Europameisterschaften 2019
EM Luhmühlen: Gold für Deutschland, Ingrid Klimke Europameisterin
Luhmühlen – Das deutsche Team, bestehend aus Ingrid Klimke mit SAP Hale Bob OLD, Michael Jung mit fischerChipmunk FRH, Andreas Dibowski mit FRH Corrida und Kai Rüder mit Colani Sunrise, lag bereits nach der Dressur in Führung und baute diese nach dem Gelände weiter aus. Vor dem abschließenden Springen lagen 14,3 Punkte zwischen dem deutschen Team und den Briten auf Rang zwei. Im Parcours kam es darauf an, dieses Polster nicht überzustrapazieren.
Der Parcours von Marco Behrens verlangte den Pferden und ihren Reitern noch einmal volle Konzentration ab. Es gab drei anspruchsvolle zweifache Kombinationen, zwei Wassergräben, die in einer Art Seenlandschaft standen. Ein Plankenhindernis drohte wegen seiner flachen Auflagen schon bei der kleinsten Berührung zu fallen. An vorletzter Stelle stand eine optisch ungewöhnliche Mauer. Vor der Ziellinie galt es noch einen respekteinflößenden lila Oxer zu überwinden. Als Knackpunkt für viele Paare sollte sich zudem die erlaubte Zeit von 84 Sekunden erweisen.
Kai Rüder legt Grundstein für Gold
Kai Rüder und sein 13-jähriger OS-Wallach Colani Sunrise machten den Anfang für das deutsche Team und legten eine solide, sichere Runde innerhalb der erlaubten Zeit vor. „Fürs Team will man natürlich immer eine Nullrunde reiten. Das ist aber auch gut für das eigene Ego“, sagte der 38-Jährige danach. Der Ärger über seinen Zeitverlust gestern in der Startbox beim Geländeritt war noch nicht ganz verflogen. Schlussendlich wäre eine Einzelmedaille für ihn drin gewesen. So schloss der Pferdewirtschaftsmeister die EM mit 41,8 Minuspunkten auf Rang 24 ab. "Es ändert sich aber nichts an der Leistung", tröstet er sich darüber hinweg.
Auch Andreas Dibowski und seine zehnjährige FRH Corrida sorgten für ein Aufatmen im deutschen Team. „Das Springen war fantastisch. Sie ist einfach so unglaublich fokussiert und man merkte ihr das Gelände von gestern heute überhaupt nicht an“, freute sich Dibowski nach seiner Runde im Parcours. „Insgesamt habe ich noch immer zu wenig Punkte in der Dressur, aber wir werden daran arbeiten. Das Gelände gestern war ideal und heute das Springen sowieso“, resümierte er sein EM-Wochenende. Vor heimischer Kulisse wollte er alles geben, hatte er verraten – und auf einem Championat sowieso.
Abwurf für Frankreich, Einzelmedaille für Irland
Bevor Ingrid Klimke als dritte Team-Reiterin in den Parcours ritt, sorgte ein Abwurf des bis dato an dritter Stelle liegenden Franzosen Thibaut Vallette für Jubel im irischen Team. Denn somit hatte der 23-jährige Ire Cathal Daniels mit seinem Dressurergebnis von 29 Minuspunkten EM-Bronze sicher. Weder im Gelände, noch im Springen hatten er und seine zwölfjährige irische Stute Rioghan Rua sich auch nur einen Fehler geleistet. 2018 holte Daniels mit dem irischen Team Silber bei den Weltreiterspielen in Tryon. Für Oberstleutnant Vallette bedeutet der Abwurf ein Abrutschen auf Rang fünf.
In der Team-Entscheidung mussten die deutschen Reiter nicht mehr zittern. Kristina Cook war es im Sattel von Billy the Red als einzige britische Team-Reiterin gelungen, den Parcours ohne Abwurf zu verlassen. Bei Oliver Townend und Cooley Master Class, Piggy French und Quarrycrest Echo sowie Pippa Funnell und Majas Hope fiel jeweils eine Stange. Mit 104,8 Punkten in der Team-Wertung und somit 22,3 Punkten Abstand konnten die Briten den deutschen Reitern also nicht wirklich gefährlich werden. Das schwedische Team mit Ludwig Svennerstal und El Kazir SP, Louise Romeike und Waikiki, Malin Josefsson und Golden Midnight sowie Niklas Lindbäck und Focus Filiocus hatten bereits mit 105,1 Minuspunkten Team-Bronze und somit auch die Olympia-Qualifikation für Tokio 2020 in der Tasche. Dank Platz fünf im Team-Ranking darf auch Italien bei den Spielen starten.
Deutsches Duell um Einzel-Medaillen
Nun galt es noch die Einzel-Medaillen untereinander auszumachen. Zunächst ritten Ingrid Klimke und ihr 15 Jahre alter Helikon xx-Nachkomme SAP Hale Bob OLD in den Parcours ein. Obwohl die Tribünen des Stadions in Luhmühlen bis auf den letzten Platz besetzt waren und die Zuschauer sich auch an der Bande dicht aneinanderdrängten, hätte man in diesem Moment eine Stecknadel fallen hören können. Bei den beiden Titelverteidigern gab es während des gesamten Parcours, der zwölf Hindernisse und 15 Sprünge beinhaltete, nicht eine Unsicherheit. Und als die beiden die Ziellinie mit Null Fehlern innerhalb der erlaubten Zeit überquerten, gab es im Publikum kein Halten mehr. Bei dem ein oder anderen sind wohl Erinnerungen an die Weltreiterspiele in Tryon (USA) wachgeworden, bei denen ein Abwurf im Parcours am letzten Hindernis Ingrid Klimke Einzel-Gold kostete. Doch mit 22,2 Minuspunkten aus der Dressur war ihr nun Einzel-Silber und dem Team die Goldmedaille sicher.
Als letzter von 54 Startern ritten Michael Jung und fischerChipmunk FRH in den Parcours ein. Seit der Dressur, die sie mit 20,9 Minuspunkten beendeten, hatten der Reitmeister und sein elfjähriger Hannoveraner die Führung inne. Sie begannen sicher. Doch an der Kombination mit der Nummer zehn passierte es: am zweiten der beiden Oxer fiel die Stange. Das Missgeschick ihres Team-Kollegen bescherte Ingrid Klimke und SAP Hale Bob Doppel-Gold. Michael Jung war sichtlich enttäuscht. „So ist der Sport. Ein klitzekleiner Fehler und schon rutscht man zurück“, lautete sein erster Kommentar danach. „Vielleicht hätte ich ein bisschen ruhiger sitzen können. Er ist ein bisschen schnell geworden in der Kombination. Aber er ist trotzdem toll gesprungen und es ist ein tolles Ergebnis“, analysierte er. Im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Tokio nächstes Jahr sagte er: „Wir haben noch ein Jahr Zeit, um an den Details zu arbeiten.“ Erst Anfang des Jahres hatte Jung den Contendro I-Nachkommen von der amtierenden Deutschen Meisterin Julia Krajewski übernommen. Somit beenden Michael Jung und fischerChipmunk FRH ihre erste gemeinsame EM mit 24,9 Minusunkten auf dem Silberrang.
Die neue, alte Europameisterin hatte den Ritt ihres Team-Kollegen gar nicht gesehen, weil sie ihr Pferd noch austraben ließ. „Doch plötzlich habe ich was im Publikum gehört und dann kamen auch schon alle angerannt“, schilderte die Reitmeisterin den Moment, in dem sie realisierte, dass ihre Mission Titelverteidigung aufgegangen ist. „Ich bin überglücklich, kann es noch gar nicht fassen“, waren ihre ersten Worte, nachdem sie sich minutenlang strahlend von allen Seiten beglückwünschen und umarmen ließ. Sie ist fest davon überzeugt, dass ihr Springtrainer Kurt Gravemeier einen erheblichen Anteil an ihrer Einzel-Goldmedaille hat. Der ehemalige Bundestrainer der deutschen Springreiter hatte sie schon vor zwei Jahren bei ihrem Titelgewinn in Strzegom (POL) beim Parcoursabgehen und Abreiten unterstützt. „Ich habe zu ihm gesagt: ‚Wenn ich meinen Titel verteidigen will, musst du kommen.‘ Das hat beim letzten Mal auch schon geklappt und mir viel Sicherheit gegeben“, verriet Klimke und fügte hinzu: „Ich bin gekommen, um den Titel zu verteidigen. Heute war das Glück auf meiner Seite. Aber Hauptsache wir haben Team-Gold. Wir hatten ein kleines Tief und es tut gut, vor Tokio wieder zurück zu sein und den andern ein bisschen Angst zu machen.“
Für Bundestrainer Hans Melzer wurde mit dem heutigen Ergebnis ein Traum wahr: „Ich habe davon geträumt, dass wir Erster und Zweiter werden und Gold mit der Mannschaft holen, aber dass wir es so souverän, mit so viel Abstand zu dem zweit- und drittplatzierten Team schaffen, das hätte ich nicht gedacht.“ Somit erreichten die deutschen Vielseitigkeitsreiter fast ein ähnlich gutes Ergebnis wie bei der letzten EM in Luhmühlen 2011, wo nur deutsche Reiter auf dem Treppchen standen. „Ich hab schon zu Kai gesagt: ‚Wenn du in die Startbox geritten wärst, hätten wir das wiederholen können‘“, witzelte Melzer. Auch mit der Leistung seiner Einzelreiter ist der Bundestrainer zufrieden: „Hier sind einige mitgeritten, die man so nicht auf dem Zettel hatte, die tolle Runden mit ihrem Dressurergebnis beendet haben. Und es ist nur gut, wenn solche Reiter in den Olympiakader kommen.“
Deutsche Einzelreiter bringen sich ins Gespräch
Damit meinte er wohl unter anderem Anna Siemer und ihre zwölfjährige Vollblutstute FRH Butts Avondale, die mit 31,9 Minuspunkten, die sie aus der Dressur mitbrachten, 13. wurden. „Ich hab‘ heute Morgen einen großen Apfel vom Frühstücksbuffet geklaut, ihn Avondale gezeigt und ihr gesagt, dass sie den bekommt, wenn sie heute gut springt“, verriet die Reiterin nach ihrer Nullrunde im Parcours lachend und versprach: „Und ich habe ihr gesagt, dass sie das ganze Jahr keinen Parcours mehr springen muss, wenn sie es heute gut macht. Wir werden ab jetzt noch mehr Dressur üben.“
Anna-Katharina Vogel und die ebenfalls zwölfjährige DSP Quintana beenden ihr EM-Debüt auf Platz 15 mit 32,2 Minuspunkten aus der Dressur. „Man rechnet nicht unbedingt auf dem ersten Senioren-Championat damit, dass es so läuft. Das war wirklich das perfekte Wochenende. Von der besten Dressur der letzten zwei Jahre über ein traumhaftes Gelände und einer Nullrunde – was will man mehr?“ Die Atmosphäre im vollbesetzten Stadion mit tausenden jubelnden Zuschauern habe ihrer Stute gutgetan. „Die hat ihr eine gewisse Grundspannung gegeben und da zog und sprang sie noch besser“, freute sich die 22-Jährige.
Sandra Auffarth, die bereits Teil des Olympia-Kaders ist, und ihr zehn Jahre alter Viamant du Matz landen mit 31,7 Minuspunkten als beste deutsche Einzelstarter auf Platz elf. In der Dressur hätte der Diamant de Semilly-Sohn entspannter sein können, findet die Reiterin aus Ganderkesee. Dafür verließ sie den Parcours, in dem alle Stangen oben blieben, strahlend mit einem lauten „Tschakka“. „Ich bin super happy mit der EM. Mein Pferd ging ein fantastisches Springen, das Gelände hätte er nicht besser machen können.“
EM-Nachrücker Christoph Wahler ärgerte sich über einen Abwurf im Parcours mit seinem Holsteiner Wallach Carjatan S. Sein Pferd fand nicht den richtigen Absprungpunkt am Hindernis. „Das war ganz klar ein Reiterfehler“, erklärte er die Situation im Nachgang. Zwar kann sich ein EM-Debüt mit 37,8 Minuspunkten auf Platz 20 durchaus sehen lassen. Doch hätte er sich die vier Strafpunkte für die fallende Stange gespart, hätte er damit fünf Plätze gut machen können. Jörg Kurbel und Josera’s Entertain You blieben im Springen fehlerfrei. 39,2 Minuspunkte bedeuten Platz 21. Der 26-jährige Sportsoldat Felix Etzel beendet die EM mit seinem elfjährigen Hannoveraner Bandit nach zwei Abwürfen im Springen mit 44,3 Minuspunkten auf Platz 29. Bei Josefa Sommer und Hamilton fiel eine Stange, sie liegen mit 89,7 Minuspunkten auf Platz 48.
Das Ergebnis finden Sie hier.