Diskussion über Herpes-Impfpflicht
Von schweren Nebenwirkungen berichten viele Reiter und Pferdehalter auf den Social Media-Kanälen: Ataxien, tagelanges Fieber, Folgeerkrankungen, sogar von verstorbenen Pferden nach einer Impfung ist die Rede.
Schon seit Jahren sind Nebenwirkungen bei Herpes-Impfungen gegen den Herpes-Typ EHV-1 ein Thema. In den meisten Zuchtbetrieben ist die Impfung aber längst standardisiert. Die Folgen einer Herpes-Verbreitung wären deutlich schlimmer. Das zeigte der Herpes-Ausbruch im Februar auf einer internationalen Turniertour im spanischen Valencia. Im direkten Zusammenhang starben 18 Pferde. Doch das Virus verbreitete sich teils in weiteren Ställen und sorgte dort auch dafür, dass Stuten ihre Fohlen verloren.
Das Tückische am Herpes-Virus: Ist der Bestand nicht komplett geimpft, kann ein Ausbruch dazu führen, dass der Virendruck so hoch wird, dass auch geimpfte Pferde einen schweren Verlauf der Krankheit erleiden.
Hier finden Sie detaillierte Infos zum Herpes-Virus.
Einzig eine flächendeckende Immusierung der gesamten Bestände kann auf Dauer regelmäßige Herpes-Ausbrüche eindämmen, sind sich die Experten einig. Aufgrund der Angst vor Impfreaktionen sind allerdings derzeit lediglich 15 Prozent der Pferde in Deutschland gegen das Virus geimpft.
Wie Impfreaktionen entstehen
„Bei jeder Impfung, bei der schließlich eine körperfremde Substanz verabreicht wird, muss man mit unerwünschten Wirkungen rechnen“, stellte Prof. Dr. Karsten Feige von der Tierärztlichen Hochschule Hannover in einem Interview mit Reiter Revue International zu diesem Thema klar. Gemeinsam mit anderen Experten hat er deshalb für die Ständige Impfkommission Veterinärmedizin(StIKo Vet) Leitlinien zum Thema Impfen herausgebracht.„Impfen heißt nicht: Spritze raus, rein ins Pferd, nach Hause fahren. Ein Pferd muss vor der Impfung gezielt untersucht und seine Impfgesundheit attestiert werden“, macht er deutlich. Das bedeutet, dass es zum Zeitpunkt der Impfung nicht mit anderen Infektionen belastet sein darf. Untersucht wird daher nach Anzeichen wie Nasenausfluss, tränenden Augen, geröteten Schleimhäuten oder verdickten Lymphknoten. Wird trotz mangelnder Impfgesundheit geimpft, können Nebenwirkungen entsprechend stärker auftreten.
Das hat folgenden Hintergrund: Über den Impfstoff werden Antigene verabreicht, die den Körper stimulieren, Antikörper gegen das Virus oder das Bakterium zu produzieren. Das Immunsystem reagiert also mit dem Aufbau von Schutzmaßnahmen, was die Wissenschaft auch als Immunantwort bezeichnet. Dass sich der Körper nun gegen die Krankheit wappnet, erfordert eine hohe Leistung des Immunsystems, was das Pferd viel Kraft kostet. Vor allem in den ersten Tagen nach der Impfung ist der Körper auf das Aufrüsten seiner Abwehrkräfte fokussiert, „deshalb sollte man dem Pferd in diesen Tagen unbedingt Ruhe gönnen und es nicht durch sportliche Beanspruchung zusätzlich belasten“rät der Experte. Die verabreichten Antigene, die aus einem getöteten Virus, aus einem abgeschwächten Virus oder aus Teilen einer Virushülle bestehen, gaukeln dem Immunsystem eine Infektion vor. Nicht jeder Organismus reagiert aber auf die gleiche Weise. „Wenn Sie an einer Grippe erkranken, die üblicherweise mit Fieber, Gliederschmerzen und Erschöpfung einhergeht, gibt es drei Möglichkeiten: Sie husten nur ein bisschen, Sie merken gar nichts oder Sie machen einen schweren Verlauf durch. Das kommt darauf an, wie leistungsstark Ihr Immunsystem in diesem Moment ist. Genauso ist es auch bei einer Impfung.“
Die Folge können leichtes Fieber, Mattigkeit oder lokale Schwellungen an der Einstichstelle sein. „Das sind klassische Nebenwirkungen einer Impfung“, erklärt Karsten Feige. „Sie klingen in der Regel nach zwei Tagenvon alleine wieder ab.“ Das Pferd ist nicht krank, es zeigt vielmehr an, dass sein Immunsystem gerade auf Hochleistung arbeitet. In diesen Tagen, in denen sich das Immunsystem auf den Aufbau von Antikörpern konzentriert, haben allerdings andere Erreger leichtes Spiel. „Stellen Sie sich vor, Sie waren am Wochenende auf dem Turnier, das Pferd hat körperlich viel geleistet, war mentalem Stress ausgesetzt, beides belastetdas Immunsystem. Vielleicht hat es zusätzlich auf dem Turnier Kontakt mit einem leicht erkrankten Pferd gehabtund kämpft nun selbst gegen den Erreger, ohne dass man es ihm bereits äußerlich anmerkt. Wenn Sie nun das vermeintlich fitte Pferd direkt nach dem Wochenende impfen, ist das Immunsystem überfordert und der unbemerkt im Körper schlummernde Erreger wird den Kampf gewinnen.“ Je nachdem, um welche Infektion es sich handelt, entwickelt das Pferd unterschiedliche Krankheitssymptome.
„Diese Erkrankung ist dann aber keine Nebenwirkung des Impfstoffes, sondern das Resultat einer Infektion, die ohnehin im Körper des Pferdes geschlummert hat und die durch die Belastung des Immunsystems infolge der Impfung ausbrechen konnte“, verdeutlicht der Fachmann. „Der Tierarzt kann auch nicht immer sicher feststellen, ob ein Immunsystem vorbelastet ist. Wenn sich das Pferd kurz zuvor infiziert hat, die Infektion aber wegen der Inkubationszeit noch nicht ausgebrochen ist, wirkt das Pferd nach außen gesund. Wenn dann geimpft wird und das Pferd erkrankt, wird dem Impfstoff ein hohes Nebenwirkungsrisiko angedichtet, was aber vielmehr am Individuum und an den Umständen lag.“
Impfstoff ist nicht gleich Impfstoff
Auch Tierarzt Dr. Kai Kreling machte deutlich, dass eine Impfung einen Mehrwert bringt. Tatsächlich gibt es in Sachen Nebenwirkungen aber klare Unterschiede zwischen den drei gängigen Impfungen bei Pferden Tetanus, Influenca und Herpes. „Die Impfung gegen Tetanus ist zum Beispiel weitgehend reaktionsfrei, denn der Impfstoff ist alles andere als aggressiv und ich habe noch nie erlebt, dass bei dieser Impfung irgendetwas passiert ist.“ Das liegt unter anderem daran, dass es sich bei der Impfung gegen Tetanus um einen Toxoidimpfstoff handelt, dem Pferd also keine Krankheitserreger oder Teile davon verabreicht werden, sondernlediglich deren inaktivierte Anteile. Diese entgiftete Substanz ist in der Lage, im Falle einer Infektion das Tetanus-Gift zu neutralisieren.
Dagegen ist der Impfstoff gegen die Pferdeinfluenza und gegen Herpes anders aufgebaut. Weil hier mit einem „echten Antigen“, also mit dem Virus selbst oder Teilen von ihm, gearbeitet wird, wirkt die Impfung deutlich aggressiver als der Tetanus-Impfstoff. Das Immunsystem muss gegen die Antigene Antikörper produzieren und arbeitet daher unter Hochdruck. Dies führt dazu, dass andere Erreger leicht aufsatteln und mitunter schwere Infektionen auslösen können. Alarmzeichen sind beispielsweise hohes Fieber, starkeSchwellungen oder Bewegungsanomalien. „Entwickelt das Pferd hohes Fieber, starkes Zittern und Mattigkeit,würde ein fiebersenkendes Mittel zwar rasch die Symptome mildern, aber auch die Immunantwort auf den Impfstoff reduzieren – die Impfung kann dann ihre volle Wirkung nicht entfalten. Ich muss als Tierarzt im Einzelfall abwägen“, erklärt Kreling. Ist in Folge der Impfung ein anderer Erreger im Körper durchgebrochen und hat eine bakterielle Infektion herbeigeführt, kann auch die Gabe eines Antibiotikums sinnvoll sein.
Während lokale Schwellungen an der Einstichwunde zu den üblichen und harmlosen Begleiterscheinungen einer Impfung gehören, die in der Regel innerhalb weniger Tage ohne weiteres Zutun abklingen, ist der Tierarzt dann gefragt, wenn sich an dieser Stelle ein Abszess gebildet hat. „Das passiert, wenn der Körper das im Impfstoff transportierte Antigen als Fremdkörper einstuft und isolieren möchte“, erklärt Kreling. Der Impfstoff wird dann mit Bindegewebe eingekapselt und über die Haut abgesondert. Kein schöner Anblick: Wenn der Abszess durch die Haut aufbricht, bildet sich eine eitrige Wunde, die nicht selten von Fieber und Unwohlsein begleitet wird. „Meist wird als Verursacher der Tierarzt beschuldigt, er habe nicht sauber gespritzt. In seltenen Fällen kann auch tatsächlich mal ein Erreger in die Einstichstelle mit eingeführt werden, in den allermeisten Fällen entwickelt sich der Abszess aber aufgrund einer überschießenden Immunreaktion“, verdeutlicht Kreling. Eine ernsthafte Komplikation ergibt sich dann, wenn der Abszess zwischen Bindegewebsstrukturen versackt. „Es ist wirklich extrem selten, aber es kann bei Impfungen in die Halsmuskulatur vorkommen – übrigens bei jeder Injektion in die Halsmuskulatur.“ Der zwischen den Faszien in Richtung Halswirbelsäule versackte Abszess kann dort Nerven stören, die für das Bewegungsmuster des Pferdes verantwortlich sind. „Zunächst wurde tatsächlich in der Praxis angenommen, Impfstoffe könnten eine neurologische Auswirkung haben, das hat sich aber nicht bestätigt. Für die Anomalien im Bewegungsmuster ist der Abszess verantwortlich, der dann oftmals operativ entfernt werden muss. Ich selbst habe das aber nur einmal in meiner Laufbahn erlebt und spritze deshalb, wenn möglich, nicht mehr in die Halsmuskulatur.“ Ähnliche Symptome können sich auch nach einer Impfung in die Brustmuskulatur ergeben, die dann anschwillt und dabei auf jenen Nerv drückt, der den Impuls zur Streckung des Vorderbeins gibt.
Meldepflicht bringt keinen Nutzen
Viele Reiter fordern online erst einmal eine Meldepflicht als Tierseuche anstatt einer Impfpflicht. Wie die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) allerdings begründet, dass für eine Meldepflicht bestimmte Kriterien erfüllt sein müssen und die Entscheidung darüber beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) liege. Diese Einstufung sei aber lediglich dafür da, dass die Untersuchungsämter den zuständigen Behörden einen Herpes-Ausbruch melden müssen. Damit sei keine Quarantäne-Pflicht für den jeweiligen Betrieb verbunden. Anders steht es bei anzeigepflichtigen Tierseuchen. Diese gefährden den gesamten Tierbestand und ein Nachweis würde die Tötung aller infizierten Tiere bedeuten.
Lieferengpässe und Weiterentwicklung
International gibt es noch keine Herpes-Impfpflicht. Bei einer Pressekonferenz zum Herpes-Ausbruch in Valencia Ende März sagte der Veterinär-Leiter des Weltreiterverbandes (FEI), Dr. Göran Åkerström, man wolle erst einmal Kontakt zur Pharmaindustrie aufnehmen, um Gespräche über die Weiterentwicklung der Impfstoffe zu führen. Derzeit besteht außerdem die Problematik von Lieferengpässen. Diese sollen bis 2023 aber ausgeräumt sein.