaussteller aus Westfalen, sagt: „Das war eine sehr gute Veranstaltung. Es wurde anschaulich erklärt, was gewünscht ist.“ Vom Ausbinder bis zur gewünschten Zirkelgröße wurde alles erläutert. In diesem Jahr wird es bei der Westfälischen Hauptkörung Anfang Dezember eine Neuerung geben: Der Longierzirkel bekommt eine innere Abgrenzung. Damit soll sichergestellt werden, dass die Pferde nicht auf einem zu kleinen Zirkel um die Vorführer herumlaufen, erklärt Stefan Holtwiesche. Er ist davon überzeugt, dass das Longieren ein wichtiger Bestandteil der Körung ist. „So können wir die Leistungsbereitschaft und die Balance des Hengstes besser beurteilen“, meint der Betreiber eines Ausbildungsstalls. Bei ihm werden die Junghengste nach den ersten Sommermonaten aufgestallt, um für die Vorauswahl vorbereitet zu werden. Anfang August ende für sie meist die Zeit in der Herde.

Vom Mindestalter und dem Training

Viele der Hengste sind dann noch keine 30 Monate alt. Laut Leitlinien ist das – vereinfacht gesagt – das Mindestalter, um Pferde in eine zielgerichtete Ausbildung zum vorgesehenen Nutzungszweck zu nehmen. Die berechtigte Frage an dieser Stelle ist, was die „zielgerichtete Ausbildung zum vorgesehenen Nutzungszweck“ eigentlich umfasst. Eine klare Antwort gibt es nicht, aber folgende Formulierung findet sich in den Leitlinien zum Tierschutz im Pferdesport: „Es kann je nach Rasse, physischer und psychischer Entwicklung des Pferdes sowie dem angestrebten Ausbildungs- und Nutzungszweck ein längeres Abwarten geboten sein, um Verletzungen und Schäden, die durch einen zu frühen Ausbildungsbeginn entstehen können, zu vermeiden.“

Außerdem hat sich das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in den Leitlinien verpflichtet, „zeitnah umfassende wissenschaftliche und praktische Untersuchungen zu initiieren und zu unterstützen, bei denen vor allem die Trainingsbedingungen, die Auswirkungen eines frühen Nutzungsbeginns, die Haltungsumwelt sowie die Durchführung der tierärztlichen Beurteilung der physischen und psychischen Belastbarkeit der betreffenden Pferde im Vordergrund stehen.“ Erste Ergebnisse werden mit Spannung erwartet.

Doch wie bewerten Insider den aktuellen Status Quo? „Vom Longieren haben wir uns mehr versprochen, als wir es eingeführt haben. Heute kann ich sagen, dass es nicht die gewünschte Aussagekraft hat“, sagt Dr. Wolfgang Schulze-Schleppinghoff, Präsident des Oldenburger Verbandes sehr deutlich. Er zweifelt daran, ob es wirklich zielführend ist, so junge Hengste bei Körungen an der Longe zu präsentieren. „Die Pferde sind beim Longieren ständig gebogen und teilweise starken Fliehkräften aus-gesetzt. Ob das für ein derart junges Pferd – und vor allem, wenn es dann zur Haupttrainingsmethode wird – positiv ist, bezweifele ich“, sagt Dr. Schulze-Schleppinghoff kritisch. Außerdem merkt er an, dass die Körkommission nicht nur bei einzelnen Pferden Anmerkungen hinsichtlich der Art des Longierens habe. Für Dr. Schulze-Schleppinghoff wäre es daher am sinnvollsten, gerittene Hengste zu kören. Er ist ein Verfechter der Sattelkörung und sagt: „Wir wollen doch Reitpferde züchten, also müssen wir auch entsprechend selektieren.“

Klare Worte in einer Welt, die nicht rosarot ist. „Es gibt die Theorie und es gibt die Praxis. Wenn so longiert würde, wie in der Theorie beschrieben, hätte ich dagegen weniger einzuwenden“, stellt Biomechanik-Experte und Buchautor Stefan Stammer klar. „Da wir nicht in einer rosaroten Welt leben, in der die Hengste ohne Manipulation vorgestellt werden, und in der es nur auf die tatsächliche Qualität ankommt, ist es schwierig“, betont er und schiebt hinterher: „Jeder möchte Geld verdienen.“

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Kundenwünsche versus Pferdewohl?

Damit spricht er einen Punkt an, der auch Landoberstallmeisterin Dr. Astrid von Velsen-Zerweck, Leiterin des Haupt- und Landgestütes in Marbach beschäftigt: „Wir haben das Ideal vor Augen und wir versuchen danach zu streben. Aber machen wir es bereits gut genug? Das ist die entscheidende Frage, der wir uns stellen müssen.“ Die 55-Jährige sieht auch die Wünsche und Forderungen der Hengsthalter und Kunden. „Wir leben in der heutigen Zeit“, stellt sie fest. Die Hengstkörung ist eben auch ein Hengstmarkt. Es geht (auch) um das Geschäft. Das bestreitet niemand. Im Gegenteil: Allen ist klar, dass die Verbände die Vermarktung der Pferde als Einnahmequelle brauchen.

„Früher wurden Hengste in der Vorbereitungshalle für einzelne Kunden präsentiert. Teils mehrfach. Das ist durch das öffentliche Longieren nichtig geworden“, erklärt Hans-Heinrich Meyer zu Strohen. Es schaffe ein entspannteres, ruhigeres Umfeld für die Hengste. Ein weiterer Punkt, der seines Erachtens für das Longieren im Rahmen der Beurteilung des Hengstes spricht: „Es gibt klare Regeln. Wir beobachten die Hengste genau. Es gibt Stewards in der Vorbereitungshalle.“ Doch die Kulisse in der Halle beeindrucke einige Hengste, räumt er ein. Dadurch käme es auch mal zu Bildern, die angespannte Hengste zeigten.

Wer schon einmal ein junges Pferd in einer ungewohnten Umgebung erlebt hat, weiß, dass Gelerntes nicht immer so leicht zu zeigen ist, wie im heimischen Betrieb. „Wir brauchen bei den Körungen Transparenz und Konsequenz“, fordert daher Dr. Astrid von Velsen-Zerweck. Ihres Erachtens müssen Pferde, die deutliche Zeichen der Überforderung zeigen, abgeklingelt werden. „Wenn das Pferd in dem Moment nicht auf dem Zirkel galoppieren kann, dann ist das so. Es ist nicht schlimm.“ Es sei ein junges Pferd, dem keine Qualität abgesprochen werde. „Das ist in das Bewusstsein der Körkommissare eingesickert. Für mehr Transparenz und Verständnis könnte man dies kommentieren. Wir müssen zeigen, dass wir die Pferde altersgerecht vorstellen wollen.“ Nur manchmal gelinge es nicht. Es sind Tiere.

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Pseudo-Rahmen für die Optik

Und es sind sehr junge Tiere, die noch nicht lange im Training sind. „Sie werden für die Körung in einen Pseudo-Reitpferde-Rahmen gepresst“, sagt Pferdeosteotherapeut Stefan Stammer. Das Problem dabei: „Dafür haben sie keine muskuläre Unterstützung. Es sind Pferde, die teils aussehen wie Mastschweine. Ihre Muskulatur hat aber keinen funktionalen Wert. Es sind optisch bemuskelte Pferde. Realistisch ist es aber so, dass Pferde vier oder fünf Jahre Training brauchen, um in diesen Rahmen zu kommen“, betont der Fachmann für Biomechanik.

Würde er ein Pferd kaufen, das bei einer Hengstkörung war? „Niemals. Statistisch gesehen sind die Pferde, die eine Hengstvorauswahl durchlaufen haben, häufiger vorgeschädigt. Sie nehmen diese Zeit ein Leben lang mit.“

Desweiteren räumt Stammer mit einem oft gehörten Argument für das Longieren auf: Es heißt, an der Longe könne man die Balance des Pferdes beurteilen. „Stimmt nur bedingt“, sagt Stammer. Es gebe die Pferde, die eine natürliche Balance mitbringen. Doch auf der anderen Seite ließe sich auch Balance manipulieren: „Balance gilt nur in Losgelassenheit und Takt. Wenn ich mich an eine Laterne lehne, bin ich in Balance. Wenn ich die Balance beim Pferd durch einen Hilfszügel künstlich erzeuge, habe ich eine manipulierte Balance. Wenn ich den Hilfszügel wegnehme, verliert das Pferd die Balance“, erklärt er. Vielmehr gehe es um die natürlichen Anlagen des Pferdes. „Da geht es um funktionale Aspekte eines Körpers. Es geht um die Fähigkeit des Pferdes, sich selbst auszubalancieren. Nicht darum, wie der Mensch das Pferd ausbalancieren kann“, macht Stammer deutlich. Und sieht, dass es ungeheuer schwer ist, die natürliche Veranlagung von den manipulierten Bewegungen zu unterscheiden. „Uns muss es darum gehen, die Pferde möglichst lange und genau in ihren natürlichen Bewegungen zu beobachten“, betont auch Dr. Astrid von Velsen-Zerweck. Der Grund liegt auf der Hand: „Nur so können wir die besten Hengste kören.“ Dass die Bewegungsqualität in der Genetik verankert sein muss und nicht gemacht, sieht auch Ulrich Hahne vom Hannoveraner Verband so. Seines Erachtens haben sich die Bilder auf den Körungen deutlich verbessert. „Es ist unser Anspruch, pferdefreundliches Longieren zu zeigen und positiv hervorzuheben.“

Reitmeister Martin Plewa beobachtet, dass das Longieren auf Körungen nach wie vor „zu häufig zu falsch und schlecht gemacht“ sei. Einer seiner Hauptkritikpunkte ist der Fokus auf die Vorderbeinaktion des Pferdes an der Longe: „Wenn Pferde in absoluter Aufrichtung gehen, zeigen sie mehr sogenannte ‚Knieaktion‘. Der Rücken ist dann stramm, dadurch kann der Unterarm weiter gehoben werden. Aber das hat nichts mit der natürlichen Bewegung des Pferdes zu tun“, unterstreicht Plewa. Weiter hebt der ehemalige Leiter der Westfälischen Reit- und Fahrschule hervor: „Die natürlichen und losgelassenen Bewegungen sollten vielmehr im Fokus stehen. Was nützt mir eine unnatürliche Bewegung bei der Auswahl eines Zuchthengstes?“

Longierverbot?

Der bekannte Ausbilder der klassischen Reitlehre geht noch einen Schritt weiter: „Das Longieren auf Körungen lehne ich dann ab, weil dabei versucht werden kann, einen bestimmten Bewegungsablauf zu forcieren. Das kann für ein Pferd nicht gesund sein. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Pferde teils keine zweieinhalb Jahre alt sind. Ich halte es vom Grundsatz her für falsch.“ Er gibt zu bedenken, dass der Bewegungsapparat des jungen Pferdes nicht für eine solche Belastung ausgelegt sei. Ein Pferd in diesem Alter solle nicht in dieser Art auf dem Zirkel gearbeitet werden. „Es ist nicht altersgerecht. Muskeln kann man recht schnell aufbauen, aber Sehnen, Bänder und Gelenke sind in dem Alter noch nicht so belastbar. Daher finde ich diese Art des Longierens in dem jungen Pferdealter für unangebracht“, betont Martin Plewa weiter.

„Das Longieren gibt uns auch Aufschluss über das Interieur des Pferdes, über seine Konzentrationsfähigkeit“, stellt hingegen Hans-Heinrich Meyer zu Strohen heraus. Sicher ist, dass im nächsten Winter wieder viele Augenpaare auf die Junghengste bei den Körungen gerichtet sind. Teils kritisch, teils wohlwollend. Die Diskussion geht weiter.

Dieser Artikel ist erstmals in der Januar-Ausgabe 2024 erschienen.