Olympiasieger Christian Kukuk im Portrait
„Du sitzt auf dem Pferd, wie ein Affe auf dem Schleifstein.“ Diesen Spruch wird Christian Kukuk niemals vergessen. Er bekam ihn in ganz jungen Jahren zu hören. Von seiner Mutter Inge. Und jetzt sitzt Christian Kukuk am Esstisch des Springstalls von Ludger Beerbaum – und das ziemlich aufrecht. Gut, das hätte er als junger Bengel nun auch nicht für möglich gehalten, überhaupt im Reitsport Karriere zu machen ...
Manchmal kann es Christian Kukuk gar nicht fassen, was passiert ist. Jedes Jahr ein i-Tüpfelchen mehr. 2015 war es folgendes: Caressini bei den Bundeschampionaten zum Titel der fünfjährigen Springpferde zu reiten – und noch dazu den Vize-Titel mit Casanova bei den Sechsjährigen zu holen und mit Cornwall bei den Siebenjährigen Zweiter zu werden. „Das war ein Traum, den ich immer hatte. Einmal da vorne stehen, mit einer Schärpe. Die ganze Familie war dieses Jahr da, es hat alles gepasst und dann auch tatsächlich alles geklappt“, sagt’s und schüttelt ungläubig lächelnd den Kopf.
Von Opa Franz und Filius
Christian Kukuk ist in eine Warendorfer Pferdefamilie hineingeboren. Sein Opa Franz Kukuk war früher Hauptsattelmeister am Landgestüt in Warendorf, er war eine Ausbilderlegende. „Er konnte genau von unten sagen, was du oben fühlst. Da hatte ich großes Glück, ihn noch ein paar Jahre miterleben zu dürfen“, blickt Christian Kukuk zurück. Auch seine Eltern ritten beide erfolgreich Dressur und Springen, Inge Kukuk bis zur Klasse M, Papa Norbert bis zur schweren Klasse. Christians Schwester Jenny, ein Jahr jünger, saugte das Pferdevirus – ganz Mädchen – dankend mit der Muttermilch auf. Aber Christian, der wollte lieber Fußball spielen. Und Tennis. Zaghafte Versuche, ihn auf ein Pony zu setzen, blieben erfolglos. Da half auch kein Affe auf dem Schleifstein.
Mit 13 Jahren fängt Christian Kukuk mit dem Reiten an
Dass es ihn dann doch noch in den Sattel zog – freiwillig – ist wohl seinem Ehrgeiz geschuldet. Er war 13 Jahre alt, als er seinen Vater zu Turnieren begleitete – wenn gerade kein Fußballspiel war. Jedenfalls verbrachte Christian viel Zeit auf den Abreiteplätzen, fing an zu tüfteln, wie man was besser machen könnte, um irgendwann die Entscheidung zu treffen: Das will ich selber machen. Dass das Reiten allerdings mit Longenstunden beginnt, hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht bedacht. „Auf einem Schulpferd vom Warendorfer Reitverein habe ich Sitzübungen gemacht, bestimmt drei, vier Monate – das war für mich großer Käse.“ Er wollte doch springen! Sein Vater hatte irgendwann ein Einsehen. „Er sagte: Wenn du springen willst, dann morgen früh um fünf.“ Mit Schulpferd Filius hob er die ersten Male ab, der Weg zu jedem Hindernis: intensive Schenkel-Arbeit. „Aber es war cool.“
Bei Ludger Schulze-Niehues im nahegelegenen Freckenhorst nahm er nun weitere Reitstunden. Erst einmal, dann dreimal die Woche und schließlich täglich. Es konnte nie genug sein, schon gar nicht beim Springen. Schulze-Niehues förderte ihn auf seinen Lehrpferden und auf jungen Pferden. Zuhause mit seinen Eltern ritt er ausschließlich die Youngster. „Ludger und mein Vater haben immer gesagt: ‚Das A und O ist, dass du junge Pferde reiten kannst. Das bringt dich im Leben immer weiter, als nur auf älteren Pferden zu sitzen’.“ Heute weiß er, wie recht sie hatten. Damals aber wäre er zu gerne wie seine gleichaltrigen Reiterkollegen mit erfahrenen Pferden auch mal zu den größeren Junioren-Turnieren gefahren.
Nach dem Abitur „wollte ich am liebsten sofort was mit Pferden machen“. Die Eltern zogen die Handbremse, also: Industriekaufmännische Lehre in Füchtorf. Das klingt nach Strafe. „War es nicht. Es hat wirklich Spaß gemacht.“ Nach Feierabend schwang er sich sofort in den Sattel, opferte jeden Urlaubstag, um irgendwo im Land ein paar Springpferdeprüfungen zu reiten. Der Lohn: 2011, in seinem letzten Lehrjahr, qualifizierte er zwei Pferde fürs Bundeschampionat. „Das war das erste Mal, dass ich dort geritten bin. Was war ich nervös!“
Die Scheune im Abseits
Die Augen strahlen als er all diese Geschichten erzählt. Er kann sich an jedes Detail erinnern, spricht mit Feuereifer. Weil er liebt, was er tut. So stand für ihn ganz klar fest: Nach der Ausbildung soll es nur noch Pferde geben. Und für ihn stand auch fest, wo: „Wenn dann gehst du zu Ludger Beerbaum.“ Sein großes Vorbild. Immer gewesen. Der Griff nach den Sternen? Ganz sicher! Aber Christian ließ sich nicht beirren. Er rief Beerbaum an und erzählte ihm von seinem Plan. Der Profi lud ihn nach Riesenbeck ein. Wenige Tage später begann Christian seinen Job im Team Beerbaum.
Der Winter Anfang 2012 war ein Winter, wie ihn Westfalen selten erlebt. Bitterkalt. Das und die ersten Wochen in Riesenbeck wird Christian Kukuk nicht vergessen. Er bekam ein Zimmer in einem Haus auf dem Hof und sechs Pferde zugeteilt. Die standen in einer Scheune, gut zehn Minuten Feldweg entfernt, unter anderem „zwei Vierjährige, länger nicht unterm Sattel, eine dreijährige Stute, die angeritten werden musste, und Enorm von Ludger, der wieder antrainiert werden sollte. Es hatte teilweise -15 Grad und die kleine Reithalle war mein Zuhause.“
Sechs Wochen später war der neue Stalltrakt für Philipp Weishaupt fertig, und Christians heutiger Stall wurde frei. Er durfte umziehen, war näher am Geschehen. Und endlich durfte er auf ein Turnier – in Rheine-Catenhorn. „Es lief gut, beide Pferde waren null und platziert. Nix chaotisch gelaufen.“ Von da an ging es rasant bergauf für Christian Kukuk. 2013 Deutsche Meisterschaften in Balve, ein Jahr später dort in den Top-Ten, im polnischen Sopot erster Nationenpreis für Deutschland, 2015 Westfälischer Meister, Vierter bei der DM, Startplatz in Aachen und die Schärpe beim Bundeschampionat. „Jeder hat hier Ziele. Aber all das hätte ich doch gar nicht gewagt, mir als Ziel zu setzen!“ Ludger Beerbaum müsse viel Vertrauen in ihn gesetzt haben, meint Christian. „Ich dachte immer nur: Hoffentlich geht das gut.“
Ludger Beerbaum sorgt für Bodenhaftung
Wie behält man die Bodenhaftung, wenn alles wie am Schnürchen läuft? „Dafür sorgt Ludger schon“, lacht Christian. Kein Ritt bleibe unkommentiert. Wann immer der Chef die Möglichkeit hat, die Ritte seiner Reiter zu analysieren, tut er das. Ob live vor Ort oder per Video. Feedback gibt es immer, konstruktiv, unverblümt, unabhängig vom Ergebnis.
Um die 20 Pferde sind auf Christians Stalltafel gelistet. Acht bis zehn reitet er selbst jeden Tag, der Rest wird auf das Team aufgeteilt. Jedes Pferd kommt mindestens zweimal täglich raus – Koppel, Reiten, Führanlage gehören zu ihrem Alltag. Um 18 Uhr werden die Pferde gefüttert, dann geht es für Christian Kukuk nach Hause.
Das liegt nur wenige Autominuten vom Stall entfernt, mitten im Ort Riesenbeck. Die Wohnung ist modern eingerichtet, das Highlight: riesengroße Terrasse, „partytauglich“. Verschmitztes Lächeln. Der perfekte Abend beinhaltet für ihn wahlweise aber auch ein Fußballspiel des FC Bayern – „da bin ich sehr leidenschaftlich und das kann dann schon mal laut werden hier“. Er ist großer Fan von Thomas Müller.
Die eigene Fußball-Zeit ist vorbei. Für Christian Kukuk zählt der Reitsport. Wie ein Affe auf dem Schleifstein sitzt er längst nicht mehr im Sattel. Kinderleicht sieht es aus, wie er seine Pferde mit feiner Hand durch den Parcours manövriert. Ihn sollte man auch in den nächsten Jahren auf dem Zettel haben. Den Ehrgeiz hat er, und den Fleiß. Er hat große Chancen bekommen. Die Kunst liegt bekanntlich darin, diese zu nutzen. Das hat er bis heute getan.
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