Frage aus dem Reiterleben
Warum tut es uns gut, ein Pferdemädchen zu sein und zu bleiben?
An dieser Stelle beschäftigen wir uns mit Themen, die uns Reiter bewegen. Manche Fragen stellen wir uns bewusst, andere durchkreuzen hin und wieder unsere Gedanken, bleiben aber oft unbeantwortet. Wir sprechen sie an.
Ich radele vom Stall zurück nach Hause: dreckige Reithose, dreckige Hände und Fingernägel, dreckige Schuhe, die Haare zum Pferdeschwanz gebunden … Ich bin zu spät dran, wie fast immer, wenn ich aus dem Stall komme. Meine Mutter erwartet mich zu Hause, wir sind zum Kaffeetrinken verabredet. Sie mustert mich amüsiert und ich weiß genau was sie denkt: „Alles wie immer!“ Ihre Tochter wird herzlich gedrückt, trotz Pferdemief. Den ist sie gewohnt – seit knapp 40 Jahren.
Tatsächlich sind das die Tage, die ich am meisten genieße. Wenn ich, wie schon in meiner Jugend, ordentlich verdreckt, schön pferdestinkig, ungeschminkt einfach meine Zeit im Stall verdaddeln kann. Wenn es gar nicht um das Training geht, sondern um das Boxen misten, Hufe pflegen, Schweif verlesen, Futter mischen, Stroh einstreuen, Stallgasse fegen und natürlich ums Kuscheln mit den geliebten Fellnasen. Eben wie damals, als ich nach der Schule – und jetzt kann ich es ja zugeben: gerne mal in blau-gemachter Schulzeit – einfach stundenlang im Stall war. Ich weiß selbst nicht mehr, was ich alles im Stall gemacht habe ... manchmal weiß ich es auch heute nicht, wie ich spielend vier, fünf, sechs Stunden dort sein kann ... einfach so ... ist auch egal, denn dann ist einfach alles gut!
Ich fühle dabei dasselbe wie als Zehnjährige: Ich liebe den Geruch, das Hufeklappern, das Schnauben, das Fellkraulen, das Apfelfüttern, das beim Spielen auf der Weide zugucken. Dann fühle ich mich auch heute wieder wie damals: unbeschwert, glücklich, entspannt, froh – es ist für mich einfach die beste Art und Weise, meine Zeit zu verbringen.
Aber warum sind diese Momente so wertvoll? Nicht nur für mich konkret, sondern tatsächlich auch allgemein gesprochen? Die Psychologie setzt sogar ein Therapiekonzept genau hier an – mit der Heilung des inneren Kindes. John Bradshaw entwickelte das Konzept in den 70er und 80er Jahren. Negative Erlebnisse aus der Kindheit – wie Vernachlässigung, allein gelassen werden, schlimmstenfalls Gewalt – können Auslöser für spätere psychische Erkrankungen bei Heranwachsenden und Erwachsenen sein. Umgekehrt – also mit freudigen, neugierigen, glücklichen Momenten wie aus einer guten Kindheit – kann Heilung geschehen, weiß Sven Hülsebus, Heilpraktiker für Psychotherapie aus Cottbus: „Pferde heilen durch ihre gleichbleibende, ehrliche Kontaktaufnahme, die keine Worte braucht und trotzdem versteht. Ein Pferd bietet eine gesunde Beziehung an, es lebt im Hier und Jetzt, dies fordert und braucht es auch vom Menschen. Es ist diese Begegnung, die helfen kann, einen traurigen, möglicherweise verletzten Anteil des inneren Kindes, das jeder Erwachsene in sich trägt, zu heilen.“
Meine Mutter ist nach Treffen mit tausend Gesprächsthemen und viel Lachen – wie es für uns typisch ist – wieder gefahren. Das ist immer – auch heute noch – bei mir mit Wehmut verbunden. Ich lasse sie einfach nicht gerne gehen, das ist schon seit dem Kindergarten so. Endlich habe ich Zeit, mir die Reitklamotten auszuziehen und mich frisch zu machen. Im Badezimmerspiegel sehe ich die Matschspritzer, die mir beim Rausbringen der Pferde ins Gesicht geflogen sind und die ich noch gar nicht bemerkt hatte. „Mami ist stolz auf dich“, lache ich in mein Spiegelbild.
Frage aus dem Reiterleben
Wer entscheidet, ob mein Pferd ein gutes Pferd ist?
Diese Frage stellte sich Redakteurin Sylvia Sánchez. Sie hat wie so viele Reiter Zeit gebraucht, um zu verstehen, was ihrem Pferd gut tut. Aber sie hat dadurch generell gelernt, Pferde besser zu verstehen. Und dass Reiten nur so wirklich Spaß macht.
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